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Publiziert: 16.09.2004 06:00

Listenreiche Wissenschaft
Täuschung oder Obrigkeitsgläubigkeit?

Von Reto Bader

Den Beitrag von Jose Brunner zum Milgram-Experiment („Es gibt auch Täuschung“) finde ich interessant, und ich sehe, dass dieser Anschauungsfall mehr hergibt als ich zunächst dachte und wie es aus dem stark vereinfachten Bericht auf ETH-Life leider nicht hervorgeht. Dies unterstreicht die Wichtigkeit, Wissen aus erster Hand und besser noch aus mehreren Quellen zu beziehen, denn bei jeder Überlieferung können sich Fehler und Missverständnisse einschleichen.

In meinem Beitrag ging es mir nicht um das Experiment von Milgram selbst, sondern ich wollte vielmehr argumentieren, dass Täuschung nicht ins Repertoire der akzeptierten wissenschaftlichen Methoden gehört. Ich bin auch nach den Ausführungen von Jose Brunner nicht davon überzeugt, dass im Milgram-Experiment die Täuschung ein entscheidendes Element des Versuchs war. Was wäre geschehen, wenn man die Testpersonen beispielsweise mit dem Versprechen angelockt hätte, sie könnten bei einem bahnbrechenden psychologischen Experiment an der Yale University mitmachen, sie würden dafür erst noch bezahlt, man werde sie über Sinn und Zweck jedoch erst hinterher aufklären? Damit hätte man die Leute nicht getäuscht, bloss im ungewissen gelassen. Es ist doch gerade ein Privileg einer Autorität (wie es die University of Yale wohl in den Augen vieler Leute sein dürfte), dass man ihr bis zu einem bestimmten Grad Vertrauen entgegenbringt und nicht alles hinterfragt. So ging es denn im Milgram-Experiment ja auch primär darum, welchen Einfluss eine Autorität auf den Gehorsam von Testpersonen hat. Ein Henker hinterfragt das Urteil des Richters nicht, er führt gehorsam im Namen der Gesellschaft aus, was von ihm verlangt wird. Man muss ihn hierzu nicht täuschen; er vertraut darauf, dass alles mit rechten Dingen zu- und hergeht. Insofern sind die Testpersonen des Milgram-Experiments wohl nicht in erster Linie ihrer Täuschung, sondern eher ihrer Obrigkeitsgläubigkeit erlegen. Hätte Milgram auf das zusätzliche Element der Täuschung verzichtet, wüssten wir heute evtl. sogar noch genauer, welcher Anteil gehorsamen Verhaltens auf die blosse Präsenz einer Autorität zurückzuführen ist.

Echte Wissenschaft rechnet ständig mit unkontrollierbaren Effekten. Sie ist bestrebt, diese durch Kontrollen, Wiederholungen mit veränderten Parametern etc. zu minimieren. Und sie interpretiert die gewonnenen Daten vorsichtig, d.h. unter Einräumung aller möglichen Faktoren, die erkanntermassen zur Erklärung herangezogen werden können. Weder das Milgram-Experiment noch Doppelblindstudien, in denen die Probanden über die Spielregeln ja aufgeklärt sein müssen und wissen, dass sie evtl. von vermeintlichen „Nebenwirkungen“ berichten, die nicht von einem Medikament herrühren, sollten meiner Ansicht nach als Täuschungen im eigentlichen Sinne bezeichnet werden. Diese Beispiele legitimieren für mich Täuschung daher auch nicht als wissenschaftliche Methoden.





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