ETH Life - wissen was laeuft

Die tägliche Web-Zeitung der ETH Zürich - in English

ETH Life - wissen was laeuft ETH Life - wissen was laeuft
ETH Life - wissen was laeuft
Home

ETH - Eidgenoessische Technische Hochschule Zuerich - Swiss Federal Institute of Technology Zurich
Print-Version Drucken
Zurück zum Ausgangstext
Publiziert: 25.11.2005 06:00

Der Blick von aussen
Argumente für die Autonomie der Universitäten und einen Bottom-up Approach

Von Theo Wallimann, Inst Cell Biology

Wir brauchen in der Forschung keine diktierten Schwerpunktsprogramme: Politiker lasst die Universitäten autonom arbeiten! Vergleiche dazu den offenen Brief aus Harvard von von Klaus Antoni. Spiegel 20. November 2005

OFFENER BRIEF AUS HARVARD

Laßt die Universitäten endlich in Ruhe!

In Amerika kann man sehen, dass Wissenschaft am besten in Freiheit und Respekt gedeiht.

Verläßt man den Campus am Harvard Square, im Zentrum der kleinen Stadt Cambridge, die von den Bostonern doch nur als Stadtteil ihrer eigenen Großstadt gesehen wird, dann umfängt einen gleich eine Uniatmosphäre, die an die späten sechziger Jahre erinnert. Straßenmusiker, allerlei politische Gruppen, die ihr Anliegen vorbringen: nicht nur Gescheite, sondern auch Gescheiterte aller Art. Wer hier blasierte Eliterituale erwartet hätte, der dürfte sich verwundert die Augen reiben.

AP Campus in Harvard: Freiheit für die Lehre Dabei ist die international führende Stellung von Harvard unbestritten, erst jüngst hat die Zeitschrift "Economist" Harvard an die erste Stelle aller Universitäten im globalen Vergleich gesetzt. Die Universität produziert Nobelpreisträger in großer Zahl, selbstverständlich auch wieder in diesem Jahr. Woher kommt dieser Erfolg?

Die Antwort auf diese Frage scheint so verblüffend, daß man ihr in den reformfreudigen Kreisen unserer Hochschulpolitik keinen Glauben schenken wird, und doch bin ich nach meiner Erfahrung "vor Ort" absolut von ihrer Richtigkeit überzeugt: Es ist die erstaunliche Tatsache, daß es gerade eine amerikanische, private Eliteuniversität ist, welche die Unantastbarkeit von wissenschaftlicher Selbstbestimmung und persönlicher Autonomie zu garantieren vermag.

Hippies in Harvard

Sollte hier ein Präsident auf die Idee kommen, wie es bei einigen unserer Rektoren leider in Mode gekommen ist, die Universität als eine Art mittelständisches Unternehmen auffassen zu wollen, in dem die einzelnen Abteilungen berichtspflichtig sind und nach ihrem ökonomischen Wert taxiert werden, er hätte in Harvard die gesamte Universität als einen Gegner vor sich. Es erscheint als nachgerade paradox, daß ausgerechnet hier, im gelobten Wunderland des Kapitalismus, die Ideale der alten Gelehrtenrepublik so hochgehalten werden - und enorme Erfolge feiern! -, während man sie bei uns bedenken- und gnadenlos zu Grabe trägt. Es ist in Harvard mit den Händen zu greifen, daß hier der einzelne Mensch, sei es ein studierender oder ein lehrender, wie auch in der Administration tätiger, seinen hohen Wert und seine Würde hat, und nicht nur, wie von unseren schneidigen Reformern aller Lager, als potentiell auszumerzender Kostenfaktor taxiert wird.

Ich habe versucht, Kollegen des Institutes, an dem ich als Gastwissenschaftler tätig war, die Geheimnisse des deutschen Drittmittel(un)wesens zu erklären. Schon nach kurzer Zeit mußte ich aufhören, sie konnten es einfach nicht verstehen. An einer Universität, die für alle Bereiche ihre Spezialisten hat, werden externe Mittel höchst professionell von speziell dafür engagierten "Fund Raisern" aufgetrieben, die sogar am Gewinn ihrer Bemühungen beteiligt sind. Niemand käme auf die Idee, etwa einen hoch spezialisierten Professor für antike Philosophie mit dem Ansinnen zu malträtieren, er solle doch möglichst viel Geld für seine Universität eintreiben.

GEFUNDEN IN... Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung Ausgabe vom 20.11.2005

• www.faz.net Ich habe es selbst als Dekan einer großen Fakultät erlebt, daß an unseren Universitäten die wissenschaftlichen Leistungen angesehener Gelehrter zum Zeitpunkt ihrer Emeritierung eher nach Mark und Pfennig, beziehungsweise Euro und Cent, inneruniversitär bewertet werden als nach dem Rang ihrer wissenschaftlichen Lebensleistung. Da mag einer bedeutendste wissenschaftliche Werke verfaßt haben, in den Antrag auf Neuzuweisung seiner ehemaligen Professur ist doch nur die exakte Summe einzutragen, die er als bisheriger Stelleninhaber seiner Universität eingebracht hat. In Zeiten der völligen Mißachtung der sogenannten "Einzelforschung" wäre es völlig deplaziert, hier etwa die Titel seiner gelehrten Werke zu verzeichnen.

Der einzelne Wissenschaftler als Drittmittelknecht, der anstatt Bücher nur noch Anträge, Berichte und Pläne schreibt, ist ein in Harvard nicht einmal als Karikatur zu vermittelndes Bild, im deutschen Universitätsalltag dagegen zur bedauerlichen Realität geworden. Die Wissenschaftler dort konzentrieren sich ausschließlich auf die Forschung und Lehre in ihren Fachgebieten. Allein das fachliche Renommee zählt, die Gespräche kreisen ständig um Fragen der Wissenschaft, man ist interessiert, an welchem Buch oder Thema jemand arbeitet, nicht daran, ob er irgendwo einen "Antrag" durchgebracht, gerade wieder einen neuen Evaluationsbericht oder aber die zehnte Neufassung einer Studienordnung geschrieben hat.

Wie soll ein deutscher Professor, der von Bürokratie und Politik in und außerhalb der Universität mehr und mehr daran gehindert wird, seine eigentliche Arbeit in Forschung und Lehre zu tun, mit dieser Art höchst professioneller Wissenschaftlichkeit noch konkurrieren? Dabei ist die Antwort so einfach, und so unbequem zugleich: Es fehlt an unseren Universitäten an Freiheit.

Anstatt, wie in früheren Zeiten, dem Prinzip von Einsamkeit und Freiheit zu folgen, werden die heutigen Wissenschaftler in Vernetzung und Kontrolle gezwängt. Was zählt, ist unauffällige Teamfähigkeit, nicht mehr das widerborstige Denken. Dieser Ungeist des Konformismus droht unsere Universitäten weit mehr zugrunde zu richten, als es jede öffentliche Mittelknappheit je vermöchte.

Mal wieder denken

An vielen deutschen Universitäten herrscht mittlerweile der Darwinismus als Ordnungsprinzip, ein Denken, das angeblich die Stärken stärken und die Schwächen beheben soll, in Wahrheit jedoch meist nur die Starken stärkt und die Schwachen, in der Regel kleine Fächer ohne außeruniversitäre Lobby, auszuradieren sucht. Diese Form der Auslese zeitigt jedoch meist genau das Gegenteil des erwünschten Ergebnisses, das heißt einer Effizienzsteigerung der Universität als Ganzes. Denn nun werden Energien zur inneruniversitären Absicherung aufgewandt, die eigentlich dringend für die kreative Forschung und Lehre benötigt würden. Unsicherheit und Angst bringen Verhaltensweisen hervor, wie man sie aus totalitären Systemen kennt: Nach außen hin macht man alles mit, nach innen aber wurde schon gekündigt, abgestimmt wird mit den Füßen.

Die verhängnisvolle Entwicklung hin zu einer Autonomie der Universität als Organisation anstelle der Autonomie der Wissenschaften führt allerorten zu denselben Lösungsansätzen, also einer Stärkung der drittmittelstarken Großstrukturen bei gleichzeitiger Schleifung disziplinärer Vielfalt und völliger Mißachtung der sogenannten Einzelforschung.

Ruhe für die Forscher

Dabei ist es das autonome, kreative und frei forschende Individuum, welches innovative Ideen hervorbringt und so auch die Grundlage für die hierzulande so schmerzlich vermißten Nobelpreise legt, nicht aber die an Bürokratenschreibtischen erdachten, potemkinschen Großstrukturen.

Bei uns gibt es einen bizarren Glauben an die Planbarkeit von Wissenschaft. Man entwirft gigantische Strukturen der Vernetzung, wie jetzt das Elitekonzept der Bundesregierung, in der Erwartung, damit den Weg zur Spitzenleistung geebnet zu haben. Dahinter steckt ein Weltbild, in dem der einzelne eigentlich nichts gilt, die Strukturen und Pläne aber alles. Man braucht demnach vermeintlich nur eine Person an die richtige Stelle der Matrix zu setzen, um den gewünschten Erfolg zu erzielen.

Daß an diesem Irrglauben schon die alte Sowjetunion zugrunde gegangen ist, scheint niemanden zu schrecken. Dabei ist exakt das Gegenteil richtig und wird an Orten wie Harvard auf das eindrucksvollste dokumentiert: Wissenschaft kann nur da gedeihen, wo man dem einzelnen Freiräume schafft, wo man dem kreativen, nicht an einen sofort erkennbaren Nutzen gebundenen Geist erlaubt, kritische Fragen zu stellen und entsprechende Lösungen zu finden. Dann, und nur dann, wird sich auch das wissenschaftlich Neue, damit auch der Erfolg, ergeben, den unsere Planbürokraten, Verbandsfunktionäre und Hochschulpolitiker auf allen Ebenen so verbissen einfordern.

All jene, die immer nach "Amerika" und "Harvard" als Vorbild für die Reorganisation unserer Universitäten schreien, dabei aber nur die platte Ökonomisierung der Universitäten herbeireden wollen, sollten sich auf einen Realitätsschock gefaßt machen, wenn sie mit der Wirklichkeit einer amerikanischen Eliteuniversität wie Harvard konfrontiert werden. Denn Harvard zeigt gerade den Erfolg der klassischen "Volluniversität", welche die Reformer hierzulande mit aller Macht zerstören wollen.

Ich könnte mir keinen anderen Ort vorstellen, an dem die Attraktivität der alten, freien, selbstverantwortlichen Geistesrepublik so ungebrochen zu bestaunen wäre wie in Harvard. So bin ich mit einem höchst unerwarteten Ergebnis aus der Neuen Welt zurückgekehrt. Anstatt Zeuge der Zukunft unserer Universitäten im Hinblick auf eine totale Ökonomisierung und Privatisierung der Wissenschaften zu sein, wie man es uns täglich als Modell einer erfolgreichen amerikanischen Eliteuniversität einhämmert, habe ich gänzlich unerwartet in einen höchst beschämenden Spiegel blicken müssen, der die Vergangenheit unserer eigenen Ideale zeigte.

Wer spricht bei uns heute noch offen von einer kritischen Universität, die nichts anderem verpflichtet sei als der Wahrheit? Wer von Demokratie und reinem Erkenntnisinteresse? Wer solches sagte, würde sofort wegen idealistischer Tagträumerei verspottet oder gar der ideologisch verbohrten Vergangenheitsverherrlichung geziehen werden. Ich mußte also erst in die Neue Welt gehen, um unsere eigenen, alten Ideale wiederzufinden, wie eine Märchenfigur, die am Ende ihrer langen Suchwanderung feststellt, daß sie die Wahrheit schon immer in Händen gehalten, sie bereits von zu Hause während der ganzen Reise mit sich geführt und doch ihren wahren Wert erst in der Fremde zu erkennen vermocht hat.

Der Verfasser ist Professor für Japanologie an der Universität Tübingen.





Sie können zu diesem Artikel ein Feedback schreiben oder die bisherigen lesen.




!!! Dieses Dokument stammt aus dem ETH Web-Archiv und wird nicht mehr gepflegt !!!
!!! This document is stored in the ETH Web archive and is no longer maintained !!!