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Rubrik: Mittwochs-Kolumnen
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Publiziert: 13.03.2002 06:00

Wissen - ein wichtiges Kulturgut
Ein Blick nach unten

Von Paul Schmid-Hempel

Haben Sie kürzlich mal nach unten geschaut? Mit der einsetzenden Erwärmung des Bodens im Frühjahr werden die vielen Ameisenarten an Wegrändern und in Vorgärten wieder aktiv. Ein solcher Insektenstaat vermittelt zunächst den Eindruck eines heillosen Durcheinanders und hektischen Gewühls. Doch geduldige Studien haben gezeigt, dass das Ganze gut organisiert ist. Zum Beispiel unterscheiden sich die Arbeiterinnen in ihren Aufgaben und erfüllen so verschiedene Funktionen in sinnvoller Weise. Dank der effizienten Arbeitsstrategie kann eine Ameisenkolonie viele Jahre, manchmal Jahrzehnte, überleben und dabei riesige Ausmasse annehmen (bei einigen tropischen Arten bis über 20 Millionen Individuen). Wussten Sie auch, dass die meisten der etwa 12'000 Ameisenarten eine Metapleuraldrüse besitzen? Diese produziert eine erstaunliche Vielfalt von chemischen Substanzen, welche wohl der Erkennung der Nestgenossinnen (ja, für einmal handelt es sich um eine von Frauen dominierte Gesellschaft...) und zur Markierung des Territoriums dienen.

Hmm, so werden Sie sich jetzt fragen, alles schön und interessant, aber an der ETH gibt es doch sicherlich Wichtigeres als Geschichten über Ameisen. Nun will ich nicht behaupten, dass Ameisen das Wichtigste der Welt sind, und gegen die Errungenschaften der modernen Computertechnik mögen ihre simple Strategien geradezu verblassen. Doch sie stehen hier für das Studium der riesigen biologischen Vielfalt und damit für das Neugier des Menschen an der belebten Natur. Auch wenn man dies im städtischen Alltag nicht immer so deutlich sieht, diese Welt ist nicht etwas Entferntes und Mystisches, sondern ein unmittelbarer Teil unserer Daseins und unserer evolutiven Geschichte. Nicht nur das kulturelle Erbe, auch das biologische Erbe ist deshalb erforschenswert.

Leider vergessen wir bei der Diskussion um unsere "Produkte" oft zu erwähnen, dass Forschung nicht nur unmittelbar Nützliches, sondern auch ein wichtiges Kulturgut, nämlich Wissen, produziert. Wissen wird aber die gesellschaftlichen Handlungsweisen beeinflussen, wobei gerade das biologische Erbe eine wichtige Zukunftsfrage sein wird. Das Publikum schätzt das biologische Kulturgut übrigens sehr, was die Popularität von Natursendungen, eindrücklich belegt (übrigens ein exzellenter Werbeträger für die Anliegen der Forschenden). Dies darf uns stolz machen. Natürlich gilt das Gesagte beispielsweise auch für die Struktur des Grönlandeises oder die Gesetze des Klimawandels, doch scheinen es die Ameisen irgendwie immer schwerer zu haben.


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paul schmid-hempel
Paul Schmid-Hempel, Professor für experimentelle Ökologie an der ETH.

Ach ja, fast hätte ich es vergessen. Die scheinbar abgehobene Erforschung der Organisation von Ameisenkolonien hat zu neuen Erkenntnissen für die Steuerung von Robotern geführt, oder zu Algorithmen, welche alte mathematische Knacknüsse, wie das "travelling salesman" Problem, effizienter lösen. Es gibt also auch einen handfesten Nutzen, und es zeigt sich erneut, dass das Kulturgut von heute die Anwendung von morgen ist. Hmm, noch etwas--in der Zwischenzeit wurde auch entdeckt, dass besagte Metapleuraldrüse eine ganz andere Funktion hat. Sie produziert nämlich höchst effektive Antibiotika, welche das Tier vor Infektionen durch Bakterien und Pilze schützt. Das esoterische Studium einer scheinbar unwichtigen Drüse hat damit zur Entdeckung geführt, dass ein riesiges Potential neuer Medikamente jeden Tag zu unseren Füssen herumkrabbelt. Ein Blick nach unten würde Ihnen also bestimmt nicht schaden.


Zur Person

Für Hummeln hat er eine besondere Schwäche. Paul Schmid-Hempel ist Professor für Experimentelle Ökologie an der ETH und Spezialist für Fragen der Evolution. Spannend ist die Erforschung sogenannt sozialer Insekten vielleicht auch darum, weil die Beobachtung ganzer Insektenvölker manchmal an menschliches Verhalten erinnert. Auch der heutige Mensch sei "Produkt" der Evolution, erklärt Hempel. Dass natürliche Selektion in der Evolution eine wichtige Rolle spielt, sei nicht wegzudiskutieren. "Für die Biologie ist schon lange klar: Darwin hatte prinzipiell Recht."

Paul Schmid-Hempel hatte an der Uni Zürich Biologie studiert, seine Karriere verlief über die Stationen Oxford, Vancouver und Basel - dann, 1991, kam der Ruf an die ETH. "Zurück zu den Wurzeln - damit hatte ich anfangs Mühe. Andererseits waren da ja bereits neue Gesichter, und die guten Forschungsbedingungen an der ETH, die mich reizten".






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