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Rubrik: Campus Life

Albert Einstein in der Schweiz – neue Quellen über das Leben des Physikers
Das verschmähte Genie

Published: 07.04.2005 06:00
Modified: 07.04.2005 09:20
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Ein ungewohntes Bild des zur Pop-Ikone gewordenen Albert Einstein beschreibt der Zürcher Historiker Alexis Schwarzenbach in seinem neusten Buch über das Jahrhundertgenie: Er zeichnet das Leben des Physikers nach und lässt ihn dabei Mensch sein – mit allen seinen Schwächen.



Von Michael Breu (mailto:breu@cc.ethz.ch)

Es war ein Zufall, der Alexis Schwarzenbach zu Albert Einstein führte. „Als ich während einer Recherche über den Unfalltod der belgischen Königin Astrid in Küssnacht am Rigi im Schweizerischen Bundesarchiv in Bern die Unterlagen der Schweizer Botschaft in Brüssel aus den 1930er-Jahren bestellte, wurden mir mehrere Schachteln Archivmaterial ausgehändigt“, erklärt der Zürcher Historiker, der zur Zeit an seiner Habilitation über die Kulturgeschichte der Monarchie im 20. Jahrhundert arbeitet. „In einer der Schachteln befand sich ein ockerfarbenes Mäppchen, in dem Akten zu kleineren Geschäften abgelegt worden waren. Die Inhaltsangabe verzeichnete unter anderem ‚Einstein Albert, Prof.’.“ – Ob es sich wohl um das Jahrhundertgenie, um den Physik-Nobelpreisträger, um die Pop-Ikone Einstein handelt? fragte sich Schwarzenbach.

Tatsächlich! In einem am 9. April 1933 datierten Brief an den „sehr geehrten Herr Minister“ bat Einstein den Schweizer Botschafter in Belgien, sich bei der Schweizer Regierung dafür einzusetzen, dass diese bei den Deutschen Behörden wegen der kürzlich beschlagnahmten Bankguthaben interveniere. „Aufbauend auf dem Zufallsfund entstand zunächst ein längerer Artikel in der Zürcher Weltwoche und danach das Buch 'Das verschmähte Genie’“. Das bei der Deutschen Verlags-Anstalt erschienene Buch (1) beschreibt ein ungewohntes, einfühlsames Bild von Albert Einstein: Schwarzenbach zeichnet das Leben des Physikers nach mit allen seinen Schwächen.

Mileva, Sohn Hans Albert und Albert Einstein, Bern 1904

Schwarzenbachs Recherchen starten in Aarau, wo Einstein ab 1895 die Kantonsschule besuchte. Zuvor hatte der 16-Jährige vergeblich versucht, die Zulassungsprüfungen für ein Studium am Polytechnikum (der heutigen ETH) zu bestehen. Albert Einstein wird als umgänglicher, geselliger Mensch beschrieben, der bereits zu dieser Zeit stark vom weiblichen Geschlecht angezogen wurde: „Geliebtes Schätzchen! Vielen, vielen Dank Schatzerl für Ihr herziges Brieferl, das mich unendlich beglückt hat“, schrieb er im Frühling 1896 an die Tochter seiner Schlummermutter.

Zwischen Oktober 1896 und Juli 1900 studiert Albert Einstein am Polytechnikum. Das Studium wird ihm durch wohlhabende Verwandte in Genua finanziert. „Einigen Vorlesungen folgte ich mit gespanntem Interesse. Sonst aber schwänzte ich viel und studierte zu Haus die Meister der theoretischen Physik mit heiligem Eifer“, berichtete Einstein in einem Brief an seine Kommilitonin Mileva Maric, die später seine Frau wurde. Weil der junge Einstein besonders oft im „Physikalischen Praktikum für Anfänger“ fehlte, erhielt er „wegen Unfleiss“ einen Verweis und im Zwischenzeugnis die schlechteste aller Noten, eine 1. Professor Pernet soll ihn damals gefragt haben: „Warum studieren Sie nicht lieber Medizin, Juristerei oder Philologie?“, worauf Einstein antwortete: „Weil mir dazu erst recht die Begabung fehlt, Herr Professor. Warum soll ich es mit der Physik nicht wenigstens probieren?“

Für eine glänzende Abschlussnote reichte es nicht. „Milevas Arbeiten wurden mit der Note 4 als genügend eingestuft, Einsteins Arbeiten erhielten nur eine halbe Note mehr“, berichtet Schwarzenbach in seinem Buch. Die schlechte Note wird wohl der Grund dafür gewesen sein, dass Einstein – inzwischen Schweizer Staatsbürger – als einziger Absolvent seines Lehrganges keine Anstellung fand. Doch Geld hätten er und die mittlerweile hochschwangere Mileva dringend gebraucht: für ein eigenes Heim und für die geplante Hochzeit.

Albert Einstein, Beamter III. Klasse am Berner Patentamt, 1905

Der Zürcher Historiker Alexis Schwarzenbach gibt in seinem Buch "Das verschmähte Genie" einen prägnanten Überblick über die ambivalente Beziehung zwischen Albert Einstein und der Schweiz.

Bis im Herbst 1902 hielt sich Einstein mit verschiedenen Gelegenheitsjobs über Wasser – etwa als Hauslehrer in Schaffhausen oder als Nachhilfelehrer in Bern. Dann wurde ihm eine Stelle als technischer Experte III. Klasse am Eidgenössischen Amt für geistiges Eigentum angeboten mit einem Jahresgehalt von 3500 Franken. „Durch ihre Ehe mit Albert Einstein wurde Mileva automatisch Schweizerin, die gemeinsame Tochter Lieserl blieb jedoch österreichisch-ungarische Staatsangehörige. Statt sie mit nach Bern zu nehmen, hatten ihre Eltern beschlossen, sie vorläufig bei den Grosseltern in Novi Sad zu lassen“, berichtet Schwarzenbach und fährt fort: „Im Sommer 1903 fuhr Mileva für einige Wochen alleine zu ihren Eltern. Dass der Zweck der Reise das weitere Schicksal Lieserls war, legten Alberts Erkundigungen nach dem zivilrechtlichen Status seiner Tochter nahe: ‚Als was ist denn das Lieserl eingetragen? Wir müssen sehr Sorge haben, dass dem Kinde nicht später Schwierigkeiten erwachsen’.“ Im selben Brief habe sich Einstein erfreut gezeigt, dass seine Frau wieder schwanger war und somit bald „Ersatz erhalten werde für das weggegebene Kind“. Ab diesem Zeitpunkt ist von Lieserl in den Briefen zwischen Mileva und Albert Einstein nicht mehr die Rede.

Schwarzenbach schreibt detailliert weiter, wie Albert Einstein vom „eidgenössischen Tintenscheisser“ zum ersten bedeutenden Physiker deutscher Zunge wird. 1905 reicht er an der Universität Zürich seine Dissertation ein, gleichzeitig veröffentlichte er vier weitere Arbeiten in den Annalen der Physik, die ihn später weltberühmt machen und ihm sogar den Physik-Nobelpreis einbringen(2) .

Der Weg führt Albert Einstein 1909 an die Universität Zürich, wo er als Extraordinarius für Physik gewählt wird, 1911 folgt er einem Ruf an die deutsche Universität Prag, und 1912 wird er zum ersten Ordinarius für theoretische Physik der ETH gewählt. Bereits 1914 zieht es Einstein weiter an die Preussische Akademie der Wissenschaften in Berlin. In diese Zeit fallen auch die grossen Eheprobleme, die erst viele Jahre später in einer Kampfscheidung enden. Einstein ist zu dieser Zeit mit seiner Kusine Elsa liiert.

Besonders spannend ist in diesem Zusammenhang eine Frage: Welche Bedeutung hatte Mileva für seine herausragenden Entdeckungen? Alexis Schwarzenbach hat bei seinen Recherchen keine Belege gefunden, die darauf hindeuten würden, dass Mileva an den Arbeiten beteiligt war. „Mileva sprach stets über die 'von ihm verfassten Abhandlungen’ und war glücklich, über seine Erfolge, denn er hat sie wirklich verdient’“, zitiert Schwarzenbach aus einem Briefwechsel. Auch das bei der Scheidung versprochene Geld aus dem Nobelpreis sei kein Beweis, dass Mileva an den Theorien mitwirkte.

Der Zürcher Historiker Schwarzenbach beschreibt anschliessend in seinem Buch, wie Albert Einstein 1933 – Hitler kam in diesem Jahr an die Macht – nach Princeton an das eben gegründete Institute for Advanced Study übersiedelt und dort bis zu seinem Tod am 19. April 1955 forschte. „Die Berichterstattung über das Sechseläuten nahm in der Morgenausgabe der Neuen Zürcher Zeitung am 19. April eine ganze Seite ein, der Tod von Albert Einstein wurde hingegen nur in einer kurzen redaktionellen Meldung vermerkt“, hat Schwarzenbach herausgefunden. Auch Todesanzeigen wurden in der Schweiz nicht veröffentlicht. Erst später berichteten die Medien: „Als Vertreter von Einsteins Alma Mater schrieb zwar Wolfgang Pauli, Inhaber des einst für Einstein geschaffenen Lehrstuhls für theoretische Physik, einen langen Nachruf. Er ging aber in erster Linie auf die wissenschaftliche Leistungen und Misserfolge des Verstorbenen ein und erwähnte Einsteins Jahre an der ETH mit keinem Wort.“

References:
•  Über Albert Einstein berichtete ETH Life am 12. März 2004 unter dem Titel: „Das schönste Stücke Erde“: www.ethlife.ethz.ch/articles/einstein125.html und am 10. Januar 2005 unter dem Titel „Einstein – Privat und ganz persönlich“: www.ethlife.ethz.ch/articles/einstein_wyp05.html. Über das Einstein-Jahr berichtete ETH Life am 7. März 2005 unter dem Titel „Die ETH hat einen guten Ruf“: www.ethlife.ethz.ch/articles/physjahr.html

Footnotes:
(1 Alexis Schwarzenbach: „Das verschmähte Genie. Albert Einstein und die Schweiz“, DVA München 2005 (geb. 215 S.; sFr. 31.90): http://www.dva.de
(2 Jürgen Renn: „Einstein’s Annalen Papers: The Complete Collection 1901 – 1922“, Wiley-VCH, Weinheim 2005 (geb. 590 S.; sFr. 146.-): www.wiley-vch.de/


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