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Rubrik: Mittwochs-Kolumnen
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Publiziert: 28.03.2001 06:00

Chemie: beliebter Sündenbock
PSE - das Allerletzte

Von Reinhard Nesper (in Erwartung des 1.4.2001)

Wie schön waren noch die Zeiten, als die Chemie nur für die kleinen Löcher zuständig war, und ChemikerInnen die (Jahr-)Märkte beherrschten. Heute herrscht die gesunde Menschen-Meinung über alles, und die wird nur noch von der Börse übertroffen, welche wiederum macht, was keiner voraussagt (leider auch das nicht lange). Damals jedenfalls hätte man noch mit Begeisterung sagen können: "Ein Loch ist da, wo etwas nicht ist." (1)Das ist positiv - oder zunächst noch nicht schlimm (ausser bei der Börse, da ist das Loch - dort, wo das Geld weg ist). Einer meiner spritzigsten Kommilitonen im Praktikum war der "Sprengmeister", der in völligem Netzkittel durchs Labor glitt: Nein, kein roter Phosphor und ..., nur Mineralsäuren - völlig clean. (Heute schlägt man ja schon im First Aid nach, wenn Mineralwasser auf die Hose kommt). Im 7. Semester fiel er richtig ins Loch, und wir verloren ihn an die Medizin. Heute sitzt er auf der richtig cleanen Seite der Medikamentenpackung. Naja, wir Chemiker haben uns ja daran gewöhnt - laufen heute in Tarnkleidung durch die Menge und lüften nur kurz die Kapuze, wenn ein schmerzverzerrtes Gesicht raunt: " Hasti ne Aspi?!" Ich sag's Ihnen, wie die Christen im Alten Rom, populistisch gesehen schon ziemlich illegal.

Heute sind ChemikerInnen für fast alles zuständig - beinahe wie die Börse - nur dass wir nicht so sauber abschreiben können. Die Aspi ist halt kein Buchwert, die muss man schon schlucken können - hilft dafür aber auch bei Baisse. BaisSE (vielleicht Börse Sinkt Endlos?) - hm, das muss Zufall sein...

Nun, wieder ernsthaft: Die ChemikerInnen sind doch heute für die grossen Löcher und andere Schadensfälle zuständig. Irgendwann kommt nämlich der Rand, und man wird aufmerksam. Das ist ja noch nichts Schlechtes: "Wäre überall etwas, dann gäbe es kein Loch, aber auch keine Philosophie und erst recht keine Religion..."(2) Nun ist aber der Rand des Ozonloches über uns hinweggezogen, und es waren - natürlich, die Chlorkohlenwasserstoffe! Vielleicht ist es im Krieg auch nur das verflixte Pulver?! Die ChemikerInnen sitzen eben immer in der falschen Ecke der Funktion: beim Kühlschrank im Gefriermittel (die Biologen sitzen natürlich auf dem Gemüseblatt), beim Gewehr im Rohr, beim Auto im Auspuff und beim Kernkraftwerk im radioaktiven Iod - da kann man gar nichts machen.

Neulich dozierte ich über Konzentration und Korrosion, als mir der Ausdruck "Lokalelemente mit Rostspuren" entschlüpfte. Am nächsten Morgen standen die Stammgäste des "Palmhofes" vor meiner Tür und verlangten Genugtuung. Ich habe sie nur mit der Drohung: "Bald Ethanol im Alkohol" gefügig machen können. Die Menschen leiden einfach an Überspannung (offenbar eine Reaktion auf Unterforderung)!(3)


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Reinhard Nesper
Reinhard Nesper

Der Migros könnte so etwas nie passieren, obwohl die seit Jahren Mixturen aus Brombeeren (manchmal auch Seltene Erdbeeren) und CaCaO anbieten. Sie nennen es einfach "Eis und Heiss", was natürlich falsch ist, aber gesünder klingt als "H2O + Delta T". Das wird bald auch keiner mehr bemerken, weil heute sowieso keiner mehr Chemie macht (das ist ja schon fast so illegal wie Graphitieren). Der Kenntnisstand der Chemie der Jungen wird treffend beschrieben mit dem Gleichnis: Cobaltocen = CoO10. Meine Güte, das würde krachen - an der Börse würde man das "Visionen beflügeln" nennen. Aber keine Angst, ich will nicht zu schwarz malen: So viel hat Chemie mit der Börse nicht gemein - chemisch ist CoO10 kein Buch wert!

Aber seit kurzem habe ich Angst. Die Ruhe und Abgeschiedenheit, mit der die letzten Wackeren durchs abgedunkelte Labor huschten, könnte bald vorbei sein: Schemenhafte Gestalten, die sich mit Rufen des Entzückens um leuchtende Flüssigkeiten und Schälchen mit Farbringen scharrten - "Megalumi! Supergeiler Belousov"! Diese Idylle könnte der Vergangenheit angehören, es kann nicht mehr lange dauern, bis die Zusammenhänge glasklar werden: Die Löcher im Käse sind chemischen Ursprungs(4) und, schlimmer noch, die Löcher in Rinderhirnen ebenfalls! Irgendeines der Elemente aus dem Periodensystem (Periodic System of Elements) wird schon seine Elektronenhülle dafür hergeben müssen, und man wird wissen: Es war nicht BSE, es war wieder einmal PSE!

Spätestens dann wird die Chemie aus dem Zentrum verschwinden und sich in geheime neue Katakomben am Rande der Stadt zurückziehen müssen. Nur dort wird man dann noch ungestört der Lust der Elemente frönen. Die wehrhaften Gebäude halten jeder Attacke stand. Sollten StudentInnen dennoch zu uns stossen wollen, so müssen sie mutig, entschlossen und lustvoll sein - diese Kunst verlangt wackere Geister!


Fussnoten:
(1) Kurt Tucholsky, "Zur soziologischen Psychologie der Löcher" (empfohlene Lektüre I zum Sommersemester 2001 zur Vermeidung von Kreditlöchern.)
(2) ebenda.
(3) Energieerhaltungssatz (Überspannung + Unterforderung = Fernsehen = const.)
(4) Kurt Tucholsky, "Wo kommen die Löcher im Käse her -?" (empfohlene Lektüre II zum Sommersemester 2001 zur Vermeidung von Traurigkeit)



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