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Rubrik: Interview der Woche
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Publiziert: 02.07.2001 06:00

Die ETH und der Bologna-Prozess
"Irgend ein Bachelor genügt nicht"

Der ETH-Rat hat am 12. Juli der ETH Zürich grünes Licht für die Umsetzung der "Bologna-Deklaration" erteilt. Damit spurt die ETH in die europaweit in Gang gesetzte Umstellung auf das angloamerikanische Bachelor-/ Mastersystem ein. Die Umsetzung erfolgt aber nach strengen Kriterien: einen Verlust an Qualität wird die ETH Zürich nicht hinnehmen. Das betont auch Rektor Konrad Osterwalder im Gespräch mit ETH Life.

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Herr Osterwalder, wenn von den neuen gestuften Studiengängen die Rede ist, hört man oft das Kürzel "3+2" - drei Jahre bis zum Bachelor-, zwei weitere Jahre bis zum Masterabschluss. Die ETH kennt eine Mindeststudienzeit von vier Jahren bis zum Diplom. Wirkt sich das Master-System also studienverlängernd aus?

Konrad Osterwalder: "3+2" ist ein Schlagwort, das sich nirgends in den Dokumenten zum Bologna-Prozess findet. Genannt wird die Mindestanforderung für den Bachelor: drei Jahre. Die Schweizerische Hochschulrektoren-Konferenz sagt: drei bis vier Jahre für den Bachelor, ein bis zwei Jahre für den Master. Eine Minimalvariante 3 + 1 wäre in diesem Rahmen also möglich. An der ETH werden wir vermutlich verschiedene Lösungen anbieten. Zudem: Heute dauert ein ETH-Studium eher fünf als vier Jahre.

Die Zeit ist ja aber nur ein Faktor, der andere sind die Kreditpunkte...

Osterwalder: Richtig; die Schulleitung orientiert sich momentan am Europäischen Kreditpunktesystem (European Credt Transfer System, ECTS). Der Erwerb eines Diploms hängt dann nicht von der Studienzeit, sondern von der Anzahl der Kreditpunkte ab, die pro Leistungsnachweis - etwa Prüfungen - abgegeben werden. So gesehen, kann ein Student, der im Schnellzugstempo den Master ansteuert, die Normstudienzeit auch unterbieten.

Sie gehören in der Schweiz zu den Motoren des "Bologna"-Prozesses. Wie reagieren Sie auf Bedenken, etwa von geisteswissenschaftlicher Seite, das bewährte europäische Hochschulsystem werde "amerikanisiert"?

Osterwalder: Davon sind wir weit entfernt. Die Amerikaner machen ihren Bachelor auf dem College. Dort tritt man mit ca. 17 Jahren ein. Die ersten beiden Jahre entsprechen weitgehend den letzten zwei Jahren unseres Gymnasiums. Erst als "Seniors" kommen diese Studierenden mit dem, was wir als universitäre Stufe definieren, in Kontakt. Der Vorteil dabei: Wo es Doktoratsprogramme gibt, können Ambitionierte bereits Vorlesungen besuchen, die für Fortgeschrittene gedacht sind. Etwas mehr von dieser Durchlässigkeit täte uns sicher gut.

Aber Tatsache ist doch, dass der Bachelor den Studierenden erlauben soll, früher auf den Arbeitsmarkt zu gehen und damit ein Studium "billiger" als heute zu haben sein wird.

Osterwalder: Das ist für uns die zentrale Frage. Die Schweizer Universitäten haben von Anfang an gesagt: der universitäre Bachelor wird nicht als Abgangsgrad konzipiert, an der ETH schon gar nicht. Doch verlässt heute ja bereits ein Teil der Studierenden die Uni vorzeitig - daran wird sich nicht viel ändern. Der Unterschied wird sein: sie haben wenigstens einen "kleinen" Abschluss im Sack. Unsere Bologna-Arbeitsgruppe Rechtswissenschaft beispielsweise sagt, es gebe juristische Berufe, die nicht unbedingt einen Master voraussetzen.


Erste ETH-Bachelors schon im Jahr 2002

Der ETH Rat hat am 12. Juli der ETH Zürich grünes Licht für die Umsetzung der "Bologna-Deklaration" erteilt. Damit kann auch das Pilotprojekt am Departement Elektrotechnik der ETH Zürich starten. Dessen Studienplanreform in den Jahren 1998 und 1999 wurde vollständig auf das Bachelor-Master-System abgestimmt. Mit den ersten ETH-Bachelor-Abschlüssen ist deshalb bereits Ende 2002 zu rechnen, die ersten Masterabschlüsse folgen etwa eineinhalb Jahre später. Die ETH Zürich wird damit die erste Schweizer Hochschule sein, die solche Abschlüsse verleihen kann. Die Neupositionierung stärkt das Gewicht der Informationstechnologie, was sich im neuen Namen des Departements: "Departement für Informationstechnologie und Elektrotechnik" ab Wintersemester 2001/2002 widerspiegelt. Die an internationalen Standards ausgerichtete Studienreform hat im weiteren zur Folge, dass bis zu einem Drittel der Lehrveranstaltungen inskünftig in Englisch angeboten werden. Die Diplomarbeit dauert neu sechs (statt vier) Monate und ist damit noch stärker forschungsorientiert konzipiert.

Im September wird die Schulleitung der ETH den Rahmen für die Umsetzung in den einzelnen Departementen bestimmen. Ist der Startschuss einmal gefallen, ist absehbar, dass die meisten Departemente mittelfristig auf das neue System umstellen. Auf jeden Fall möchte die Schulleitung, so Konrad Osterwalder, in einem Studiengang ein Nebeneinander der Studiensysteme vermeiden. Momentan wird mit einem Zeithorizont bis 2005 gerechnet. Wer sein Studium allerdings nach bisherigem System beginnt, wird das Recht haben, es unter den Ausgangsbedingungen abzuschliessen.




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rektor k osterwalder
"Der ETH-Bachelor wird kein Abgangsgrad sein": ETH-Rektor Konrad Osterwalder.

Wozu braucht die ETH denn den Bachelor, wenn sie ohnehin auf den Master zusteuert?

Osterwalder: Als dreifaches Scharnier. Erstens für Leute, die die Uni wechseln möchten. Aus unserer Sicht die wichtigste Funktion, weil die ETH klar die Aufnahme guter Studierender aus der ganzen Welt in die Master-Programme anstrebt. Für ETH-Studierende öffnet sich ein Weg, problemlos an eine andere Universität zu wechseln: so macht einer den Bachelor in Zürich, den Master zum Beispiel in Aachen. Zweite Funktion: nach dem Bachelor kann man seinen Studienfokus ändern. Beispiel: Sie machen den Bachelor als Ingenieur, danach reizt Sie der Schritt ins Management und Sie wechseln ans D-BEPR. Und die dritte Aufgabe: das Sammeln von praktischer Erfahrung leichter zu machen, eine Forderung nicht nur der Industrie; auch unser Nobelpreisträger Richard Ernst plädiert dafür. Nach dem Bachelor ist ein "Ausflug" in die Arbeitswelt und der Wiedereinstieg in ein Masterprogramm problemlos.

"Bologna" will die Vergleichbarkeit und Mobilität unter den Universitäten fördern. Bekommt bei diesem schönen Ziel die ETH als Spitzenuniversität nicht ein Profilierungsproblem?

Osterwalder: Wir haben gesagt: wenn jetzt die grosse europäische Verbrüderung kommt, muss es Abstufungen unter den Universitäten geben. Zu diesem Zweck haben wir kleine Netzwerke ins Leben gerufen, die einerseits hochstehende Qualität und eine Gleichbehandlung der Studierenden untereinander gewährleisten. Ein solches Netzwerk haben wir uns mit der IDEA League mit dem Imperial College in London, der Technischen Universität Aachen und der Technischen Universität Delft geschaffen. Darüber hinaus arbeiten wir an Partnerschaften mit führenden aussereuropäischen Universitäten, Schwerpunkte sind hier Amerika und Asien. Je grösser der Pool, aus dem wir auswählen können, desto mehr können wir auf höchstem Niveau auswählen.

Wer darf künftig in ein ETH-Masterprogramm einsteigen?

Osterwalder: Ein Bachelor - irgend ein Bachelor - genügt nicht. Die ETH hat den Grundsatz geprägt "A bachelor is not a bachelor" - er kursiert jetzt in ganz Europa. Die weiteren Zulassungsbedingungen werden von der ETH in jedem Studiengang einzeln definiert und vermutlich von Fall zu Fall geprüft werden.

Gefährdet das aber nicht das Ziel der erhöhten Mobilität?

Osterwalder: Das ist ein politisches Ziel, das per se vor den akademischen Kriterien nicht bestehen kann. Wenn wir sagen würden, wir akzeptieren jeglichen Bachelor, wäre das der Untergang der tertiären Ausbildung. Sehen Sie: die Matura ist zwar generell das Eintrittsticket für die ETH; aber den eigentlichen Prüfstein bildet bei uns das erste Vordiplom. Wenn wir nun ein Masterprogramm von, sagen wir, bloss einem Jahr Dauer anbieten, müssen wir genau prüfen, was diese Leute für Qualifikationen mitbringen.

Herr Osterwalder, Sie selbst haben nie einen Master gemacht und sind als ETH-Absolvent ein Musterbeispiel eines Akademikers mit einer universitären Karriere, die internationaler kaum sein könnte, unter anderem mit langen Jahren Tätigkeit in Harvard. Man könnte also sagen: Wer will und gut ist, braucht das neue System gar nicht.

Osterwalder: Nach dem Doktorat war bei entsprechender Qualität der internationale Austausch immer möglich. Wer bis jetzt vorher ins Ausland gehen wollte, verlor Zeit. Das Problem ist, dass unser Diplom an den meisten amerikanischen Spitzenuniversitäten nicht als Master anerkannt wird, weil es der Erstabschluss ist - das ist verheerend. Wer nun sagt, es kommt doch nicht auf Formales, sondern auf die Qualität an, dem sage ich: Die Universtitätswelt funktioniert leider nicht so. Harvard kann für zehn Studienplätze in der Graduatestufe aus Hunderten von Anmeldungen auswählen. In der ersten Runde werden all jene, die dem formalen Standard nicht entsprechen, ausgesiebt. Wir brauchen also den Bachelor nur schon aus formalen Gründen. Dazu kommt: Wir haben auch ein Mittelfeld von Studierenden, für die es entscheidend ist, dass sie die besten formalen Voraussetzungen bekommen.




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