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Rubrik: Mittwochs-Kolumnen |
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Mobilitätswahn |
Beat Louis In der akademischen Gesellschaft grassiert der Mobilitätswahn. Wenn ich im Sommer mein Doktorat abschliesse, werde ich mit meinen zehn ETH-Jahren – eineinhalb Jahre Arbeitsleben zwischen Studium und Dissertation mitgezählt – bereits ein wahrhaft biblisches Alter erreicht haben. Denn Doktorate dauern drei Jahre, ein Post-Doc bleibt idealerweise für ein Jahr, Oberassistenten erhalten Verträge über maximal sechs Jahre. Die Konsequenz: Wissenschaftler sind dazu gezwungen, alle paar Jahre die Stelle, den Wohnort, das Land zu wechseln. Auf der Strecke bleibt da oft die Familie. Meine Tochter ist jetzt 15 Monate alt, in knapp drei Jahren beginnt ihre Kindergarten- und Schulkarriere. Immer wieder die Schule wechseln und ihre Freunde verlassen – das erspare ich ihr lieber. Und meine Partnerin? Wir haben uns das Ziel gesetzt, die Erwerbs- und Familienarbeit zu teilen. Das bedeutet, dass auch sie jedesmal einen neuen Job suchen müsste. In ihrem Berufsfeld ist das fast aussichtslos. Nicht zuletzt absorbiert der immer wiederkehrende Bewerbungsprozess Unmengen an Zeit. Ein holpriges Pflaster. Viele, die Familie haben – oder sich diese Möglichkeit offen halten – verlassen es rasch. Auch ich, obwohl mir der vielseitige Beruf Forscher durchaus gefällt. Nun könnte Mann natürlich bis vierzig mit der Familiengründung warten: bis dann hat Mann mit Glück, Talent und Ausdauer vielleicht eine fixe Stelle ergattert. Aus Mangel an Alternativen dürfte es eine Professur sein. Da ergeben sich allerdings zwei Probleme. Ist die Partnerin auch schon vierzig? Viel Glück beim Kinderkriegen. Klappts doch, wird er seine Kinder kaum sehen. Eine Professur nimmt derart in Anspruch, dass die Kinder längst im Bett sind, wenn der Arbeitstag vorbei ist. Für Frauen ist das ganze noch schwieriger, wegen der Babypause. Gibt es eine ETH-Professorin mit kleinen Kindern? Schreiben Sie ETH-Life ein E-Mail, Sie haben es verdient, portraitiert zu werden! Male ich zu schwarz? Bestimmt erinnern Sie sich noch an das ETH-Jubiläum letztes Jahr. Da gab es einen Tag der Chancengleichheit, unter anderem mit einem Podiumsgespräch zum Thema Work-Life-Balance. Wie kann ein Gleichgewicht gefunden werden zwischen Familie und Karriere? So dass auch Frauen an die Topjobs herankommen? Oder, ich erlaube mir zu ergänzen, Familienväter, die gerne Zeit mit ihren Kinder verbringen würden? Gemäss einem Bericht in "ETH Life" fand das illuster besetzte Podium keine konkreten Lösungen.
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Das erstaunt mich, denn die Lösungsansätze für eine Vereinbarkeit von wissenschaftlicher Karriere und Familie brauchen nicht anders zu sein als im nicht-akademischen Rest der Gesellschaft: Teilzeitstellen, Kinderbetreuung, Elternschaftsurlaub... Einzig fixe Stellen kommen da noch hinzu. Oder sind unbefristet angestellte, Teilzeit arbeitende Forscher und Forscherinnen die schlechteren Wissenschaftler?
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Literaturhinweise:
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