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Rubrik: Interview der Woche
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Publiziert: 12.01.2001 06:00

Amtsantritt des neuen SANW-Präsidenten Peter Baccini
"Wir müssen eine Streitkultur entwickeln"

Die Gesellschaft ist gegenüber Technik und Wissenschaft kritischer geworden. Interessensverbände wie die SANW müssen dies zur Kenntnis nehmen und dürfen den internen und externen Streit nicht scheuen. Sonst, so SANW-Präsident Peter Baccini, geht es den Universitäten wie einst den Klöstern - sie werden einfach eliminiert.

Von Dora Fitzli / Roman Klingler

Sie sind seit Jahresbeginn neuer Präsident der Schweizerischen Akademie der Naturwissenschaften (SANW). Was war Ihre Motivation, dieses Amt anzustreben?

Wir sind daran, die wissenschaftspolitischen Weichen in unserem Land neu zu stellen. Es gibt einen neuen Wissenschafts- und Technologierat. Es gibt einen sehr aktiven Staatssekretär in der Gruppe für Wissenschaft und Forschung. Wir haben ein neues Forschungsförderungsgesetz. Und wir haben eine sehr aktive Wirtschaftspolitik in unserem Land, die Zeichen setzt, auch in Richtung Bildungspolitik.

Das sind Gründe, die mich veranlassen, ein solches Amt zu übernehmen. Ich bin der Meinung, die Akademien sind eine wichtige Kraft, die diese wissenschaftspolitischen Fragen mitgestalten sollte.

Welche Ziele haben Sie sich gesetzt?

Wir benötigen eine spezielle Anstrengung, unsere eigene Identität und unseren Zusammenhalt zu finden. Unsere Organisation mit mehr als 27'000 Mitgliedern ist sehr heterogen, aufgeteilt in 30 kantonale und regionale Gesellschaften und über 40 Fachgesellschaften. Sich als Naturwissenschafterin, als Naturwissenschafter zu sehen, zu fühlen, ist ein ganz konkretes Anliegen.

Nach aussen geht es darum, eine neue Form zu entwickeln, für den Dialog mit der Gesellschaft. Nicht im engen Sinne der Öffentlichkeitsarbeit, jetzt zu informieren, aufzuklären, sondern eben eine Kultur zu entwickeln, um die Bedürfnisse der Gesellschaft wahrzunehmen.

Heisst das, auch eine Streitkultur?

Ja, ich denke schon. Die Voraussetzung ist natürlich, dass wir intern in der Lage sind, unsere Diskurse auszufechten und auch nach aussen transparent zu machen. Das ist etwas, was noch zu leisten ist.

Die SANW bezieht immer wieder Stellung zu aktuellen Forschungsthemen, wie beispielsweise zur laufenden Gen-Lex-Debatte. Wie frei ist die SANW in ihren Stellungnahmen, als eine vom Bund finanzierte Institution?

Wir sind frei. Wir sind einzig an die internen Auseinandersetzungen gebunden. Die Frage stellt sich uns: Sind wir in der Lage, auch einen Dissens in die Gesellschaft zu tragen und zu sagen, so weit sind wir uns einig, aber in anderen Bereichen noch nicht.

In der Stellungnahme der SANW vom Dezember zur Gen-Lex-Debatte ist kein Dissens zu spüren. Wie kommen solche Stellungnahmen zustande?

Wir haben vor einigen Jahren im Hinblick auf solche gesellschaftsrelevanten Fragen spezifische Gruppen gebildet, wie zum Beispiel das Forum für Genforschung. Wir versuchen dann erste Thesen in diesen Gruppen aufzustellen und bei den verschiedenen Gesellschaften zu streuen.

Was die Stellungnahme zur Gen-Lex Debatte betrifft, wurde diese auch etwas durch die Anfrage der NGOs induziert. Die Anfrage lautete: Würdet ihr eine politische Position mit uns einnehmen für ein Moratorium (von GVO-Freisetzungsversuchen)? In der SANW haben wir uns entschieden, die Politik einer strengen Gen-Lex weiterzuverfolgen und nicht eine Allianz für eine Moratoriumsunterstützung einzugehen.

Der Schweizerische Wissenschafts- und Technologierat (SWTR) berät den Bundesrat in Forschungsfragen. Welche Rolle kommt der SANW zu?

Ich glaube nicht, dass die SANW ein primäres Beratungsorgan der Führung unseres Landes ist. Wir haben vielmehr die Verpflichtung, mit den parlamentarischen Institutionen in unserem Lande im Dialog zu bleiben.

Hat denn dieser Dialog bis jetzt zu wenig stattgefunden?

Ich denke, dass wir da verbesserungsfähig sind.

Was macht die SANW, um das Verständnis der Forschenden für die Bedürfnisse der Öffentlichkeit zu wecken?

Das ist eine ganz zentrale Frage. Da haben wir grossen Nachholbedarf. Es geht um die neue Legitimation der Naturwissenschaften in der Gesellschaft. Sind wir einfach nur abrufbare Experten oder sind wir Menschen, die direkt zu den Leuten gehen und sie befragen?

Es ist gerade die Stärke unserer Organisation, dass wir die Köpfe und die feinen Vernetzungen und Verästelungen haben. Es ist allerdings schwieriger geworden mit der Wissenschaftsentwicklung, weil man etwas gönnerhaft auf solche regionale Gruppierungen schaut und sagt, ja das sind einige brave Sammler und Jäger aus fossilen Beständen der naturforschenden Gesellschaften. Man vergisst dabei das grosse Potential der lokalen Vernetzung. Dort ist für mich Science et Cité.


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Peter Baccini
SANW-Präsident Peter Baccini im Gespräch mit Dora Fitzli gross

Gibt es Ihrer Meinung nach ein Problem im viel zitierten Dialog mit der Öffentlichkeit?

Wenn die Beobachtung gilt, dass die Wissenschaft nicht mehr dieses Vertrauen hat, das sie in den früheren Generationen hatte, dann haben wir ein Problem. Ich glaube, es gibt einen Vertrauensschwund in die Tauglichkeit wissenschaftlicher Forschung.

Ist das vor dem Hintergrund einer allgemein fortschrittskritischeren Gesellschaft zu sehen? Oder gibt es spezifische Gründe in der Schweiz?

Für mich ist es eine Weiterentwicklung. In meiner persönlichen Erfahrung begann das mit der Kernenergie, mit dem Widerstand gegen eine Entwicklung einer solchen Energietransformation. Der Diskurs in der Genforschung hat jetzt eine andere Entwicklungsstufe, indem schon relativ früh, im Vergleich zur Kernenergie, eine basisdemokratische Diskussion über die Initiativrechte stattgefunden hat. Das gab es ja bei der Kernenergie nicht. Die Art der Verfahren der Einführung von Technologien ist heute anders. Die Menschen sind mündiger geworden und signalisieren, wir wollen mitreden.

Finden Sie diese Entwicklung positiv, dass die Leute verstärkt mitwirken wollen?

Als Demokrat und Bürger dieses Landes finde ich es einen Fortschritt. Als Forscher weiss ich natürlich, dass es schwieriger wird, weil wir uns neu auf das einrichten müssen. Wir können jetzt einfach defensiv reagieren oder wir sagen, dieses Bedürfnis ist berechtigt. Wir sind ja gleichzeitig auch Bürger dieser Gesellschaft, also müssen wir uns neu einstellen, müssen das ernst nehmen. Sonst werden die Universitäten, wie die Klöster der Französischen Revolution, einfach eliminiert.

Sind die Universitäten heute in dieser Situation?

Nein, ich bringe nur ein extremes Beispiel aus der Geschichte, weil wir es kennen. Die Analogie zu den Klöstern ist augenfällig, wenn man sieht, dass die Klöster im Abendland eigentlich die Orte der intellektuellen Entwicklungen, der Erfindungen und der Prägungen waren. Und es war ein Selbstverständnis bis zur Französischen Revolution, dass es sie braucht.

Die Frage heute ist, was entsteht an der Stelle der Universitäten? Die Forderung nach Privatisierung heisst ja nichts anderes, als dass dann andere Gruppierungen, starke, internationale Wirtschaftsbranchen diese univerisitäre Bildung zum grösseren Teil übernehmen könnten. Dann wäre diese Sache von einigen Hundert Jahren Universitas, getragen von der Gesellschaft, vorbei. Es ist ja nur ein Szenario, aber man muss doch hin und wieder in diesen Dimensionen denken.

Treten wir in eine neue Phase, in der die Bildung vermehrt vom wirtschaftlichen Denken geprägt ist?

Meine Beobachtung während der letzten zehn Jahre ist: Die Wirtschaftspolitik war die aktivste, kulturpolitische Kraft, auch in der Bildung. Wenn Sie die Leistungsaufträge und die Leitbilder der Universitäten betrachten, so finden Sie zu 90 Prozent ökonomisches Vokabular.

Dass die Wirtschaft so dominant ist, ist das für Sie, als Exponent der Wissenschaft, eine gute oder schlechte Entwicklung?

Ich mache den wirtschaftspolitischen Akteuren keinen Vorwurf, dass sie diese Ansprüche stellen. Mein Problem ist eigentlich eher, wo sind die anderen, die komplementär die kulturpolitischen Anliegen in unserer Gesellschaft vertreten? Es ist somit nicht ein Vorwurf an die Stärke, sondern es ist eigentlich ein Unbehagen über die Schwäche der kulturpolitischen Position im Wissenschaftsbetrieb.


Zur Person

Peter Baccini ist seit Anfang 2001 für sechs Jahre Präsident der Schweizerischen Akademie der Naturwissenschaften. Er ist seit 1991 ordentlicher Professor für Stoffhaushalt und Entsorgungstechnik am Departement Bau und Umwelt der ETH. Seit 1983 leitet er eine Forschungsabteilung an der EAWAG. Zusammen mit seinem interdisziplinären Forschungsteam beschäftigt er sich mit Stadtentwicklung und nachhaltigem Ressourcenhaushalt im Schweizer Mittelland. Ein anderes aktuelles Forschungsthema ist das Langzeitverhalten von festen Rückständen aus der thermischen Abfallbehandlung.




Literaturhinweise:
Mehr Informationen über die Schweizerische Akademie der Naturwissenschaften unter: http://www.sanw.ch



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