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Rubrik: Mittwochs-Kolumnen
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Publiziert: 29.11.2000 06:00

STOP RINDS!

Von Arnd Bätzner

Am Anfang war das Rind. Seine Domestizierung fand ihren Ursprung in Mesopotamien und bildete die Grundlage für Abkehr vom reinen Sammlertum, für Sesshaftigkeit, Nutztierwirtschaft und Städtebau. Irgendwann in den Sechzigern kamen welche auf die Idee, einen ökonomischen Kreislauf dem natürlichen zu substituieren und die Kuh zur Fleischfresserin zu machen. In den Siebzigern kamen die Ferien auf dem Bauernhof und in den Neunzigern eine gepflegte Moorhuhnjagd auf dem PC.

Nun schreien sie wieder. Alle. Wild durcheinander. Hände werden in die Luft geworfen, Köpfe in der seit den Achtzigern modischen Betroffenheit geschüttelt. Doch diesmal geht es nicht um einen ausgebrannten LKW im Tunnel: Man hatte von Wissenschaftern gelesen, die begonnen hatten, die komplexen Abläufe von Übertragungswegen und Interaktionen des bovinen Syndroms auseinanderzunehmen, die ihre Sorge bekundeten vor dem was sie sahen - oder eben nicht sahen. Sie hatten gewarnt vor der falschen Sicherheit, die einem schon recht war. So genau wollte man es ja auch gar nicht wissen, denn die Kalbswurst an der Chilbi ist schon jetzt bei 6 Franken, wer wollte da noch Bio-Chlöpfer aus nichtkannibalischer Haltung fordern?

Schon vor drei Jahren lasen wir im Internet den Witz vom deutschen Politiker Möllemann, der als Innenminister einem Jakob Creutzfeld, dem Erfinder des Rinderwahnsinns, sofortiges Einreiseverbot erteilen wollte. Aber sind es denn wirklich nur "die" in Brüssel/Berlin/Bern, die da naiv verharmlost haben? Sind es die Wortgewaltigen des Agrobusiness und die weltweite Fleischmafia, die die zur Umsicht Mahnenden, grinsend ihr Geld zählend, niederbeschwichtigt haben?

Oder war es letztlich auch eine vox populi die, obschon mit einer periodisch wiederkehrenden, unterschwelligen Mulmigkeit, doch lieber nicht so ganz ernst nehmen wollte, was da so im fernen England oder im immer noch weit entfernten Frankreich passierte, und - wer sollte es ihr verdenken - lieber in Bratspiess und Burger biss? Und wollte man auf der anderen Seite hereinfallen auf die nicht minder zweifelhaften Tierschutz-Radikalen, von deren seit jeher unisono laut schreiender Speerspitze problemorientierte Kompetenz ebensowenig zu erwarten war?


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Die Schuld allein dem Verhalten der Öffentlichkeiten in den Ländern Europas zuzuschreiben ist wohl verfehlt. Die Wirkungsweise der Massenpsychologie, insbesondere des angenehmen Mechanismus' kollektiver Verdrängung, sind bekannt. Es wäre an den Wissenschaftern in Hochschulen und ihrer Stäbe angewesen, sich dieser Kenntnisse zu bedienen, um bei den ersten Zeichen der auf ihren Erkenntnissen - und sei es nur deren weitgehendes Fehlen - basierenden Konsternation steuernd einzugreifen und ihren Standpunkt lautstark und deutlich in Presse, Funk und Beizengespräch zu replizieren, statt im Hintergrund mit dünner Stimme Allerwichtigstes dem Laborkühlschrank zu erzählen.

Jeder Student des Modefachs Publizistik lernt in den ersten beiden Semestern, welchen Weg ein "Thema" traditioneller Art in der Presse nimmt: Von der Randnotiz zum Vermischten, weiter z.B. in den Inlandteil, und dann eine Zeit lang eine gemittelte Stagnation der Präsenzkurve, bis zu deren asymptotischen Absinken - oder einem plötzlichen Ausbruch nach oben, direkt auf die Frontseite der Tabloide.

Es geht nicht darum, ein Recht auf Sensationsbildung für die Wissenschaft zu fordern oder sie vor den Karren einer wie auch immer gearteten Kultur des warnenden Zeigefingers zu spannen. Bleibt aber festzustellen, dass wie schon so oft zuvor die Forscher, die zum grössten Teil in Hochschullabors lernen und lehren, Wesentliches auf dem Papier hatten, nur fand es nie den massenweisen Durchbruch zum breiten Adressatenfeld, der so wünschenwert gewesen wäre. Die bessere Venehmbarkeit der Hochschulen im gesellschaftlichen Diskurs wäre nicht zuletzt ein wirksames Mittel zur Abgrenzung ernster Lagebeurteilungen von allgemeiner Panikmache.

Auch der Fall der "vaches folles" betrifft die ETH Zürich unmittelbar, denn es geht, ohne auch nur im Ansatz zynisch zu werden, weniger um das Spezifische an der causa BSE als um die Aufgabe der Wissenschaft, ihre Erkenntnisse frühzeitig auch ausserhalb von "Nature" bekannt zu machen. Die Experten, ob für die Wiederherstellung der Sicherheit eines Reaktors oder die Analyse eines Seilbahnunglücks, sind in hoher Zahl und hochkarätiger Form am Platz Zürich präsent. Wann wird man ihre Stimme auch im Tagesgeschäft vernehmen?


Zur Person

Arnd Bätzner wurde in Bonn/Deutschland geboren und ist im französischen Jura aufgewachsen. Er hat am Konservatorium in Genf Klavier studiert und bereitet sich zurzeit auf das Diplom vor in Hochenergiephysik an der ETH. Bätzner ist seit Herbst 1998 Präsident des Verbandes der Studierenden der ETH (VSETH).






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