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Rubrik: Campus Life
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Publiziert: 23.02.2005 06:00

Fachtagung "Hindernisfreier Zugang für Menschen mit Behinderungen"
Behindertengerechtes Studium

Mitte Februar fand an der Uni eine Fachtagung zum Thema "Hindernisfreier Zugang für Menschen mit Behinderungen" statt. (1) Dabei wurden speziell die seit letztem Jahr geltenden Bestimmungen des Behindertengleichstellungs-Gesetzes (2) thematisiert. Anlass für "ETH Life", mit einem Betroffenen seinen Studienalltag an der ETH zu beleuchten.

Von Jakob Lindenmeyer

"Rund zwei Prozent der Studierenden leben mit einer Behinderung und rund zehn Prozent mit einer chronischen Krankheit", informierte Judith Hollenweger an der Fachtagung die rund sechzig Zuhörenden. Die Umfrageresultate ihrer Studie "Menschen mit Behinderungen an Schweizer Hochschulen" zeigten auch auf, dass es sich bei den Behinderungen primär um Hör- und Sehbehinderungen, sowie um Einschränkung des Bewegungsapparates handelt.

Theologie vor Technik: Anteil von Studierenden mit Behinderungen (dunkelblau) und chronischen Krankheiten (hellblau) in verschiedenen Studienrichtungen (Quelle: Studie "Menschen mit Behinderungen an Schweizer Hochschulen"). gross

Seit 1989 gibt es einen Leitfaden für behindertengerechtes Bauen (3) und seit letztem Jahr ist zudem das Behindertengleichstellungs-Gesetz (2) in Kraft und gilt für alle öffentlich zugänglichen Bauten und Anlagen und somit auch für die Gebäude der ETH. Gemäss der Fachtagungs-Präsentation von Bernhard Rüdisüli von der Schweizerischen Fachstelle für behindertengerechtes Bauen gelten noch bis zu 20 Prozent der Erneuerungskosten als verhältnismässige Mehrkosten für behindertengerechte Baulösungen.

Übergangsfristen und fehlende Kenntnisse verzögern Umsetzung

Doch die Beseitigung baulicher Hindernisse lässt auf sich warten. Die Gründe dafür sieht Andreas Rieder, der Gleichstellungsbeauftragte des Bundes, teilweise bei den langen gesetzlichen Übergangsfristen, beispielsweise im öffentlichen Verkehr. Zudem greifen bauliche Vorschriften meist nur bei Neubauten und Renovationen und nur wenn die Verhältnismässigkeit erfüllt ist. Mangelnder Wille sei glücklicherweise eher selten, doch problematisch seien die fehlenden Kenntnisse bei vielen Behörden, beispielsweise bezüglich zugänglichen Internet-Seiten. "Hier ist noch einiges an Bewusstseins-Bildung und Sensibilisierung nötig", forderte der Gleichstellungsbeauftragte an der Fachtagung.

An der ETH beschäftigen sich die zuständigen Fachleute schon seit einigen Jahren mit dem Thema. Bereits vor rund zwei Jahren prüfte der Hausdienst-Mitarbeiter Daniel Genucchi zusammen mit einer Rollstuhlfahrerin die Rollstuhlgängigkeit der ETH. „Dabei zeigte sich, dass im ETH-Hauptgebäude mit Ausnahme des G3 und des G5 eigentlich alle Hörsäle Rollstuhl zugänglich sind “, erklärt Hausdienstleiter Jürg Berchtold. Einige Räume - wie etwa die Cafeteria oder das Studentencafé bQm - könnten allerdings nur über komplizierte Umwege und interne Service-Lifte erreicht werden. Zudem sei eine Begleitung notwendig, da sich die Lifttüren nicht automatisch öffnen.

Dieses Problem stellt sich auch für den 23-jährigen Elektrotechnik-Studenten Julian Heeb, der an einer spinalen Muskelatrophie leidet und deswegen auf einen Elektro-Rollstuhl angewiesen ist. „Im Elektrotechnik-Gebäude gibt es nur alte Warenlifte, mit Türen, die ich nicht selbst öffnen kann und darum bin ich immer auf eine Begleitung angewiesen.“

Schlechte Sicht und fehlende Schreibfläche

Ein weiteres Problem in Heebs Studienalltag im Rollstuhl sind die Behinderten-Plätze in den Hörsälen. Rollt er ganz vorne rein, so fühlt er sich oft ausgestellt und sieht vom spitzen Winkel der Rollstuhl-Plätze am Rand kaum an die Projektionsfläche. Darum sucht sich Heeb in den Hörsälen, die über einen per Lift erreichbaren Hintereingang verfügen, bevorzugt einen Platz ganz hinten. Doch auch hinten trifft er auf verschiedene Barrieren. So hat er beispielsweise in der Elektrotechnik meist eine Stange auf Augenhöhe, welche die Sicht auf den Dozenten versperrt. Zudem fand er bisher kaum einen Hörsaal, an dem er mit seinem Rollstuhl auch an eine Schreibfläche rollen konnte. „Ich schreibe meistens auf eine Schreibmappe auf meinem Schoss, was sich leider in langsamer Schreibgeschwindigkeit und kaum lesbaren Notizen äussert“, bemängelt Heeb.

Doch mindestens im Hauptgebäude verschaffte ihm der Hausdienst jetzt Abhilfe: "Grad letzte Woche haben wir in allen Hörsälen im D-Stock in der hintersten Reihe je zwei Stühle entfernt, um Rollstuhlfahrern eine Schreibfläche anbieten zu können“, erklärt Hausdienstleiter Berchtold. Zudem wurden die Plätze mit einem Rollstuhl-Signet gekennzeichnet, was wichtig ist, da sonst in vollen Vorlesungen Studierende diese Plätze mit Klappstühlen besetzen und diese nur widerwillig wieder freigeben.


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Elektrotechnik-Student Julian Heeb: „Die älteren Lifte kann ich nur mit Begleitung benutzen, da sich die Türen nicht automatisch öffnen.“ gross

Hindernisreicher Studienalltag

Doch trotz solcher Anpassungen trifft Heeb an der ETH immer noch täglich auf Hindernisse, die sein Studium im Rollstuhl erschweren. So sei letzthin zwar vor dem Haupteingang des ETH-Hauptgebäudes eine riesige Rampe gebaut worden. Trotzdem bleibe er mit seinem Elektro-Rollstuhl jedes Mal am noch bestehenden Türabsatz hängen und spule durch, bis ihm jemand helfe.

Dazu entgegnet Hausdienstleiter Berchtold: „Es ist nicht geplant, die Schwelle des Haupteingangs zu entfernen, da hierzu die gesamte Haupttüre ersetzt werden müsste.“ Ausserdem sei dies nicht der offizielle Rollstuhl-Eingang. Dieser erfolge über die Parkgarageneinfahrt oder über die Unterführung Polyterrasse.

Praxistauglichkeit vor Ästhetik

Doch genau dies stört Studierende im Rollstuhl. So schilderte die Geschichts-Studentin Elena Milovic an der Fachtagung ihren Studiums-Alltag im Rollstuhl. Sie bemängelte etwa, dass Umleitungen auf Nebeneingänge und über Tiefgaragen ihr Sozialleben und den Kontakt zu ihren Mitstudierenden stark einschränkten. "Bei Umbauten sollte vermehrt die Praxistauglichkeit gegenüber der Ästhetik bevorzugt werden.", wandte sich Elena Milovic zum Schluss mit einer Bitte an die anwesenden Baufachleute von Uni und ETH, die bei Renovationen von Altbauten immer wieder in Zielkonflikte geraten zwischen den Ansprüchen von Denkmalpflege, Feuerpolizei und Menschen mit Behinderungen.

Doch es gab nicht nur Mängellisten an der Fachtagung. Die technischen Möglichkeiten in Medizin und Rehabilitation beispielsweise verbessern sich laufend, was Studierenden mit Behinderungen neue Möglichkeiten und mehr Selbständigkeit verschafft. So ermöglichen beispielsweise induktive Hörschlaufen eine stark verbesserte Übertragung der Dozierenden auf die Cochlea-Implantate von hörbehinderten Studierenden. Aufgrund solcher Neuerungen werden die Hochschulen mit steigenden Erwartungen an die baulichen Anpassungen konfrontiert. Neue Entwicklungen, wie etwa induktive Hörschlaufen, würden laufend in Umbauprojekte mit eingeplant. Doch es werden weitere technische Neuerungen folgen, so eine Schlussfolgerung der ETH-Bauabteilung.

Überladene ETH-Stundenpläne als komplexe Barrieren

Die baulichen Hürden sind meist offensichtliche Barrieren und daher häufig der primäre Stein des Anstosses. Doch in Realität liegen die Barrieren für ein Studium mit einer Behinderung auf einer wesentlich komplexeren Ebene: Der zusätzliche zeitliche Aufwand für einen Studiums-Alltag mit einer Behinderung, beispielsweise wegen dem aufwändigeren Anfahrtsweg und der Organisation spezieller Lernmittel, kollidiert an der ETH mit den Anforderungen eines anspruchsvollen und stressigen Studiums mit überladenen Stundenplänen von 30 und mehr Wochenstunden. Zudem fehlen oft behindertengerechte Lehrmethoden, Lernbedingungen oder Hilfsmittel, und auch der öffentliche Verkehr ist kaum nutzbar.

"Das Elektrotech-Studium ist schon stressig genug für 'normale' Studis; Ich selbst hatte letzten Sommer wegen Erschöpfungs-Zuständen meinen Studienplan stark reduzieren müssen", erzählt Julian Heeb. Jetzt dauere das Studium halt ein Jahr länger als geplant, aber aufgrund der Überanstrengung sei es nicht anders gegangen.

Theologie vor Technik

Diese Haupt-Barriere, der als speziell anspruchsvoll geltenden Technischen, Naturwissenschaftlichen und Wirtschafts-Studiengänge zeigt sich auch darin, dass nur rund zwei Prozent dieser Studierenden trotz einer Behinderung diese Fachrichtungen wählen. Dies im Gegensatz etwa zum wesentlich freieren Fach Theologie, wo gegen acht Prozent der Studierenden mit einer Behinderung und 14 Prozent mit einer chronischen Krankheit leben (siehe Grafik oben links). Ohne Begleitmassnahmen dürfte sich die Situation an Uni und ETH auch mit den anspruchsvollen Bachelor/Master-Studiengängen kaum rasch bessern.


Literaturhinweise:
„ETH Life“-Bericht über die Volksinitiative „Gleiche Rechte für Behinderte“: www.ethlife.ethz.ch/articles/Handicap.html

Fussnoten:
(1) Website mit den Folien zur Fachtagung „Hindernisfreier Zugang für Menschen mit Behinderungen“ des Instituts für Sonderpädagogik und der Beratungsstelle Studium und Behinderung der Uni Zürich: www.behinderung.unizh.ch/Pages/03_forum_1.shtml
(2) Bundesgesetz vom 13. Dezember 2002 über die Beseitigung von Benachteiligungen von Menschen mit Behinderungen (=Behindertengleichstellungsgesetz, BehiG): www.admin.ch/ch/d/sr/c151_3.html
(3) Norm SN 521 500/1988 «Behindertengerechtes Bauen». Zu beziehen bei Procap, Schweizerischer Invalidenverband SIV, Postfach, 4601 Olten; E-Mail: bauen@procap.ch.



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