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Rubrik: Mittwochs-Kolumnen


Herausforderung Nachwuchs

Published: 06.06.2007 06:00
Modified: 06.06.2007 09:15
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Anke Neumann und Nadine Schüssler

Neben der Frage, wer denn nun unser neuer Präsident wird, haben in den letzten Wochen und Monaten vor allem zwei Themen die Hochschulpolitik im ETH-Bereich bestimmt: Die strategische Planung für die Jahre 2008-2011 und die zukünftige Vorgehensweise zur Verteilung der Finanzmittel. Während ersteres und letzteres Thema sogar über die ETH hinaus grosse Wellen geschlagen haben, hat die strategische Planung ausserhalb der Gremien leider nur wenig Aufmerksamkeit erfahren. Das ist schade und auch verwunderlich, denn immerhin wird darin festgehalten, wohin die Reise für den „Supertanker“ ETH in den nächsten Jahren gehen wird.

Einer der künftigen Schwerpunkte heisst hier mal Frauenförderung, dort mal Chancengleichheit. Gemeint ist, den Frauenanteil an der ETH auf allen Stufen zu erhöhen. Dazu werden viele verschiedene Massnahmen vor allem im Bereich Rekrutierung angesprochen. Aber ein Aspekt kommt oft zu kurz, der dieses Jahr das Schwerpunktthema der AVETH ist: Die Familienfreundlichkeit. Frauen müssen sich häufig zwischen Kindern und Karriere entscheiden. So gehen der ETH und der Gesellschaft hochqualifizierte Arbeitskräfte und damit viel Wissen und Kreativität verloren. Dabei nützt Familienfreundlichkeit nicht nur den Eltern. Auch die übrigen Mitarbeiter können von einem familienfreundlichen Arbeitgeber nur profitieren. Das steigert wiederum die Motivation und die Identifikation mit unserer Hochschule. Viele werden sich nun jedoch fragen: Was kann eine Hochschule denn tun, um ein familienfreundliches Umfeld zu bieten? Ist ein Kind zu bekommen nicht eine sehr private Sache?

Ja, das ist es. Und in diese private Entscheidung kann und soll die Hochschule auch gar nicht eingreifen. Aber sie kann die Rahmenbedingungen so setzen, dass es Eltern in ihrem täglichen Balanceakt zwischen Familie und Job so einfach wie möglich haben. Dabei kommt den Vorgesetzten eine Schlüsselrolle zu: durch ihre Haltung und Entscheidungen können sie die äusseren Vorgaben familienfreundlich interpretieren oder auch nicht. Los geht es schon, wenn sich der Streifen des Schwangerschaftstests rosa färbt. Dann müssen werdende Eltern nämlich zunächst die eigenen Wünsche und Vorstellungen abklären: Möchte ich weiterhin Vollzeit arbeiten? Oder lieber Teilzeit? Oder möchte ich doch eine Pause machen? Wenn ja, wie lange? Wann, wie und wo möchte ich wieder in den Beruf einsteigen? Was bedeutet eine Pause oder Teilzeit für meine Karriere, für meine Dissertation? Wichtig sind in einer solchen Phase Ansprechpartner, „die sich mit so was auskennen“. Eine gute Anlaufstelle dafür ist Equal, wenn sie auch nicht die Kapazitäten hat, alle werdenden und seienden Eltern an der ETH zu beraten. Zumindest für die Karriereplanung wäre eine institutionalisierte Stelle im eigenen Departement angebracht, die sich mit den Gegebenheiten des Fachbereichs auskennt und für alle Mitarbeiter offen steht. Leider gibt es solche Stellen bisher nicht.

Wenn die grosse Frage des „Was will ich?“ geklärt ist, geht es ans Organisieren. Es tauchen Fragen auf wie: Wen muss ich an der ETH alles informieren? Woher und wie viel finanzielle Unterstützung erhalte ich? Wie lange geht eigentlich der Mutterschutzurlaub? Momentan sind solche Informationen leider noch sehr weit verstreut und teilweise schwer zu finden. Eine Webseite, die als zentrale Informationsstelle für Eltern und ihr Umfeld dient, wäre eine wünschenswerte Dienstleistung unserer Hochschule. Deren Aufbau wird momentan von der AVETH in Angriff genommen. Die Webseite wird in den nächsten Wochen online gehen.

Übrigens: Der Mutterschutzurlaub ist an ETH 16 Wochen lang. Väter erhalten hingegen 2 Tage Urlaub und finden das oft viel zu kurz. Dabei läge ein wesentlicher Schritt für die berufliche Chancengleichheit von Mann und Frau darin, dass nicht nur die Frauen die Hauptverantwortung für die Kinderbetreuung tragen. Dafür müssen Männer die Chance bekommen, sich zuhause stärker engagieren zu können. Wie wäre es also mit einem "Vaterschutz", analog zu den 16 Wochen Mutterschutz?


Zu den Autorinnen

Anke Neumann und Nadine Schüssler teilen sich das Präsidium der Akademischen Vereinigung des Mittebaus der ETH Zürich (AVETH). Neumann, die ihr Doktorat in den Umweltwissenschaften macht, und Schüssler, die dasselbe Ziel am Institut für Verkehrsplanung und Transportsysteme erreichen will, wollen als Kolumnistinnen Themen des Mittelbaus aus ihrer ganz persönlichen Perspektive zur Sprache bringen.

Virulent sei zum Beispiel das Thema Familien an der ETH: Was heisst es, hier als Mittelbauangehöriger eine Familie zu haben oder zu gründen? Grundsätzlich müsste man meinen, so Neumann, dass Akademiker ohne feste Arbeitszeiten genügend flexibel sind, sodass auch eine Partnerschaft mit Kindern im Leben Platz hätte. Doch in der Praxis sehe das häufig anders aus. Schüssler weist darauf hin, dass bei der ETH, die sonst hervorragende Infrastrukturen biete, das Betreuungsangebot zu klein sei. Die beiden Doktorandinnen selbst tragen sich momentan nicht mit dem Gedanken einer Familiengründung, sondern sind teilweise fast schon froh, wenn sie dazu kommen, Sport zu treiben. Solche Tätigkeiten sind für die AVETH-Präsidentinnen ebenso wichtig wie die soziale Integration. Für diese sei es auch von Vorteil, wenn man sich deutsch und deutlich ausdrücken könne. Dies ausländischen Mitarbeitern zu ermöglichen, ist ein weiteres zentrales Anliegen der beiden und der AVETH.


Mittelbauerinnen, AVETH-Co-Präsidentinnen und neu auch "ETH Life"-Kolumnistinnen: Anke Neumann und Nadine Schüssler.

Wenn Eltern weiterarbeiten möchten, ist natürlich zunächst einmal die Frage der Betreuung zu klären. Es gibt an der ETH einige Krippenplätze. Diese werden sogar, in Abhängigkeit vom Einkommen, von der ETH bezuschusst. Aber es sind – wie überall im Kanton – viel zu wenige und die Wartelisten sind lang. Das hat die ETH erkannt und arbeitet am Ausbau der Kinderbetreuung. Doch auch die heutigen Pläne sind bei weitem noch nicht ausreichend. Ein Vorschlag wäre darum ein von der ETH bezahlten Krippenplatz-Zuschuss-Gutschein, den Eltern in einer beliebigen Krippe einlösen können.

Aber auch am Arbeitsplatz gibt es eine Menge zu organisieren. Selbst wenn Mütter Vollzeit weiterarbeiten wollen, sind dringend Fragen zu beantworten wie: Welche Vorsichtsmassnahmen, vor allem im Labor, muss ich während der Schwangerschaft und der Stillzeit beachten? Welche meiner Arbeiten kann und muss ich während meines Mutterschutzes delegieren? Diese Fragen lassen sich wahrscheinlich noch relativ schnell klären, da sie nur temporäre Auswirkungen haben. Entscheidet sich die werdende Mutter oder der werdende Vater jedoch für Teilzeit sind einige weiterreichende Umstrukturierungen nötig. Aufgaben müssen neu verteilt und Zeitpläne, insbesondere für eine Dissertation, angepasst werden. Dies kann nur in enger Zusammenarbeit mit der/dem Vorgesetzten und der gesamten Gruppe passieren.

Sehr viel hängt dabei in der Tat von der Einstellung der/des Vorgesetzten ab. Mit ihr/ihm müssen die werdenden Eltern möglichst frühzeitig das Gespräch suchen und sie/ihn über die Situation sowie die eigenen Wünsche informieren. Dabei ist zu beachten: Ein Recht auf Teilzeit haben wissenschaftliche Mitarbeitende an der ETH nicht! Auch flexible Arbeitszeiten müssen nicht gewährt werden. Dabei sind diese für alle Eltern, ob sie nun Teil- oder Vollzeit arbeiten, enorm wichtig, ebenso wie Besprechungen nicht zu familienunfreundlichen Zeiten anzusetzen. Ein guter Chef, und davon gibt es an der ETH zum Glück eine Menge – so das Feedback der Eltern auf eine kleine Umfrage der AVETH – unterstützt seine Mitarbeitenden und hilft konstruktiv, die „Herausforderung Baby“ anzugehen und die damit verbundenen organisatorischen Fragen zu klären. Hilfreich wäre es, wenn ein solches Verhalten auch von offizieller Seite honoriert und belohnt werden würde.

Was bedeutet der Nachwuchs weiterhin für die Arbeitsgruppe? So sehr sich die Gruppenmitglieder auch mit den Eltern freuen, primär werden SIE zusätzlich belastet. Deswegen werden sie idealerweise frühzeitig mit ins Boot geholt und die Umverteilung der Aufgaben erfolgt im Konsens mit allen Beteiligten. In jedem Fall müssen aber klare Absprachen getroffen und realistische Zeitpläne aufgestellt werden. Und der/die Vorgesetzte sollte jederzeit in alles involviert sein. Überhaupt ist Kommunikation das A und O – bevor das Baby da ist, aber genauso sehr auch danach.

So kann dann ein Baby in der Gruppe am Ende für alle zu einer wertvollen Erfahrung werden. Für die Eltern, weil sie doch Familie und Karriere unter einen Hut kriegen. Für die Vorgesetzten, weil sie keine hochqualifizierten Arbeitskräfte verlieren, sondern zufriedene und motivierte, wenn auch manchmal gestresste, Mitarbeitende behalten. Und für die Gruppe wird so ein „Projekt Baby“, wie viele Erfahrungen belegen, zu einem richtigen Teambuilding-Event: Arbeitsabläufe und –belastungen kommen für einmal systematisch auf den Prüfstand und werden optimiert und die Kommunikation innerhalb der Gruppe wird entscheidend verbessert. Zudem erfahren die übrigen Gruppenmitglieder, dass die Kombination von Familie und Karriere an der ETH wirklich funktionieren kann.

Und das führt dann vielleicht dazu, dass die ETH dem hochgesteckten Ziel im Leistungsauftrag von 25 Prozent Frauenanteil bis 2011 auf allen Hierarchiestufen ein wenig näher kommt.


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