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Rubrik: Mittwochs-Kolumnen
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Publiziert: 20.02.2002 06:00

Sieben Schlussfolgerungen nach der Abstimmung im deutschen Bundestag
Stammzellforschung wohin?

Von Helga Nowotny

Nach dem 'bedingten Ja' des deutschen Bundestags zum Import von Stammzellen unter strengen Auflagen sehen die einen darin eine 'Aushöhlung der Rechtslage', während andere eine Vernetzung der Forschung an adulten und embryonalen Stammzellen fordern und dafür ein internationales "Human Stem Cell Project", analog dem Humangenomeprojekt, vorschlagen. Ist die Entscheidung des deutschen Parlaments als exemplarisch dafür anzusehen, wie die Gesellschaft mit einer umstrittenen Forschungsrichtung demokratisch umzugehen vermag?

auflistungszeichen 1. Die Debatte wurde auf sehr hohem Niveau geführt. Alle Kommentare waren sich darin einig, dass Ernsthaftigkeit jede Polemik überwog und bescheinigten den PolitikerInnen einen hohen Grad an demokratischer Reife.

auflistungszeichen 2. Wo die Kluft zwischen den Extremen des 'Pro' und des 'Kontra' zu gross ist, helfen nur Kompromisse weiter. Ein sorgfältig ausgehandelter Kompromissvorschlag erzielte schliesslich die erforderliche Mehrheit. Kompromisslösungen stärken die Demokratie - auch wenn über Grenzen und Möglichkeiten der Forschung abgestimmt wird.

auflistungszeichen 3. Der Weg zu einem europäischen Forschungsraum, der den Abstand zu den USA durch eine grössere Kohärenz und Mobilisierung der Forschung in Europa verringern soll, ist durch die Abstimmung im Deutschen Bundestag länger geworden. Die Auflage, Deutschland möge sich auch bei den EU-Partnerländer dafür einsetzen, dem 'Verbrauch weiterer Embryonen entgegen zu wirken' erschwert es, eine einheitliche Linie in den EU-Ländern zu finden. Unterschiedliche Methoden der Gewinnung, Importrestriktionen, private oder öffentliche Finanzierung mögen zwar zu den Spielregeln eines 'moralischen Marktes' gehören, doch eine einheitliche überstaatliche Regelung wäre vorzuziehen.


Zur Person

"Tolle Arbeitsbedingungen und eine internationale Atmosphäre, die in Europa ihresgleichen sucht", umschreibt Helga Nowotny die Trümpfe der ETH. Seit 1995 ist sie, die in Wien Jura und an der Columbia University Soziologie studierte und später an der Wiener Uni das Institut für Wissenschaftstheorie leitete, Professorin für Wissenschaftsforschung und -philosophie an der ETH. Und seit 1998 führt sie als Nachfolgerin von Adolf Muschg das Collegium Helveticum in der Sternwarte, den schweizweit einmaligen Think Tank, der die Forschung sich selbst zum Thema werden lässt. "Die Forschung muss raus aus den Labors, wenn sie sich von der Gesellschaft nicht entfremden will", lautet eine ihrer Kardinalbotschaften. Ihre Mitbegründung der Stiftung "Science et Cité" ist sichtbares Zeichen dafür. Eine weitere ihrer Botschaften: "Wissenschaft muss sich politisch einmischen". Auch dafür liefert Helga Nowotny gleich selbst das Beispiel: Im September 2001 wurde sie in den Rat der Weisen des EU-Forschungskommissars Philippe Busquin berufen.




helga nowotny
Helga Nowotny, Professorin für Wissenschaftsforschung an der ETH und Leiterin des Collegium Helveticum. gross

auflistungszeichen 4. Alle nationalstaatlichen Gesetzgebungen können sich auf historische, kulturelle oder sonstige verfassungsmässig gewährleistete Besonderheiten berufen. Im Fall Deutschlands mag das schwere Erbe der NS-Vergangenheit eine Rolle gespielt haben, was für die liberale Gesetzgebung Grossbritanniens oder Schwedens nicht ins Gewicht fällt. Dennoch ist es von Vorteil, die Argumente der anderen Länder zu hören und zu diskutieren, wie beispielsweise die Gründe, die Israel zu einem Exportland für Stammzellen machen.

auflistungszeichen 5. Die unterschiedlichen Empfehlungen, zu denen der deutsche Nationale Ethikrat und die Bundestags-Enquete-Kommission gelangten, zeigen die allgemein prekäre politische Stellung von Ethikkommissionen auf. Expertise, auch in Sachen Ethik, darf sich nicht rückwirkend von der Zusammensetzung der Gremien ableiten lassen.

auflistungszeichen 6. Die Forschung tut gut daran, nicht zuviel und nicht zu früh zu versprechen. Sie ist nun unter Zugzwang, ihren Worten Taten folgen zu lassen - so wird es zumindest in der Öffentlichkeit wahrgenommen.

auflistungszeichen 7. Zwischen dem "Damm", der Einhalt gebieten soll und dem "Spalt in der Tür", durch den die Zukunft herein gelassen werden soll, gibt es noch viele, nicht vorhersehbare wissenschaftliche Entwicklungen. Forschung bringt das Neue hervor und verändert bereits morgen das heute bekannte Wissen. Sie darf nicht vergessen, dass auch die Gesellschaft Zeit braucht, um sich auf das Unerwartete vorzubereiten und sich die Faszination anzueignen, die von den zukünftigen Möglichkeiten ausgeht - auf ihre eigene Art.




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