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Publiziert: 05.09.2002 06:00

ETH-Wissenschaftler zum Johannesburger Weltgipfel
"Kein Fortschritt ohne Ökologie"

Gestern ging er zu Ende: Der Johannesburger Weltgipfel für nachhaltige Entwicklung war mit seinen rund 45'000 Beteiligten buchstäblich ein ‚Mega-Event'. Trotz Misstönen hat er nach Urteil vieler Beobachter der 1992 in Rio beschlossenen "Agenda 21" neuen Auftrieb gegeben. Nur müssen die jetzt gemachten konkreten Versprechen auch angepackt und verwirklicht werden, so die Einschätzung von ETH-Ökologe Andreas Fischlin und Nobelpreisträger Richard Ernst.

Von Norbert Staub und Christoph Meier

Als "Symbol der Hoffnung" bezeichnete US-Aussenminister Colin Powell den Johannesburger Gipfel in seiner Rede. Nicht ganz so sahen es die Nichtregierungsorganisationen, die am Abschlusstag den Anlass demonstrativ vorzeitig verliessen. Wie man den Anlass auch bewerten möchte, die Ausbeute an konkreten Plänen ist magerer ausgefallen, als sich viele erhofften. So schaffte es zum Beispiel die EU nicht, einen 15 Prozent Anteil an erneuerbaren Energien am Gesamtverbrauch verbindlich festzuschreiben.

Ziele waren sehr hoch

"Ist das Glas nun halb voll oder halb leer?" entgegnet ETH-Ökologe Andreas Fischlin gegenüber ETH Life auf die da und dort zu hörende Kritik, der Gipfel sei zu unverbindlich gewesen. "Die Ziele vor 10 Jahren sind sehr hoch angesetzt worden", sagt Fischlin und fährt fort: "Wer geglaubt hat, dass diese Messlatte in der Mitte einer erhofften Realisierung liegen würde, unterschätzt meines Erachtens die Tiefe der hierzu erforderlichen Eingriffe in unsere Wirtschaft, die Gesellschaft oder Gewohnheiten." Der emeritierte ETH-Chemieprofessor und Nobelpreisträger von 1991 Richard R. Ernst meint dazu: "Was immer gemacht wird: es hat einen kleinen positiven Effekt, ob Grossanlass oder das Wirken im Kleinen. Es gibt kein Entweder oder, sondern nur ein Sowohl als auch."

Kyotoprotokoll bald umgesetzt

"Bereits der erste Weltgipfel in Rio hat zu vielen Fortschritten geführt, die ich als beachtlich bezeichnen möchte: etwa die Agenda 21, die Convention on Biological Diversity (CBD) oder das United Nations Framework Convention on Climate Change (UNFCCC), so Fischlin. Auch der Johannesburger Gipfel hat für den Wissenschaftler viel Erfreuliches und Positives gebracht: "Russland und Kanada haben die Ratifizierung des Kyotoprotokolls angekündigt und es wurden alle Staaten, damit auch die USA, aufgefordert, innert nützlicher Frist zu ratifizieren." Dass wir mit der Inkrafttretung des Kyotoprotokolls rechnen dürfen, erachte er als einen ausserordentlich wichtigen Schritt auf einen wirksamen Klimaschutz hin.

Und schon jetzt gebe es auch in den USA starke Kräfte, die ein völliges Abseitsstehen der USA, schon nur aus ökonomischen Gründen, auf alle Fälle vermeiden wollten. Fortschritt ohne die Ökologie, das hätten beide Erdgipfel gezeigt, könne es im Endeffekt nicht geben. Leben auf Kosten der Lebensgrundlagen zahle sich nie aus. "Hätte es den Gipfel nicht gegeben, hätten wir ihn erfinden müssen." Die Welt brauche solche Treffen - sei der Weg zum angestrebten Ziel auch noch so steinig.


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Gipfel soll Forschung anstacheln

Die Rio-Konferenz wirkte indirekt, so Fischlin, für die Forschung etwa im Bereich Klimamodellierung als eigentlicher Beschleuniger. Ähnliches erhofft der Ökologe sich nun für weitere Forschungsgebiete. So sei bei der Erforschung von Ökosystemen in einer dem Klimawandel unterworfenen, globalen Umwelt noch sehr viel zu tun. Durchbrüche seien allerdings nur zu erwarten, wenn die isolierten Forschungsbemühungen geschickt kombiniert würden - zum Beispiel die Ökophysiologie mit ökologischer Feld- und Modellforschung. "Ich hoffe, dass, was die 90-er Jahre für die Klimamodellierung gebracht haben, die kommenden zehn Jahre für die Ökosystemforschung bringen werden."

Generell müsse die Wissenschaft "viel, viel mehr Verantwortung" für die zukünftige Entwicklung der globalen Gesellschaft übernehmen, sagt Richard Ernst. Nicht zuletzt auch, weil von den politisch und ökonomisch Tonangebenden hinsichtlich langfristiger Problemlösung wenig zu erwarten sei. "Der kurzfristige Eigennutz steht überall im Vordergrund", so Ernst. "Wissenschaftler sind zwar auch keine Engel. Trotzdem erwarte ich von ihnen mehr kritische Objektivität."

"Wirtschaft auf dem Holzweg"

Was fordert die Wissenschaft, damit dereinst ein Gipfel "Rio+20" substanzielle und für alle Nationen verbindliche Ergebnisse vorweisen kann? - "Die Einsicht, dass nur mittelfristige Geduld und Zähigkeit wahre Fortschritte bringen werden", meint Andreas Fischlin. "Denn nachhaltige Entwicklung muss die naturwissenschaftlichen Gesetze berücksichtigen und geschickt miteinbeziehen."

Einige davon, meint Fischlin, wirkten sich nur langsam aus. So verlaufe der Klimawandel schleichend, ja unbemerkt ab: "Wir entscheiden heute für unsere Zukunft in zirka 30 Jahren. Im Jahr 2030 können wir aber die Fehler von heute nicht kurzfristig korrigieren, so sehr wir uns das dann vielleicht wünschen werden."

Richard R. Ernst ortet den dringendsten Handlungsbedarf in der Beschränkung des unnötigen Verbrauchs ganz allgemein, aber insbesondere von Energie, und hier speziell im Verkehr. "Wir sollten zur Überzeugung gelangen, dass sich unsere Ökonomie, die auf stetem Wachstum basiert, auf einem Holzweg sich befindet. Wir müssen Wege finden, auch mit einem stagnierenden Wirtschaftsvolumen leben zu können", so Ernst.

"Auch Chance gegen Terrorismus"

In Anbetracht der aktuellen Dringlichkeit und Komplexität der anstehenden politischen, ökonomischen und ökologischen Probleme glaubt Andreas Fischlin nicht, dass die Völkergemeinschaft sich Beschlüsse aus kurzfristiger Perspektive leisten könne. Und nicht zuletzt, so Fischlin, sei das Handeln auf nachhaltigem Fundament auch die beste Vorbeugung gegen Gefahren wie den Terrorismus, das habe kurz vor dem Gipfel, so Fischlin, auch ein hochrangiges Expertengremium betont: "Laut dem Secretary-General's Advisory Panel for the World Summit on Sustainable Development besteht ein wichtiger Zusammenhang zwischen Sicherheit, Gewalt und der Integrität natürlicher Ressourcen".


Literaturhinweise:
World Summit on Sustainable Development in Johannesburg: http://www.johannesburgsummit.org/index.html



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