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Publiziert: 28.08.2001 01:00

Freier Zugang zu den Publikationen
Leere Drohung?

Die wissenschaftliche Literatur ist chaotisch organisiert. Um diesen Missstand zu beheben, haben Forscher die Idee einer "Public Library of Science" lanciert und drohen allen Zeitschriften, die bei dieser nicht mitmachen wollen, mit einem Boykott. Der Erfolg des Unternehmens scheint fraglich.

Christoph Meier

Das Problem kennt jeder Forscher: die zeitfressende Literatursuche. Diese ist dadurch bedingt, dass die nötigen Informationen für die Wissenschaftler in verschiedenen Zeitschriften und Datenbasen begraben liegen und zuerst dort aufgestöbert werden müssen. Natürlich brachte das Internet eine Erleichterung, indem viele Journals online verfügbar wurden. Doch geschenkt wird auch hier nicht viel - grundsätzlich werden die Abonnements immer teurer - , und es fehlt ein einheitliches Format der verschiedenen Artikel, das eine effiziente Suche ermöglichen würde.

Publiziertes gratis nachlesen

Dieser Missstand veranlasste letzten Herbst eine Gruppe von Wissenschaftern, darunter zum Beispiel der Medizin-Nobelpreisträger von1993, Richard J. Roberts, einen offenen Brief zu verfassen (1). In diesem fordern die Forschenden eine öffentliche Bibliothek, die sogenannte Public Library of Science (PLS), die online verfügbar ist und alle Artikel im Bereich der Medizin und Life Sciences sechs Monate nach der Veröffentlichung gratis in einem einheitlichen Format zur Verfügung stellt. Denn schliesslich sind es ja die Wissenschaftler, welche die Artikel schreiben und begutachten. "Building a GenBank of the Published Literature" ist das Ziel, wie es in einem gleichnamigen Artikel in Science heisst (2).

Die wissenschaftlichen Informationen würden im elektronischen Volltextarchiv der PubMed Central (3) zur Verfügung gestellt. Die PubMed Central ist eine bereits bestehende digitale Datenbank, die von National Center of Biotechnology Information an der U.S. National Library of Medicine betrieben wird. Besucht man die entsprechende Homepage, stellt man fest, dass gerade mal acht Zeitschriften (wobei alle BioMedCentral-Titel als eine Zeitschrift gerechnet werden) bis jetzt verfügbar sind, darunter zum Beispiel die Proceedings of the National Academy of Sciences of the United States of America, und elf weitere bald dazu kommen werden.

Boykottdrohung

Die Zahl der Titel scheint auch durch den Druck eines angedrohten Boykotts nicht zu steigen, obwohl die Forschenden diesen demnächst im September 2001 gemäss ihrem offenen Brief umsetzen wollen. Die Unterzeichnenden sollten dann in allen Zeitschriften, die nicht mitziehen, nicht mehr publizieren und als Reviewer zur Verfügung stehen. Bis dato haben 26 334 Personen aus 170 Ländern den Brief unterzeichnet. Doch werden sie alle wirklich den Boykott umsetzen? Selbst die Initianten scheinen unsicher zu sein. So wird einer der führenden Initianten der PLS, Michael Eisen, in Nature (4) zitiert, dass ein kleiner Verzug von einem bis zwei Monaten durchaus akzeptabel wäre. Doch wenn die Verzögerung länger ginge, würden die Bewegung das Momentum verlieren.


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plos
Ist die wissenschaftliche Literatur bald so leicht zugänglich wie der offene Brief für die Public Library of Science? gross

Ein grosses Problem bei der Umsetzung des Boykotts liegt natürlich in der kleinen Zahl der Journals, die mitmachen. In einem Wissenschaftsbetrieb, der den Erfolg anhand der Publikationen misst, kann sich der Verzicht aufs Publizieren fatal auswirken. Es gibt aber noch andere Bedenken gegenüber einer PLS. So wird kritisiert, dass ein staatliches Monopol entstünde, oder dass beim Überführen von Artikeln in das Archiv sich Fehler einschleichen. Es besteht auch die Angst, dass viele ihre Abonnements bei den Zeitschriften kündigen. Folge: diese werden teurer, sodass die aktuelle Information fast unbezahlbar wird. Kleine Verlage sehen sich sogar in ihrer Existenz bedroht.

Lage in der Schweiz und der ETH

In der Schweiz haben bis jetzt gut 300 Wissenschaftler den Boykott unterstützt, etwa zehn arbeiten an der ETH. Die Initiative scheint aber nicht besonders virulent zu sein. Hört man sich in entsprechenden Kreisen um, ist die PLS teilweise kein Begriff. In der ETH könnte es darin liegen, dass durch das Angebot der ETH-Bibliothek das Problem abgefedert werden konnte. Doch dass dies keine Selbstverständlichkeit ist, zeigt der Umstand, dass auch die ETH-Bibliothek seit 1996 von rund 8000 Titeln auf 6000 reduzieren musste. "Information und rascher Zugriff auf wissenschaftliche Zeitschriften sind das A und O in der Forschung, wo heute doch sehr oft unter hohem Zeitdruck gearbeitet und geforscht wird," urteilt der ETH-Biologe Marcel Bucher, ein Mitunterzeichner des offenen Briefes. Für ihn stellt die PLS eine gezielte Unterstützung der ärmeren Länder dar. "Falls das Projekt nicht zu Stande kommt, bleibt leider alles beim Alten!" Ob diese Einschätzung Buchers wirklich stimmt, kann man anzweifeln. Denn die Frage sei erlaubt: Können sich die Wissenschaftler ohne Gesichtverlust vom Projekt zurückziehen, oder müssen sie nicht zumindest nach einer Alternative suchen?

Eine Stellungsnahme der Leiterin Bestandesentwicklung der ETH-Bibliothek, Alice Keller, zur PLS finden Sie hier


Literaturhinweise:
Public Library of Science Homepage: www.publiclibraryofscience.org/
Artikel in Scientific American: www.scientificamerican.com/explorations/2001/042301publish/
Debatte in Science dazu: www.sciencemag.org/feature/data/hottopics/plsdebate.shtml
Debatte in Nature dazu: www.nature.com/nature/debates/e-access/index.html
10vor10 Beitrag zum Thema: http://real1.xobix.ch/ramgen/sfdrs/10vor10/2001/10vor10_11072001.rm?start=0:13:24.780&end=0:19:19.993
Die PLoS nimmt Stellung anfangs September 01: ETH Life dazur: www.ethlife.ethz.ch/news/show/VerlagfrPLoS.html

Fussnoten:
(1) Open Letter für eine Public Library of Science: www.publiclibraryofscience.org/plosLetter.htm
(2) Science-Artikel "Building A "GenBank" of the Published Literature": www.sciencemag.org/cgi/content/full/291/5512/2318a
(3) PubMed Central: www.pubmedcentral.nih.gov/
(4) Beitrag zur Webdebatte in Nature: www.nature.com/nature/debates/e-access/Articles/butler3.html



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