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ETH - Eidgenoessische Technische Hochschule Zuerich - Swiss Federal Institute of Technology Zurich
Rubrik: Campus Life
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Publiziert: 29.01.2002 06:00

ETH-Student blickt zurück auf Gaststudium in den USA
"ETH ruht sich auf Lorbeeren aus"

Zwischen der ETH Zürich und der Northwestern University in Chicago (NU) gibt es seit kurzem ein Austauschprogramm für Studierende. Pascal Kaufmann studiert Neurowissenschaften und hat als erster ETH-Vertreter von diesem Programm profitiert. Anlass genug für einen Vergleich aus Studierendensicht - bei dem die ETH nicht gerade blendend abschneidet. "Die ETH muss entschlossener in die Zukunft investieren", so Pascal Kaufmanns Fazit.

Interview: Norbert Staub

An US-Hochschulen wird das Ranking grossgeschrieben. Wie empfanden Sie diese Wettbewerbsatmosphäre?

Pascal Kaufmann: An US-Hochschulen findet jedes Jahr ein Ranking statt. Die Stimmung ist sehr kompetitiv: nicht nur die Uni, sondern auch die Studierenden sind es - jede/r weiss, wie gut er oder sie im Vergleich mit den anderen abschneidet. Dies erhöht zwar den Druck auf den einzelnen, sorgt aber dafür, dass man sich im eigenen Interesse eingehend mit dem Lernstoff befassen muss.

Ist diese Haltung nicht zu eindimensional? Qualität basiert ja nicht nur auf glänzenden Noten.

Doch, wenn Qualität benotet wird, durchaus. Ich habe noch nirgends so motivierte Studenten wie in den USA gesehen.

Wo liegen aus Ihrer Sicht die Unterschiede zur ETH?

Ein Beispiel: an der ETH, so meine Erfahrung, lernt man seinen Stoff primär für die Prüfungen. Das heisst: in der prüfungsfreien Zeit wird man nicht evaluiert. Und das bedeutet: das Studienfach muss nicht ständig vertieft und bearbeitet werden, da der Druck dazu fehlt. Dass gezieltes Pauken auf Prüfungsfragen sich letztlich mit guten Noten auszahlt, läuft einer guten Hochschule zuwider, an der eigentlich waches Interesse am Fachgebiet und ein gewisser Eigenantrieb gefördert werden sollten. Aber schliesslich wollen alle die Prüfungen bestehen. Wer sich dabei noch auf alte ETH-Prüfungen abstützen kann, die unter Studierenden gemeinhin kursieren, hat sowieso Vorteile.

campus nu
An der Northwestern University wird ein höherer Prüfungsrhythmus gepflegt als an der ETH: NU-Campus der in Evanston bei Chicago. gross

Und das läuft an der NU anders?

Auf jeden Fall. Als nach ETH-Massstäben guter Student musste ich an der NU zuerst lernen, was es heisst, angeeignetes Wissen gedanklich weiter zu entwickeln. Zum normalen Prüfungsstoff gehören dort auch aktuellste Forschungsresultate. Dies setzt Flexibilität und Weitblick voraus und ist natürlich mit Mehraufwand verbunden. Die Interpretation von Forschungsdaten an Prüfungen erfordert selbständiges Denken. Auswendiglernen zahlt sich da nicht aus, dabei sind die Prüfungsintervalle viel kürzer. Auf das Präsentieren des Stoffes wird sehr viel Wert gelegt, sowohl von Studenten wie auch von Professoren. Ein weiterer Unterschied sind die offenen, an der NU üblichen Dozierenden-Evaluationen. An der ETH gibt es solche Evaluationen auch - nur werden Missstände nicht publik, was auf längere Sicht sehr schädlich sein kann.

Wie meinen Sie das?

Der Life-Science-Bereich ist so schnellebig, dass es sich rächt, wenn man sich auf den Lorbeeren ausruht. Der Vergleich zwischen der ETH und US-Spitzenhochschulen fällt für uns nicht überall schmeichelhaft aus. Das sehen insbesondere auch Schweizer Forscher so, die in den USA ‚hängengeblieben‘ sind. In Gesprächen stellte ich fest, dass von diesen insbesondere starre, aufgeblähte Strukturen, mangelnde Betreuung und veraltete Lern- und Lehrmethoden bemängelt werden.


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pascal kaufmann, nu
Fordert aufgrund seiner Erfahrungen an der Northwestern University mehr Studieneffizienz an der ETH: Pascal Kaufmann während seines Gastsemesters in Chicago. gross

Zudem wurde der ’Kantönligeist’ der einzelnen Departemente angesprochen sowie zeitraubende Grabenkämpfe, die interdisziplinäre, vernetzte Gebiete weit zurückwerfen. Diesen ’Brain Drain’ kann sich auf lange Sicht keine Forschungsanstalt leisten.

Welche Unterschiede zur ETH haben Sie bei der Infrastruktur festgestellt?

Studierende sind an der Northwestern University viel stärker mit Computer und Internet vertraut als durchschnittliche ETH-Studierende. Auch nach Vorlesungsschluss bleiben NU-Studierende üblicherweise von zu Hause aus online. Video-Streaming und online-Skripts sind an der Tagesordnung. Insbesondere die Administration ist hoch effizient per Internet zu erledigen - keine Testatbogen, kein Schlangestehen in Sekretariaten. Was man benötigt, holt man sich via Netz auf ein digitales Studentenkonto. Dort werden alle wesentlichen Angaben gesammelt: Einschreibung, Obligatorien, Kreditpunkte, Noten, Kontaktpersonen, Assistenten-Meetings, Termine, Gruppenarbeiten. Aufwendiges Einholen von Unterschriften entfällt. Studierende verfügen über eine einzige Karte (die "Wildcard"), die alles ist: Batch, Kopier-, Bibliotheks- und Kreditkarte.

Wo orten Sie an der ETH Handlungsbedarf?

In Verwaltung und Unterricht könnten modernste Kommunikationsmittel viel effizienter genutzt werden. Der Unterrichtsstil an der ETH liesse sich durchaus verbessern, so müssten Vorlesungen den neuen Erkenntnissen laufend angepasst werden. Im weiteren sollte es mehr Prüfungen geben; um Studenten zu fordern und zu animieren, sich den Stoff schon während des Semesters anzueignen. Auf Professorenseite müsste gewährleistet sein, dass das Vorlesungsmaterial den Studierenden vorgängig übers Netz zur Verfügung gestellt wird - auf einer Wandtafel fliesst für heutige Verhältnisse nun einmal zuwenig Information. Letztlich sollten ETH-Studenten viel früher in die aktuelle Forschungsarbeit einbezogen werden. Die Forschungsstätte ETH profitiert so von kreativen Jungforschern, und diese gewinnen Einblick in aktuelle Spitzenforschung. Das wirkt fördernd auf die Motivation der Studierenden zurück.

Ihr Fazit?

Die ETH sollte sich davor hüten, sich auf ihren Lorbeeren auszuruhen. Sie sollte anderen Spitzenuniversitäten in nichts nachstehen und vorausblickend und entschlossen handeln.


Pascal Kaufmann versucht seine US-Erfahrungen aktiv an der ETH umzusetzen. Am MIT (das er im Rahmen seines USA-Aufenthaltes ebenfalls besuchte) machte er Bekanntschaft mit dem Konzept der "Undergraduate Research Opportunities" (UROP): Studierende werden aktiv in die Spitzenforschung eingespannt, indem ihre spezifischen Fähigkeiten "angezapft" oder solche zusätzlich gefördert werden - Ihr Gewinn: Echte Forschungserfahrung bereits in unteren Semestern und Kreditpunkte. Die Institute profitieren von motivierten, qualifizierten und günstigen Arbeitskräften. Unter dem Namen "SIROP" (Student Research Opportunities) könnte ein ähnliches Konzept schon bald an der ETH Einzug halten.




Literaturhinweise:
Website des SIROP-Projekts:http://cgi.ethz.ch/~staldern/sirop/dokumente.html"



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