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Rubrik: Campus Life
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Publiziert: 17.10.2006 06:00

25 Jahre Informatik-Studium: Der stete Wandel
“Wir haben zuwenig Sichtbarkeit“

Vom 20. bis 29. Oktober feiert das Departement Informatik der ETH Zürich das 25jährige Bestehen des Studiengangs Informatik (1). Professor Carl August Zehnder ist einer der Urväter der Informatik – er hatte für die Einführung des Studiengangs und die Gründung des heutigen Departements seit 1970 gearbeitet und gekämpft. Im Gespräch zum Jubiläum blickt er zurück, aber auch auf den Kern der Informatik und ihre Zukunft.

Gabrielle Attinger

ETH Life: Herr Zehnder, der Studiengang Informatik, den Sie initiiert und kreiert haben, wird 25 Jahre alt. Wie alt könnte er bereits sein?

In Amerika und England sind 1965 die ersten Studiengänge in Informatik angeboten worden, in Deutschland und Frankreich 1969. Wir – Niklaus Wirth und ich - wurden 1970 aktiv und haben immer wieder Anträge gestellt. Doch es dauerte elf Jahre, bis der damals dafür nötige Bundesratsbeschluss zustande kam.

Was war die grösste Hürde?

Es waren deren drei. Erstens wusste die breite Öffentlichkeit nicht, was Informatik ist. Das weiss sie übrigens heute noch nicht wirklich: Informatikanwendungen werden selbst an den Mittelschulen noch mit Informatik gleich gesetzt.

Viele Professoren hielten Informatik nicht für hochschulwürdig oder meinten, man könne sie als Nachdiplomstudium anbieten – gerade angesichts des heutigen Informatikerbedarfs etwas Undenkbares.

Die zweite Hürde?

Das war Brotneid. Die Angst herrschte vor, dass durch die Schaffung einer neuen Abteilung eigene Ressourcen zugunsten dieser Abteilung gekürzt würden.

Die dritte Hürde bildete die Angst vor Konkurrenz auf dem Arbeitsmarkt. Namentlich Physikassistenten bangten um ihre Jobs. In den 70er Jahren arbeiteten viele als Informatiker. Sie hatten Angst, durch profund ausgebildete Informatik-Fachleute würden sie ausgebootet.

Was führte zum Durchbruch?

Das Kämpfen an allen Fronten. Ich konnte etwa in der vierteljährlichen Informatik-Beilage des Tages-Anzeigers als Kolumnist für die Informatik Öffentlichkeitsarbeit betreiben.

Welcher Forschungsbereich profitierte am meisten von der Entwicklung der Informatik?

Grösster Kunde für das Rechenzentrum der ETH waren seit den 60er Jahren die Chemiker. Gerade sie wollten aber gar nichts von einem entsprechenden Studium wissen. Für sie war Informatik reines Hilfsmittel.

Wie viele Studierende hatten Sie zu Beginn 1981?

Wir starteten gleichzeitig mit einem 1. und einem 5. Semester. Studierende aller Studienrichtungen konnten sich für das 5. Semester immatrikulieren. Vorbedingung war lediglich, dass sie bereits im Besitz eines zweiten Vordiploms der ETH waren. 110 Personen schrieben sich fürs 1. Semester ein, 23 Personen nahmen das Studium im 5. Semester auf. So hatten wir bereits 1984 die ersten Absolventen.

Die Informatik selber ist ja an der ETH viel älter als der Studiengang. Wann sind Sie das erste Mal mit Informatik in Berührung gekommen?

Ich habe 1958 einen Progammierkurs belegt, der als Wahlfach angeboten wurde.

In den Anfängen der Informatik war die ETH sehr erfolgreich mit der Entwicklung von Hardware: Die ERMETH wurde hier 1955 gebaut, und Niklaus Wirth hat 1978-80 die Lilith geschaffen. Warum hat sich dies nicht auf die Industrie ausgewirkt?

Weil zwischen der Forschung und der Industrie immer ein grosses Loch liegt. Die Entwicklung eines Forschungserfolgs zum markttauglichen Produkt ist mit enormen Investitionen verbunden. Normalerweise kostet dieser Schritt ein Vielfaches der Forschung selber.

Wo wurde denn die Lilith gebaut?

Niklaus Wirth, Richard Ohran und ich gründeten eine Firma in Utah, weil wir nur da an die nötigen Chips kamen. Massnahmen rund um den Kalten Krieg machten es damals unmöglich, diese Chips nach Europa zu exportieren. In Serie wurde die Lilith deshalb in Utah gebaut. In Zürich entstanden nur vier Prototypen. Und von zwei Produzenten, die wir fanden, ging einer bankrott. Es ist aber falsch zu meinen, Forschung sei nur sinnvoll, wenn sie direkt in eine wirtschaftliche Produktionslinie hinaus läuft.

Gerade heute scheint die Informatik aber besonders markttauglich zu sein. Es ist ja kein Zufall, dass sich Google neu auch in Zürich niedergelassen hat.

Das stimmt. Auch ein ehemaliger Doktorand von mir ist bei Google Direktor. Dies zeigt deutlich genug, dass unsere Leistung in Ausbildung und Forschung sehr gut ist. In der Öffentlichkeit aber wird dies zu wenig wahrgenommen – sonst hätten wir wohl keine Nachwuchsprobleme.


25 Jahre Informatik an der ETH Zürich

„Die Welt zwischen 0 und 1“ ist der Titel des Jubiläums, das das Informatik-Departement vom 20.-29. Oktober 2006 feiert. Den Auftakt macht am 20. der Tag der Informatik mit drei verschiedenen Symposien. Am Abend des 20. wird die Erlebnisausstellung eröffnet. Sie besteht aus dem selbsterklärenden Teil „Input“ und einem „Labor“, in dem Forschende jeweils zwischen 16 und 20 Uhr und am Wochenende tagsüber ihre Forschungsprojekte dem breiten Publikum vorstellen. An den Werktagen finden Führungen für Schulklassen statt. Forscher und Forscherinnen machen kurze Präsentationen und halten Vorträge. Abends werden Kinofilme und 3-D-filme der Studierenden gezeigt. Der ganze Anlass findet im Hauptgebäude statt. Detailinfos unter: (1)




"Durch die Informatik wurde eine dritte wissenschaftliche Methode geschaffen: die Simulation", hält Carl August Zehnder, ein Gründervater der ETH-Informatik, fest. gross

Warum nimmt man sie nicht besser wahr?

Wir haben zu wenig Sichtbarkeit, weil viele unserer Informatikprodukte Teile anderer Produkte sind, in der Schweiz namentlich im Finanzsektor. Es gibt heute kein Bank- oder Versicherungsprodukt mehr, das ohne sehr viel Informatik auskommt. Auch die Chemie lebt stark von der Informatik – aber niemand nimmt dies als Informatikprodukt wahr.

Mit all den Anwendungsbereichen wie dem Wearable Computing und den vielen Simulationen erscheint die Informatik aber denen, die sie wahrnehmen, als sehr junge, dynamische Wissenschaft.

Das stimmt. Das hat sie ihrer Immaterialität zu verdanken. In diesem Bereich können Sie Dinge kreieren, die im materiellen Bereich unmöglich sind. Am Computer lässt sich sogar eine Brücke zum Mond hinauf bauen.

Was macht die Informatik Ihrer Ansicht nach einzigartig?

Dass man die Entwicklung selber zum Objekt der Entwicklung machen kann. Mit Informatik lässt sich ein Programm automatisch produzieren. Das ist das Neue. Bis zur Erfindung des Computers war dies nicht möglich.

Welche Wissenschaft profitiert heute am meisten von der Informatik?

Das lässt sich nicht sagen. Es gibt schlicht keine Wissenschaft mehr, die sich nicht der Informatik bedient.

Und welches ist ihr grösstes wissenschaftliches Verdienst?

Dass sie Simulationen ermöglicht. Das gibt der Wissenschaft ein drittes Bein: Neben der Theorie, die schon aus dem Altertum stammt, und dem Experiment, das man seit der Renaissance kennt, ist durch die Informatik eine dritte wissenschaftliche Methode geschaffen worden: Man kann den untersuchten Vorgang simulieren. Damit ergeben sich ganz neue Möglichkeiten: Den Urknall etwa kann man nicht als Experiment bauen, aber er lässt sich simulieren. Das heisst, man kann ein virtuelles Modell bauen.

Die Informatik ist heute ein sehr weit reichendes Gebiet. Wäre es nicht nötig, die Disziplin in verschiedene Bereiche aufzugliedern?

Im gewissen Sinne ist sie das bereits mit den so genannten Bindestrich-Informatiken. Die Wirtschafts-Informatik wird in Zürich nur an der Universität angeboten – eine gewollte und gute Trennung. Bio-Informatik ist ein modernes Schlagwort im Bereich der Life Sciences. Und die Computational Sciences machen alles, was die erwähnten Simulationen angeht. Dort läuft die Entwicklung besonders schnell.

Generell sind wir tatsächlich interdisziplinärer als jedes andere Departement. Ich hatte schon Doktoranden aus verschiedensten Disziplinen inklusive Psychologen und Architekten.

In welchem Gebiet ist die Informatik der ETH führend?

Das wechselt natürlich. Früher waren es die Programmiersprachen. Heute sind wir besonders stark etwa in der Kryptographie und der Bio-Informatik. Es sind immer mehrere Bereiche gleichzeitig. Immerhin sind sechs von sieben Schweizer ACM-Fellows an der ETH Zürich.

Welches ist das grösste Problem?

Wir haben zu wenige Studierende. Der Bedarf an hochgebildeten Informatikern ist grösser, als die Hochschule Absolventen generiert. Dieser Bedarf kann auch nicht durch die Quereinsteiger gedeckt werden, die als Anwender zur Informatik kommen und sich dann weiterbilden. Denn die Informatik wird immer komplexer. Quereinsteiger stossen je länger je häufiger an ihre Grenzen.

Welches ist die grösste Herausforderung der Informatik an der ETH von heute?

Es muss ihr gelingen, ihre Eigenheiten so zu präsentieren, dass sie genügend gute junge Leute anziehen kann.


Fussnoten:
(1) Jubiläum 25 Jahre Informatik-Studium: www.25jahre.inf.ethz.ch/index



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