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Rubrik: Forum
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Publiziert: 01.04.2003 06:00

Von gratis bis fünfstellig
Verwerfliche Preisvergleiche

Von Thomas M. Stricker

Ich finde diesen Artikel sehr sehr oberflaechlich und daher auesserst gefaehrlich. Das Thema kostendeckende Studiengebuehren ist ein sehr komplexes Thema mit grossen gesellschaftlichen Konsequenzen.

Der Preisvergleich rund um unsere Studiengaenge a la Cash/Facts oder Kassensturz ohne weitere Kommentare zum gesellschaftlichen Umfeld ist journalistisch verwerflich. Ich bin entsetzt, dass eine Hochschule selber sowas schreibt bzw. schreiben laesst... Als wenn es beim Einkauf der Bildung einfach um den Kauf eines Luxus Sportwagens geht.

Das Erststudium in Europa wird traditionell mit Steuergeld finanziert, um allen entsprechend begabten jungen Menschen ohne Ruecksicht auf Herkunft und Geldbeutel der Eltern dieselben Bildungschance zu geben - genau wie es in den Menschenrechten steht. Die Gebuehren zwischen 1000-2000 Franken sind reine Schutzgebuehren, die nur dazu dienen sollen das missbraeuchliche Einschreibungen (z.B. zur Steuerzwecken) zu verhindern. Im Gegensatz dazu stehen die privaten Amerikanischen Hochschulen, die den Studenten beinahe kostendeckende Studiengebuehren verrechnen. Amerikanische staatliche Hochschulen sind eine Art Mischmodel; sie verrechnen nur den Studenten, die ausserhalb des entsprechenden Staates aufgewachsen die kostendeckenden Studiengebuehren - Studenten, die im Staat wohnten, erhalten die Differenz gleichsam aus der Staatskasse.

Die Vorteile des amerikanischen Systems sind offensichtlich: die Konkurrenz der guten Schulen und grosse Mobilitaet der Studierenden, egal ob die Schulen vom Staat oder privat betrieben werden. Die sozialen Konsequenzen dieses Amerikanischen Systems sind jedoch ebenfalls verheerend. Hier ein paar Beispiele dazu:

(1) So kann sich ein mit mir befreundetes amerikanisch-chinesisches Ehepaar (ein Ingenieur mit Doktorat der Columbia University angestellt bei einer grossen Firma mit blauem Logo!) in den USA heute nur noch ein Kind leisten, weil es mit dem Ingenieurssalaer gaenzlich unmoeglich waere, das Geld fuer die Ausbildung von zwei Kindern aufzubringen. Das Paar hat nun mit Recht das Gefuehl, dass es eigentlich keinen Unterschied mehr macht, ob eine chinesische Diktatur des Proletariats die Einkindfamilie befiehlt oder eine amerikanische Diktatur des Kapitals die vernuenftigen Ausbildungschancen auf ein Kind pro Familie limitiert.

(2) Die amerikanischen Schulen sind gefuellt mit eingewanderten Chinesen, Indern und Osteuropaern oder deren direkten Nachkommen, weil nur noch diese sozialen Schichten an Bildung glauben und nur noch diese bereit sind, die Kosten und Muehen einer Bildung zu diesem Tarif zu tragen - oder vielleicht andersrum gesagt - weil nur diese beim Verteilen der lukrativen Auftraege auf dem Golfkurs keine Chance haben. Von Studenten afrikanischer Herkunft ganz zu schweigen - zu meiner Zeit war kein Doktorand afrikanischer Abstammung an der Spitzenhochschule zu finden (obschon es 10% der US Bevoelkerung sind). Mit einer Verschuldung von $US 100'000 und mehr fuer ein Grundstudium allein, ist natuerlich der Traum von sozialem Aufstieg durch Bildung eine reine Illusion. Historisches Stichwort "Aufklaerung" - und das waere ja eigentlich die ideologische Grundlage einer traditionellen Schweizer Partei, die neuerdings auch den Bildungsminister stellt.

(3) Natuerlich uebernimmt auch in den USA der Staat und Stiftungen zu einem betraechtlichen Teil die Bildungskosten - nicht alle Studenten bezahlen beim genauen Hinsehen die vollen Studiengebuehren. Der nationale Wettbewerb zwischen den privaten und staatlichen Hochschule hat zu diesen nominalen Betragen zwecks Vergleich gefuehrt. Vielerorts erfolgt die Finanzierung einfach nicht mehr durch freie Bildung sondern durch einen Dschungel von hunderten von Stipendien verschiedenster Quellen. Wer beim Bewerben gut ist und Glueck hat - der kann auch in den USA nahezu gratis an einer Spitzenhochschule studieren. Die Frage ist nur, ob eine Gesellschaft das Geld nicht besser gradlinig und transparent fuer Bildung ausgeben will - oder es lieber via Sicherheitsbudget und Verteidigungministerium als Stipendien an die Studenten und Forscher verteilen will.

Nun ob die ETH nun Fr. 1200 oder 2400 Gebuehr verlangt ist eigentlich Nebensache - beides sind im internationalen Vergleich noch Schutzgebuehren. Dass einige Leute in der Politik oder auch in der Leitung dieser Hochschule die hoeheren Studiengebuehren so blatant als neue Einnahmequelle in Zeiten der Finanzknappheit darstellen, etwa genau so wie die jetzige Bush Admininstation die Irakischen Oelfelder sieht, das ist fuer mich schon ein ganz starkes Stueck und sehr stossend. Die Oekonomie rund um die Spitzenausbildungen ist ein delikates Gleichgewicht, das sich leicht stoeren laesst und der Prozess der Transition vom Europaeischen zum Amerikanischen System ist ein schleichender. Ich finde das Thema gehoert auf der politischen Buehne umgehend diskutiert und nicht einfach von der Regierung in Geldnot oder einer Administation in einem schleichenden Prozess verfuegt.

Auch die stolzen, liberalen amerikanischen Hochschulen wie die staatliche University of California in Berkeley funktionierten bis 1970 auch noch nach dem Prinzip des alten Europas. Fuer die Einwohner des Staates Kalifornien waren sie praktisch gratis. Parallel dazu gab es die privaten Universitaeten die auf der Basis von riesigen Stiftungen (Land Grants) dieselbe gemeinnuetzige Leistung in gleichem Masse privatwirtschaftlich erbringen sollten - aber natuerlich laengst nicht mehr dazu in der Lage sind (wie das heutige Schulgeld von Stanford zeigt). Die Situation aenderte sich vorallem in den 80er Jahren des letzten Jahrhunderts als Bildung in der Administration Ronald Reagan systematisch definanziert wurde. Die Schulgelder stiegen auf das heute horrende Niveau in den USA. Mit den zuvor genannten sozialen und wirtschaftlichen Konsequenzen rund um die Bildung.

Thomas M. Stricker Inst. fuer Computersysteme ETH Zuerich

PS: Der schreibende ist Professor fuer Informatik und hat seine Ausbildung zum Informatikforscher an einer der privaten US Spitzenuniversitaeten absolviert und dafuer waehrend 7 Jahren von seinem Assistentenlohn rund 250'000 Franken an Schulgeld zusammengekratzt und hingeblaettert. Sein damalige Assistentenstelle wurde schlussendlich vom US Office of Naval Research (der US Navy) bezahlt. Im Alter von 40 Jahren steht er nun in einem bitteren Streit mit seinen jetzigen und zukuenftigen (staatlichen) Arbeitgebern, weil er ohne Ersparnisse dasteht und niemand ihm fuer seine lange Ausbildungszeit die Pensionskassenleistungen nachbezahlen will. Das zeigt das labile Gleichgewicht der Oekonomie rund um die Bildung an einer Spitzenhochschule.





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