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Rubrik: Mittwochs-Kolumnen
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Publiziert: 30.10.2002 06:00

In der Schweiz findet sich eine Kombination von Exotik und Heimatgefühl
Als Deutscher in der Schweiz

Von Richard Pink

Nie hätte ich früher gedacht, dass ich einmal auf Dauer in der Schweiz leben und mich in diesem Land so heimisch fühlen würde. Wenn ich mich fragte, ob ich überhaupt permanent ins Ausland gehen würde, dachte ich sicher nicht an die Schweiz, sondern an Länder wie die USA oder Frankreich. Seit 3 Jahren lebe ich nun hier. Was bedeutet das für mich?

Kurz gesagt: Ich habe die ideale Kombination von Exotik und Heimatgefühl gefunden. Ja, so empfinde ich es. Mir macht es Spass, als willkommener Ausländer hier zu leben. Ich unterliege keinem Zwang, mich mit allem zu identifizieren, und habe das Interesse und die Musse, den Besonderheiten von Schweizer Identität und Lebensgefühl nachzuspüren. Gibt es zum Beispiel die vielbeklagte Schweizer Drögheit, das Hinterwäldlertum wirklich? Ich habe bisher nur wenig davon angetroffen. Ich bezweifle, dass es mehr davon gibt als in den Nachbarländern. Auch die bürokratische Sturheit ist nicht so schlimm wie in Deutschland.

In vielem ist man höflicher, leiser, und indirekter als der nördliche Nachbar. Daran finde ich viel Positives. In Deutschland herrscht mir zuviel Aggression und Rechthaberei, wie zum Beispiel auf den Strassen. Dort hat man Angst, man vergibt sich etwas, wenn man nicht auf seinem Recht beharrt. Als Schweizer dagegen wächst man vielleicht in dem Bewusstsein auf, durch die Rücksicht auf andere und die ständige Konsenssuche allzusehr eingeengt zu werden, und man würde auch gerne einmal ein reinigendes Gewitter loslassen. Da finde ich es wichtig, beides zu können; da sollten beide voneinander lernen.


Zur Person

Richard Pink wurde am 29. Juli 1959 in Karlsruhe geboren. Das Studium der Mathematik begann er 1979 in Karlsruhe und schloss es 1985 in Bonn mit dem Diplom ab. Nach einem Jahr als Gaststudent in Princeton wurde er wissenschaftlicher Assistent in Bonn und promovierte dort im Jahr 1989. Bald darauf im Jahr 1991 habilitierte er sich in Bonn. Richard Pink ist seit Oktober 1999 ordentlicher Professor am Departement Mathematik der ETH Zürich.

Die Forschungstätigkeit von Richard Pink erstreckt sich auf verschiedene Teilgebiete von Algebra und Zahlentheorie. Seine Beschäftigung mit der Arithmetik von Shimura-Varietäten und der Kompaktifizierung von Modulräumen erwuchs aus seiner Dissertation und Habilitation bei G. Harder in Bonn.




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ETH-Mathematikprofessor Richard Pink: "Um anerkannt zu werden, muss man nicht mit jeder Neuerung als Erster voranpreschen." gross

Doch wieso Exotik und Heimatgefühl? Letzteres wegen der gemeinsamen Sprache und Kultur, und zum Ersteren: Lieber ein Fremder in einem fremden Land sein als ein Fremder im eigenen Land. Die Kuhglocken in den Schweizer Bergen erzählen mir von einer heilen Welt, die es irgendwo in unserem Kopf noch gibt, genauso wie der Schrei eines Kamels in Ägypten es tun könnte. Oder die kulturelle Vielfalt und Weltoffenheit der einstigen Zwinglistadt Zürich. Am Zürifäscht oder der Streetparade bis zum Morgengrauen abzutanzen, nahe einiger Bastionen von Schweizer Rechtschaffenheit, das hat etwas.

Schade finde ich, wenn andere, mit einer genauso positiven Einstellung zur Schweiz wie ich, nicht ebenso willkommen geheissen werden. Auch betrübt es mich, dass ich kein aktives Wahlrecht wenigstens in kommunalen Dingen habe. Sicher, nach 8 Jahren werde ich die Einbürgerung beantragen können. Doch warum sollte ich, um ein Mitspracherecht für die Verwendung meiner Steuergelder zu haben, meine durch die Nationalität ausgedrückte Identität wechseln müssen?

In meiner Lieblingsanekdote wird Einstein gefragt, was er täte, wenn er wüsste, dass am nächsten Tag die Welt untergehe. Er antwortet, er würde sofort in die Schweiz fahren, weil dort alles mit 20 Jahren Verspätung geschieht. Steht dieses Beharrungsvermögen, das man an der Schweiz oft belächelt, nicht auch für eine Kontinuität, die man an ihr schätzt?

Man sollte nicht zuviel hören auf diejenigen, für die alles Neue gut und alles Alte schlecht ist. Um anerkannt zu werden, muss man nicht mit jeder Neuerung als Erster voranpreschen. Es ist doch viel gescheiter, zuerst die anderen ihre Fehler begehen lassen und es dann auf der Basis dieser Erfahrungen gleich besser zu machen. Es muss ja nicht immer so lange dauern wie mit dem Frauenwahlrecht in Appenzell-Innerrhoden oder dem nun endlich vollzogenen UNO-Beitritt.




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