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Rubrik: Campus Life
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Publiziert: 30.08.2004 06:00

Ein ungewöhnliches ETH-Institut feiert seinen 40. Geburtstag
Treffpunkt FIM

Ein Direktor, drei Mitarbeiterinnen und viele Gäste: Dies ist das Forschungsinstitut für Mathematik (FIM) an der ETH Zürich – weltweit ein Sonderfall. In enger Zusammenarbeit mit dem Departement für Mathematik (D-MATH), soll hier der Wissensaustausch gefördert werden. Dieses Jahr feiert das FIM sein 40-Jahr-Jubiläum.

Von Gabriele Aebli

„Mathematik ist ein gemeinsames Unternehmen der ganzen mathematischen Gemeinschaft“, sagte der 87jährige Beno Eckmann, Gründer des FIM und emeritierter ETH-Mathematik-Professor, anlässlich des 40-Jahr-Jubiläumskongresses in diesem Juli. Er fuhr fort: „Wichtigstes Hilfsmittel eines Mathematikers ist darum sein Fachkollege und das gemeinsame Gespräch.“ Und Marc Burger, heutiger Direktor des FIM und ebenfalls Mathematik-Professor, erklärt: „Die Mathematik braucht vor allem Köpfe. Wichtig sind die Leute, ihre Interaktionen und ein Ort, wo diese stattfinden können.“

Ein Institut für Gäste

„Ein solcher Ort ist das FIM: Seit 40 Jahren treffen sich hier Mathematiker aus aller Welt“, meint Burger. „Fast jeder berühmte Mathematiker war hier – auch John Nash, die Hauptfigur des Films „A Beautiful Mind“.“ Am FIM sind nur der Direktor und seine drei Mitarbeiterinnen fest angestellt. Den Rest der Räume belegen die wechselnden Gäste: im Jahr 2003 an die 150, maximal 30 gleichzeitig. Im Schnitt bleiben sie zwei bis drei Wochen.

„Dieses Modell ist auf der Welt einzigartig“, erläutert Burger. Zwar seien in den letzten Jahrzehnten mathematische Forschungsinstitute wie Pilze aus dem Boden geschossen, doch hätten sie ein anderes Konzept: „Institute wie das Centre Bernoulli an der EPFL oder das Mathematical Sciences Research Institute in Berkeley, laden je nach ihrem aktuellen Programm Gastdozenten ein. Andere, zum Beispiel die School of Mathematics at the Institute for Advanced Studies in Princeton, haben mehrere fest angestellte Institutsangehörige und daneben einige Gäste.“ Allerdings lebten die meisten in „Splendid Isolation“ – ohne Kontakte zum mathematischen Nachwuchs an den Universitäten.

Wissensaustausch – nicht nur mit der ETH

Anders am FIM: Gastdozenten geben ihr Wissen in Form von Minikursen, Workshops oder Nachdiplom-Vorlesungen weiter. Ist ein Thema besonders reichhaltig, wird eine Konferenz organisiert. Junge Mathematiker können hier auch Kontakte für ihre wissenschaftliche Laufbahn knüpfen. Und natürlich dient das FIM ausserdem der Werbung guter Mathematiker ans D-MATH. Arbeiten sie erst einmal an der ETH, können sie ihrerseits Gäste einladen.

Übrigens: Während ihres Aufenthalts am FIM werden viele Mathematiker auch an andere Schweizer Universitäten eingeladen. Letztere sehen auf der Homepage des FIM (1), wer gerade wie lange in der Schweiz weilt. Burger: „So können die anderen ebenfalls von unseren Gästen profitieren, was das Netz unter den Universitäten verstärkt.“

Billardkugeln auf dreieckigen Tischen

Einige Gäste realisieren am FIM zusammen mit einem Kollegen der ETH oder einer anderen Universität ein gezieltes Forschungsprojekt. Im Juli war zum Beispiel Alex Eskin, Professor an der University of Chicago, mit dynamischen Systemen beschäftigt: Einfach gesagt, möchte er herausfinden, wie viele Möglichkeiten eine Billardkugel auf einem dreieckigen Billardtisch hat, um spätestens nach einer festgesetzten Zeit wieder an ihren Ausgangspunkt zurückzukehren. Seine Überlegungen diskutiere er mit seinem Kollegen Dave Morris von der University of Lethbridge in Kanada.

Diskutieren über Billiardkugeln auf dreieckigen Tischen: Alex Eskin (links) und Dave Morris, beides Gäste am FIM. gross

Solche Gespräche seien wichtig, denn die Wege zur mathematischen Erkenntnis sind oft lang und verschlungen. Burger: „Mathematiker sind immer auch auf der Suche nach dem psychologischen Auslöser, der sie auf die richtige Idee bringt.“ Oft sei dies ein Gespräch, bei dem auch vage Gedanken, Vermutungen und gewagte Spekulationen möglich seien. „Aber auch eine kleine Geste oder der Tonfall des Gegenübers kann eine plötzliche Einsicht auslösen.“


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"Fast jeder berühmte Mathematiker war hier – auch John Nash, bekannt durch den Film: A Beautiful Mind", sagt Marc Burger, Direktor des FIM. gross

Eigenständig und gut vernetzt

Professoren und Doktoranden des D-MATH können jederzeit jemanden auf die Gäste-Wunschliste setzen. Laut FIM Mitarbeiterin Marcela Krämer wird diesen Wünschen in der Regel entsprochen. Die letzte Entscheidung liegt jedoch beim Direktor: „Gastdozierende sollen nicht nur exzellente Forscher sein, sondern ihr Wissen auch vermitteln können.“

Trotz enger Zusammenarbeit mit dem D-MATH ist das FIM diesem nur angegliedert. Eckmann: „Das FIM sollte einen Rahmen abgeben, um Gäste einzuladen, für die aktuelles Interesse besteht.“ Burger ergänzt: „Hat ein begehrter Mathematiker kurzfristig Zeit, müssen wir ihn sofort herholen können – ohne lange Diskussionen oder Formalitäten.“

Das „Eckmann Hilton“

Schon die Gründung des FIM war laut Eckmann denkbar unkompliziert: „Dank Hans Pallmann, dem damaligen ETH-Präsidenten, konnten wir beginnen, noch bevor das Projekt offiziell abgesegnet war. Am 1. Januar 1964 sassen die ersten Gäste rund um einen Tisch im Hauptgebäude. Später erhielten wir ein kleines Haus am Zehnderweg – bald als „Eckmann Hilton“ bekannt. Jahre später zogen wir zurück ins Hauptgebäude.“

Nachhaltiges Programm

Jeder Direktor des FIM verzichtet während seiner Amtszeit zu einem gewissen Grad auf eigene Forschungsarbeit. Dafür kann er Mathematiker einladen, die in einem ähnlichen Gebiet forschen. Burger: „So brachte jeder Direktor sein persönliches Interessengebiet ins FIM.“

Am Jubiläumskongress 2004: Beno Eckmann, Gründervater des FIM, und Catriona Byrne vom Springerverlag gross

Eckmann eröffnete den Reigen mit der algebraischen Topologie, die sich mit Strukturen von Räumen und damit verwandten Fragen der Algebra befasst. Mit Jürgen Moser kamen die dynamischen Systeme, die zeitabhängige Prozesse beschreiben, wie das Wetter. Oder Armand Borel: Er befasste sich mit Lie-Gruppen, vereinfacht gesagt mit Symmetriebetrachtungen. Alain-Sol Sznitman interessiert sich für zufällige Bewegungen in einer ungeordneten Umgebung: Wie bewegt sich zum Beispiel Wasserdampf durch das Kaffeepulver einer Espressomaschine?“ Burger selbst befasst sich mit Starrheitsphänomenen in der Geometrie und in dynamischen Systemen. Anwendung findet diese Theorie unter anderem bei der Konfigurationsanalyse von Molekülen. Er schliesst: „Heute haben wir Gäste aus all diesen Gebieten – und mehr.“

Keine Pflichten – keine Ablenkung

„Das FIM organisiert die Unterkunft der Gäste, die Lebenskosten werden gedeckt und an die Reisekosten wird etwas gezahlt“, sagt Burger weiter. „Zudem stehen an der ETH ein Arbeitsplatz und die nötigen Hilfsmittel zur Verfügung.“ Finanziert werde das Ganze durch Forschungsgelder des Schweizerischen Nationalfonds und durch ETH-Gelder. Und: „Von den Sparmassnahmen des Bundes spüren wir bis jetzt nicht viel.“

Und die Eingeladenen? Sie wissen das Angebot offenbar zu schätzen: „Wenn die Leute hier sind, arbeiten sie wie Irre“, sagt Enrico Bombieri, Mathematik-Professor am Institute for Advanced Study in Princeton und häufiger Gast am FIM. „Keine Ferien oder Ausflüge – und das hier, in der Schweiz. Hier kann man sich gut konzentrieren, hat keine Pflichten, keine Ablenkung.“


Fussnoten:
(1) Website des Forschungsinstituts für Mathematik: www.fim.math.ethz.ch/



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