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Rubrik: Mittwochs-Kolumnen
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Publiziert: 16.08.2006 06:00

Der letzte Nachhauseweg

Beat Louis

Schon bald trennen sich meine und der ETH Wege. In fünf Wochen findet meine Doktorprüfung statt. Und wenn ich danach das übliche dies und jenes erledigt haben werde, die Dissertation fertig sein wird, dann werde ich zum letzten Mal den Nachhauseweg von der ETH nach Wil antreten. Vielleicht werde ich die Strecke mit dem Velo fahren. Mich langsamer, aber bewusster als viele Male zuvor während der letzten vier Jahre von der Alma Mater zurückziehen. Vielleicht wird es aber auch ein Heimweg sein fast wie immer: mit den gleichen Verkehrsmitteln, mit den gleichen Gesichtern, mit den gleichen Gedanken, nur einem anderen Ende.

Dann werde ich also mit dem 10er-Tram von Haldenbach zum Hauptbahnhof runter fahren, und dort wird „alles aussteigen“ müssen. Ich werde mich zum letzten Mal fragen, ob es sich beim Begriff „alles“ um eine grammatikalische Unzulänglichkeit unbeholfen Hochdeutsch sprechender Schweizer Tramführer handle, oder ob sich ausser den Fahrgästen noch etwas anderes im Tram befinde – leblos und darum nur mit dem Neutrum anzusprechen, aber doch noch fähig, aus dem Tram zu steigen. Zombies vielleicht? Der Hauptbahnhof ist über hundert Mal pro Tag die Endstation des Zehners. Kaum vorstellbar, was da „alles“ ausgestiegen sein muss, während meiner Zeit an der ETH.

Danach werde ich im Neigezug sitzen und in Richtung Wil brausen. Im zweitvordersten Wagen. Ich werde meine Mitreisenden, die immer auch im zweitvordersten Wagen des Intercity siebzehnuhrzehn ab Zürich sitzen, nie mehr sehen. Nicht, dass ich jemals mit ihnen gesprochen hätte. Nicht mit der Architektin, die oft vor dem Bildschirm ihres Notebooks sitzend per Mobiltelefon ihre Familie organisieren musste. Nicht mit dem ETH-Angehörigen, immer schwarz gekleidet, wohnhaft in Wil gleich um die Ecke von mir, dem ich nicht nur im Zug begegnet bin, sondern auch in der Mensa, im Coop, beim Spaziergang. Hat er mich jeweils auch wahrgenommen?

Und wenn ich dann in Wil aussteigen und vielleicht von meiner Familie empfangen werde, dann, erst dann, wird das Kapitel ETH für mich abgeschlossen sein. Ein Kapitel voller Gegensätze: Es führte mich an spannende Schauplätze in ganz Europa und den USA. Es forderte von meiner Frau und meinem Kind Kompromisse.


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Beat Louis, ETH-Geologe, Wissenschaftsautor und derzeit "ETH Life"-Kolumnist.

Es brachte neue Erfahrungen, Einsichten und Entbehrungen, Enttäuschungen und Erfolge mit sich, und, das vor allem, Begegnungen mit freundlichen, angenehmen, interessanten Menschen, von denen ich hoffe, dass ich sie noch viele Male sehen werde. Lebewohl, ETH. Ein bisschen Wehmut ist dabei, aber ich freue mich auf das nächste Kapitel.


Zum Autor

Sein wissenschaftliches Zuhause sind fünf Millionen Jahre Erdgeschichte. Der 30-jährige ETH-Geologe Beat Louis setzt demnächst den Schlusspunkt hinter seine Doktorarbeit über das „Oxfordian“, eine Epoche zwischen 160 bis 155 Millionen Jahren vor unserer Zeit (s. Link unten). „Diese Phase war ein faszinierender Wendepunkt für das System Erde“, sagt Louis. „Damals brach der Superkontinent Pangäa auseinander. Der Ozean, der zwischen den zwei neuen Erdteilen entstand, brachte mit seinen neuen Strömungsverhältnissen viel Bewegung in die Entwicklung von Klima, Tier- und Pflanzenwelt.“ Zwar nimmt der unruhige Planet Erde Beat Louis’ Forscherkompetenz voll in Anspruch, aber er hat noch weitere – etwa die des journalistisch geübten Vermittlers von Wissenschaft: Beim St. Galler Tagblatt hat er nach dem Studium ein Praktikum absolviert und liefert seither dem Blatt regelmässig Beiträge zu Forschungsthemen. Auch die ETH hat schon von seiner Lust, Forschung zugänglich zu machen, profitiert: Der Jubiläums-Comic „Die Alpen by Mike“, der 300 Millionen Jahre im Zeitraffer vorübersausen lässt, ist auf Beat Louis’ Anregung hin entstanden.




Literaturhinweise:
Website von Beat Louis im Departement Erdwissenschaften der ETH: www.erdw.ethz.ch/wer_det.cfm?id_m=462&CFID=3449475&CFTOKEN=73891195



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