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Rubrik: Campus Life
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Publiziert: 10.11.2004 06:01

Interview mit ETH-Professor Thomas Bernauer zur US-Präsidentschaftswahl
„Bush ist ein anti-liberaler Etatist“

Die Würfel sind gefallen. George W. Bush ist für weitere vier Jahre US-Präsident. Im Gespräch mit „ETH Life“ äussert sich ETH-Professor Thomas Bernauer (1) zum Wahlausgang und dessen Konsequenzen.

Von Jakob Lindenmeyer und Martin Mächler

Sind Sie enttäuscht vom Resultat dieser Wahlen?

Ja. Aber meine persönliche Meinung als Politikwissenschaftler ist hier irrelevant. Ich will mich vor allem mit den Gründen dieses Wahlentscheides und dessen Konsequenzen befassen. Mich interessiert, wieso sich eine deutliche Mehrheit der Amerikaner für eine Wiederwahl entschieden hat. Es war insgesamt eine legitime Wahl. Das gilt es zu akzeptieren. Mit den Folgen müssen wir uns nun auseinandersetzen.

Was hat Bush in diesem Wahlkampf richtig gemacht?

Im aussenpolitischen Bereich hat es Bush geschafft, durch die Angst vor dem Terrorismus einen Nebel aufzubauen, den seine Misserfolge im Irak nicht durchdringen konnten. Wenn sich dieser „Angstnebel“ einmal gelichtet hat, wird vielleicht auch die amerikanische Bevölkerung die politischen Fehler und Mängel der Administration Bush besser erkennen. So aber konnte sich Bush als erfolgreicher Terrorbekämpfer verkaufen. In Wählerumfragen wurde zudem festgestellt, dass Bush als Person beim Volk besser ankam als sein Herausforderer Kerry.

In vielen Ländern hat man auf einen Sieg von Kerry gehofft. Besonders ausgeprägt war dieser Wunsch im arabischen Kulturraum. Hätte eine Wahl Kerrys wesentliche Änderungen in der Nahostpolitik der USA gebracht?

Die Nahostpolitik war einer der wenigen Unterschiede in den Wahlversprechen von Bush und Kerry. Bush hat sich aus dem Friedensprozess verabschiedet und stellt sich voll hinter die Regierung Sharon. Kerry hätte sich wohl stärker für den Frieden eingesetzt. Für die Palästinenser ist der Wahlausgang sicher eine grosse Enttäuschung, die jetzt durch den zu erwartenden Tod Arafats noch verstärkt wird.

Nicht nur im Nahen Osten, auch in Europa sind nicht alle glücklich mit der Wiederwahl. Besteht in der zweiten Amtszeit von George W. Bush die Gefahr einer Verschlechterung der transatlantischen Beziehungen?

Eine Verschlechterung wird es kaum geben. Die vorhandenen Konflikte werden aber voraussichtlich weiterhin bestehen bleiben. Das konnte man bereits kurz nach der Wahl den ersten Aussagen von Bush entnehmen. Seine Haltung ist nach wie vor: „Wer nicht für uns ist, ist gegen uns.“ Kompromisse oder eine stärkere Kooperation mit Europa waren kein Thema. Bush hat bisher lediglich angekündigt, in Zukunft den Bündnispartnern seine Entscheide besser zu erklären.

In der Aussenpolitik der USA wird sich also ihrer Meinung nach nicht viel ändern. Wie sieht es innenpolitisch aus? Wo liegen da die Schwerpunkte für die kommenden vier Jahre?

Beim Kampf gegen den Terrorismus, Steuererleichterungen und Reformen bei der Altersvorsorge und im Gesundheitswesen. Der wichtigste Punkt den es innenpolitisch zu beachten gilt, ist die komfortable Mehrheit der Republikaner in beiden Kammern des Parlaments. Das ist eine Konstellation, die in der US-Geschichte der letzten hundert Jahre selten ist. Vom Gesetzgebungsprozess her hat Bush nun offene Türen, um seine Interessen durchzusetzen. Hinzu kommen Neubesetzungen am Obersten Gerichtshof, der in den USA eine sehr wichtige Rolle spielt.

Was hat dies für Auswirkungen?

Der Gerichtshof wird in den nächsten Jahren noch konservativer bestückt werden. Das hat z.B. Auswirkungen in den Bereichen Todesstrafe, Abtreibungsverbote, gleichgeschlechtliche Partnerschaften, Religionslehre in den Schulen, um nur einige zu nennen. Die Ernennung von Richtern hat eine Langzeitwirkung, weit über die Amtszeit von Bush hinaus.


ETH-Professor Thomas Bernauer: "Wenn sich der 'Angstnebel' einmal gelichtet hat, wird vielleicht auch die amerikanische Bevölkerung die politischen Fehler und Mängel der Administration Bush besser erkennen." gross

Was wird Bush Ihrer Meinung nach unternehmen, um das Budgetdefizit zu verringern?

Nichts. Die Konjunktur könnte sich in nächster Zeit allerdings positiv weiterentwickeln, so dass dieses Defizit etwas weniger schlimm aussehen wird. Die Wählerschaft schien sich darüber auch keine Sorgen zu machen. Wichtige Motive waren gemäss Umfragen vielmehr religiöse und moralische Werte und die Gefahr des Terrorismus. Das Budgetdefizit und der Irak kamen interessanterweise sehr weit hinten in diesen Umfragen.

Wird er allenfalls Sozialleistungen kürzen?

Bush hat bei den Sozialausgaben bisher nicht abgebaut und wird es wohl auch weiterhin nicht tun. Das ist für einen Republikaner atypisch. Ich würde ihn im europäischen Sinne des Begriffs als “Anti-Liberalen" bezeichnen. Der “normale" Liberale setzt sich für eine Trennung zwischen Staat und Religion und für so wenig Staat wie möglich ein. Beides ist bei Bush überhaupt nicht der Fall. Bush würde ich als “anti-liberalen Etatisten" bezeichnen.

Welche wirtschaftlichen Probleme könnten in nächster Zeit auf die USA zukommen?

Viele Experten gehen davon aus, dass der Dollar noch weiter fallen wird. Wenn der Dollar stark fällt, könnte das in Amerika einen Zinsanstieg bewirken. Dies würde das US Wirtschaftswachstum reduzieren. Wenn das passiert, wird Bush in eine schwierige zweite Amtszeit laufen.

Wagen wir einen Ausblick auf die Präsidentschaftswahl in vier Jahren. Was halten Sie persönlich von Kandidaten wie dem Republikaner Arnold Schwarzenegger oder der Ex-First-Lady Hillary Clinton?

Damit Arnold Schwarzenegger Präsident werden könnte, müsste die Verfassung geändert werden. Das halte ich für ausgeschlossen. Persönlich hätte ich Freude an einem Gespann Hillary Clinton und Barack Obama. Das wäre ein Traumpaar für die nächste demokratische Kandidatur. Wenn Hillary Clinton antritt, wird der Wahlkampf wohl aber noch um einiges schmutziger geführt werden als der vergangene.


Der Globalisierungs-Spezialist

Thomas Bernauer ist seit 1995 Professor für Politikwissenschaft (Schwerpunkt Internationale Beziehungen) an der ETH Zürich und gegenwärtig Vize-Direktor des Zentrums für Vergleichende und Internationale Studien (CIS) (2) der ETH und Uni Zürich. Zu seinen Schwerpunkten in Forschung und Lehre gehören Fragen der internationalen Wirtschafts- und Umweltpolitik.




Literaturhinweise:
Bildnachweis Frontbild: White House photo by E. Draper.

Fussnoten:
(1) "Who is who"-Webseite von ETH-Professor Thomas Bernauer: http://www.t-bernauer.org/
(2) Website des Centers for Comparative and International Studies (CIS) von ETH-Professor Thomas Bernauer: www.ib.ethz.ch/



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