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ETH - Eidgenoessische Technische Hochschule Zuerich - Swiss Federal Institute of Technology Zurich
Rubrik: Campus Life
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Publiziert: 06.12.2005 06:00

Der neue ETH-Präsident im Gespräch
Die Lehre fördern

Ernst Hafen hat letzte Woche das Amt des ETH-Präsidenten von Olaf Kübler übernommen. Im Gespräch mit ETH Life erklärt er, wie er die Woche der Visionen erlebte und in welchen Bereichen er künftig Akzente setzen möchte.

Interview: Norbert Staub und Felix Würsten

Herr Hafen, Sie haben in den letzten sieben Monaten vor Ihrem Amtsantritt mit vielen ETH-Angehörigen gesprochen. Wie haben Sie diese erlebt?

Ernst Hafen: Ich habe eine sehr spannende ETH kennen gelernt mit Angehörigen, die ein enormes Spektrum anbieten. Als Naturwissenschaftler kenne ich die technischen Disziplinen kaum. Wenn Sie mit Drosophila-Fliegen arbeiten und dann in die Bauhalle an der ETH kommen, in der riesige Betonträger zerquetscht werden, dann ist das schon beeindruckend. Es fasziniert mich auch, was an dieser ETH sonst alles entsteht. Vor kurzem wurde ja der ETH-Spin-off GlycArt von Roche aufgekauft, und die beiden Gründer, Joël Jean-Mairet und Pablo Umaña, wurden quasi als Doktoranden zu Millionären. Das ist schon genial.

Haben Sie auch skeptische Stimmen vernommen?

Natürlich wollten am Anfang alle wissen, was ist denn das für einer, der da kommt. Da wird einem Sympathie entgegen gebracht; aber es waren aber auch Bedenken spürbar wie: Was heisst das für die ETH Zürich, wenn in Lausanne und in Zürich Biologen an der Spitze stehen? Wichtig war dann zu zeigen, dass der neuen Schulleitung auch ein Ingenieur aus dem Maschinenbau-Departement, ein Architekt und ein Mathematiker angehören.

Finden Sie es wichtig, dass in der Schulleitung verschiedene Fachgebiete vertreten sind?

Ich finde nicht nur dieses wichtig, sondern auch, dass die Mitglieder der Schulleitung unterschiedliche persönliche Profile haben. Diese Komplementarität macht ein Team wirklich produktiv.

Die ETH hat eben ihr Jubiläum mit der Woche der Visionen abgeschlossen. Welche Inputs nehmen Sie mit?

Viele. Am Tag der Lehre hat mich vor allem fasziniert, wie konstruktiv und offen die Studierenden und Professoren in den Workshops miteinander diskutierten. Man hat eine Aufbruchstimmung gespürt, und es wurden zentrale Fragen aufgeworfen. Wenn in zehn Jahren alles Wissen auf einem iPod gespeichert werden und man alles jederzeit abrufen kann – was müssen wir dann den Studierenden überhaupt noch vermitteln? Ist es wirklich der Stoff, den wir heute prüfen?

Am Tag der Forschung wurde klar, dass die Spitzenforschung der Schweiz sich international positionieren will, und zwar mit einer nationalen Vernetzung der besten Zentren. Da haben wir eine gute Chance, und SystemsX, das neue Netzwerk für Systembiologie, ist sicher ein Paradebeispiel. Am Tag der Gleichstellung stand natürlich die Work-Life-Balance und der Frauenanteil, der an der ETH immer noch relativ niedrig ist, im Vordergrund. Wir müssen neue Wege finden, um mehr Frauen eine Forscherkarriere zu ermöglichen.

Der Tag der Wirtschaft zeigte, wie gross das Interesse der Wirtschaft an der ETH ist. Diese Beziehung müssen wir weiter fördern, auch indem wir Erfolgstorys wie die von GlycArt aufs Podest heben und sagen: "Schaut, das könnt ihr machen, seid mutiger!" Am Tag der Universitäten hat sich klar gezeigt, dass die ETH eine einheitliche Strategie für ihren internationalen Auftritt braucht.

Was mich etwas beunruhigt hat, war das teilweise geringe Interesse. Ich finde, wir sollten mehr solche Visionstage durchführen. Wir brauchen eine Kultur des gemeinsamen Nachdenkens.

Hat das, was Sie eben skizziert haben, einen Einfluss auf die kommende Strategiefindung?

Ja, eindeutig, und es beeinflusst auch die fünf Ziele, die ich in meiner Videobotschaft zum Amtsantritt an die ETH-Angehörigen genannt habe. Wie man das nun konkret umsetzt, das werden wir in den nächsten Wochen gemeinsam erarbeiten.

Ein Wechsel an der Spitze ist meistens mit Veränderungen verbunden. Steht der ETH nun eine Umstrukturierung bevor?

Es wird sicher Veränderungen geben, nicht als Selbstzweck, sondern um die ETH Zürich den neuen Herausforderungen anzupassen. Was machen wir zum Beispiel, wenn Lehrangebote im Prinzip überall verfügbar werden, wenn man die beste Physik-Vorlesung von der MIT-Website herunterladen kann? Wenn wir die besten Studierenden bekommen wollen, müssen wir uns dieser Konkurrenz stellen. Die Forschung war schon immer international, und da ist die ETH weltweit auch gut positioniert. In der Lehre hingegen sind wir es noch nicht. Wir hatten bis jetzt die Exklusivität einer technischen Hochschule, zumindest in der deutschsprachigen Schweiz. Aber das wird sich ändern, und wir müssen da mithalten.


Seit knapp einer Woche an der Spitze der ETH Zürich: Ernst Hafen. (Bild: Monika Estermann) gross

Die Ziele, die Sie in Ihrer Videobotschaft erwähnten, waren auch der bisherigen Schulleitung ein Anliegen. Wo setzen Sie die Gewichtung anders?

Es stimmt natürlich, man muss das Rad bei einer Hochschule, die bereits gut positioniert ist, nicht neu erfinden. Aber ich glaube, die neue Schulleitung setzt die Gewichtung schon etwas anders. Ein wichtiger Punkt ist sicher, dass die Lehre stärker in die Beurteilung der Professoren einbezogen werden soll. Man soll sich an der ETH nicht nur über die Forschung profilieren können, sondern auch mit guter Lehre. Da müssen wir Anreize schaffen.

Heisst das auch, dass pädagogische Skills vermehrt bei Berufungen berücksichtigt werden?

Ich finde, Berufungen sollten immer noch primär auf den Forschungsaktivitäten basieren. Wir vermitteln ja nicht einfach bestehendes Wissen, sondern wir sind an einer Hochschule, an der Neues entsteht. Wir wollen nicht die besten Gymnasiallehrer an die ETH berufen, sondern wir wollen die besten Gymnasiallehrer ausbilden. Aber wir müssen den Professoren helfen, die Skills, die es für einen guten Unterricht braucht, zu erarbeiten. Ich war als Professor nie in einer Didaktikvorlesung, ich habe immer so Vorlesungen gehalten wie mein Professor vor 20 Jahren. Und das geht noch vielen so.

Sie haben sich im Abstimmungskampf zur Moratoriumsinitiative stark engagiert. Sind Sie vom Resultat der Volksabstimmung enttäuscht?

Ich bin vor allem enttäuscht, wie klar die Initiative angenommen wurde. Das habe ich nicht erwartet. Es zeigt einfach, dass der Dialog mit der Bevölkerung immer wichtiger wird. Und das ist nicht nur eine Sache der 350 Professoren, sondern auch eine Sache der 12'000 Studierenden. Der technologische Fortschritt schreitet immer schneller voran, und das Gespräch zwischen Wissenschaft und Bevölkerung wird immer wichtiger.

Kann eine ETH so gegen aussen geschlossen auftreten?

Wir sind natürlich keine Brainwash-Organisation, schliesslich wollen wir ja auch die kulturelle Vielfalt fördern. Aber wir sollten die Kommunikationsfähigkeit der Studierenden fördern. Dem wird von der Primarschule bis ins Gymnasium viel zuwenig Gewicht beigemessen. Die Form der Kommunikation ist enorm wichtig, wenn wir unsere Aufgabe erfüllen wollen.

Betrachten Sie Ihr neues Amt auch als politisches Amt?

Auf jeden Fall. Wir wollen den Dialog auch mit der Politik führen. Die ETH Zürich bekommt fast eine Milliarde Franken an Steuergeldern pro Jahr, und wir müssen den Politikern erklären, warum dieses Geld gut investiert ist und dass jeder Steuerfranken, der in die ETH fliesst, zwei oder drei Franken an Wertschöpfung generiert. Wir müssen uns zudem zur Internationalisierung bekennen. Als Wissenschaftler wachsen wir in diesem internationalen Klima auf und vergessen leicht, dass das gar nicht selbstverständlich ist. Wenn man dann mit Politikern spricht, merkt man, dass sie die Dinge oft von einer ganz anderen Warte aus sehen. Es ist darum entscheidend, einen gemeinsamen Nenner zu finden und zu zeigen: Schaut, es ist notwendig, die Schweizer Studierenden so auszubilden, dass sie international wettbewerbsfähig sind.

Etliche Politiker stehen der akademischen Welt skeptisch gegenüber und verhalten sich in den Budgetdebatten entsprechend. Was muss die ETH machen, um diese Politiker für ihre Anliegen zu gewinnen?

Ich bin kein Politiker, und ich muss auch lernen, wie man das macht. Ich bin aber überzeugt, dass man mit Politikern, die der Meinung sind, man müsse alles privatisieren und man solle nur noch angewandte Forschung betreiben, den Dialog suchen sollte. Das wird viel Zeit brauchen, aber diese Zeit ist gut investiert.

Sie haben vorhin die Work-Life-Balance angesprochen. Sie sind ETH-Präsident, leiten auch noch eine Forschungsgruppe, und sind nebenbei Berater Ihrer ehemaligen Firma. Wie bringen Sie das alles unter einen Hut?

Für die Firma bin ich nur noch als wissenschaftlicher Advisor tätig, da habe ich nicht mehr viel zu tun. Alle anderen Verpflichtungen – Nationalfonds und sonstige Advisory-Boards – habe ich aufgegeben, so dass meine Work-Life-Balance nun wieder stimmen sollte. Ich habe sicher einen Job, der viel zu tun gibt, aber ich habe bis jetzt auch immer viel gearbeitet. So lange ich zwischendurch noch Zeit finde zum Joggen, geht das schon. Erst wenn ich dafür keine Zeit mehr habe, wird es kritisch.


Literaturhinweise:
"ETH Life"-Bericht zur Wahl Ernst Hafens zum ETH-Präsidenten durch den Bundesrat Anfang Mai 2005: www.ethlife.ethz.ch/articles/campuslife/hafenwahl.html



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