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Rubrik: Mittwochs-Kolumnen Last orders |
Published: 14.04.2004 06:00 Modified: 13.04.2004 09:24 |
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Von Gudela Grote
Inzwischen bin ich seit sechs Wochen in London, aber doch noch nicht so viel klüger geworden, wie ich mir das gewünscht hätte. Viele Fragezeichen bestehen noch und neue kommen täglich dazu: Wieso eigentlich gibt es im Land der Privatisierung nicht viel mehr private Universitäten? Welche Effekte hat die ausgeprägte „Evaluationskultur“ auf die thematische Ausrichtung von Forschung? Ist das britische Modell der lectureships and readerships neben den Professuren ein Ausweg aus dem „Mittelbaudilemma“? Sind kleine „angelsächsische“ Forschungsguppen im Vergleich zu den grossen „germanischen“ die innovativeren und produktiveren? Die letzten beiden Fragen werden immer wieder heftig diskutiert, und meist ist der Schluss, dass sie mit Ja zu beantworten sind. Aus der direkten Anschauung denke ich auch, dass die Schaffung von unbefristeten und von Professuren unabhängigen Stellen für Forschende und Lehrende eine sehr gute Chance bietet, kreatives Potential viel breiter zu nutzen. So ganz hierarchielos, wie das manches Mal dargestellt wird, sind die entstehenden Strukturen sicherlich aber auch nicht. Wer mehr Ressourcen und Status hat, ist auch in diesem System ein begehrterer Kooperationspartner. Grundsätzlich muss aber jeder seine Kompetenz mehr unter Beweis stellen und die Möglichkeiten „erlaubter“ Kooperation sind viel weniger eingeengt. Wenn also viel Kooperation trotz der gleichzeitigen hohen Leistungs- und Konkurrenzorientierung zu beobachten ist, hat das sicher einiges mit dieser anderen institutionellen Struktur zu tun. Dies steht auch in Verbindung mit der Grösse und Kohärenz von Forschungsgruppen. Es ist hier sicherlich eine grössere Herausforderung, eine „school of thought“ aufzubauen, weil sich ein solches Gedankengebäude in diesen vielfältigeren und weniger hierarchiegebundenen Kooperationsbeziehungen bewähren muss.
Wenn dies trotzdem gelingt, dann hat dieses Gebäude durch das Mehr an Prüfungen und Revisionen aber auch eine bessere Standfestigkeit erreicht. Und daneben gibt es durch punktuelle Kooperationen die Chance, „kleine Innovationen“ hervorzubringen, die je in sich einen Wert haben, ohne notwendigerweise Bausteine für das grosse Monument zu sein. In all dem, gekoppelt mit dem ausgefeilten Evaluationssystem an den Universitäten, steckt natürlich auch ein enormer Leistungsdruck, den man aushalten können muss. Allerdings ist die materielle Zukunft – im Vergleich zur „germanischen“ Mittelbaustruktur – durch die unbefristeten lecturer-Stellen für mehr Forschende zu einem früheren Zeitpunkt in ihrer Laufbahn besser abgesichert. Damit wird die existentielle Unsicherheit reduziert, was Energie freimacht, sich dem wissenschaftlichen Wettbewerb zu stellen. Ein wenig bestürzt war ich aber auch, als ich von einem Kollegen eines sehr gut evaluierten Departments hörte, dass im wissenschaftlichen Wettbewerb aufgrund der gewählten Evaluationskriterien – insbesondere das Publizieren in „high ranking journals“ – bei ihnen die Vielfalt wissenschaftlicher und thematischer Ausrichtungen verloren zu gehen droht. In der Psychologie beispielsweise gäbe es dann bald nur noch mit neuesten bildgebenden Verfahren arbeitende Hirnforscher, da nur diese die geforderte Anzahl an Publikationen in „Nature“ und „Science“ produzieren können. Ob tatsächlich nur diese Forschung die Welt zu einem lebenswerteren Ort machen kann, beantworten vielleicht nicht alle gleich. Beeindruckt bin ich dann aber auch wieder von Kollegen meines eigenen Fachgebiets, der Arbeits- und Organisationspsychologie, die es schaffen, sowohl den akademischen Kriterien in höchstem Masse zu genügen als auch durch sehr programmatische und anwendungsorientierte Forschung zumindest die Arbeitswelt zu einer besseren zu machen. Da fördert das britische akademische System eine Arbeitsqualität in doppeltem Sinn, der ich gerne nacheifere. |