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Rubrik: Mittwochs-Kolumnen
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Publiziert: 29.10.2003 06:00

Zukunftsmaschine Nanotechnologie

Von Barbara Orland

Nanowissenschaft und Nanotechnologie sind Begriffe, die längst in aller Munde sind. Doch was ist damit im Einzelnen gemeint? Das scheint noch lange nicht klar. Von der Hektik, mit der millionenstarke Förderprogramme, neue Forschungsinstitute und Startups lanciert werden, sollte man sich nicht blenden lassen. Die Zwergenwelt im Nanomassstab ist vorerst mehr Theorie als Empirie, und es werden eher phantasievolle Produkte ausgemalt denn tatsächlich entwickelt. Auch wenn angefangen mit Bill Clinton amerikanische Politiker aller Couleur in der Nanotechnologie einen Riesen-Hype sehen und der US-Kongress in diesem Sommer mit der Verabschiedung des „Nanotechnology Research and Development Act“ für die nächsten Jahre Forschungsgelder in Strömen fliessen lassen wird (europäische Forschungsministerien folgen auf dem Fusse), so beherrschen nach wie vor die Propheten das Feld. Deshalb wohl wimmelt es allerorten an Visionen von Maschinen-Klonen, Nano-Robotern und Bakterienmotoren, und finden Visionäre – allen voran Eric Drexler – Gehör beim grossen Publikum. Schon vor mehr als 15 Jahren hatte dieser die Vision von Nanofabriken entworfen, in denen nach den Bauplänen von Nano-Ingenieuren Atome und Moleküle vervielfältigt und zu allen möglichen einfallsreichen Produkten zusammengesetzt werden.

Was ist nun dran am Super-Hype Nanotechnologie? Mit dieser Frage beschäftigte sich vor einigen Wochen eine von Wissenschaftsphilosophen an der TU Darmstadt organisierte, multi-disziplinär zusammengesetzte Konferenz (1). Begriffliche Ordnung in das unübersichtliche Feld zu bringen, war nur am Rande ein Anliegen der beteiligten Philosophen, Physiker, Historiker und Wissenschaftsforscher. Die Entstehung von etwas Neuem wird immer von langwierigen Begriffsbildungsprozessen begleitet, die nur einen kleinen Ausschnitt aus einem weiten soziotechnischen Feld der Aushandlungen wiederspiegeln. Ein Bericht über die mühsame Arbeit einer Expertengruppe, die im Auftrag des Institutes für Technikfolgenabschätzung und Systemanalyse (ITAS) in Karlsruhe den Begriff „Nanotechnologie“ zu definieren versucht, machte dies unmissverständlich klar. Am grünen Tisch wird langfristig wohl kaum Übereinstimmung darüber herzustellen sein, was Nanotechnologie ist. Die eigentlich interessierende Frage war denn auch, die Dynamik zu begreifen, die sich aus dem Wechselspiel von wissenschaftspolitischen und ökonomischen Entwicklungen, neuen Instrumenten und Experimentalanordnungen sowie öffentlichen Meinungen und Wahrnehmungen ergibt.

Dass Visionen und Gründungsmythen in dieser Gemengelage eine weitaus wichtigere Rolle als eindeutige Definitionen spielen, darüber bestand Einigkeit unter den Anwesenden. Uneindeutigkeiten und flexible Interpretationen sind nämlich deshalb oft von Wert, weil sie Raum schaffen für Verständigung in einem disparaten Feld. Gerade weil Visionen das Neue betonen, schaffen sie Verbindungen, wo eigentlich keine sind. Sie bieten eine Kommunikationsstruktur an, die es Menschen ermöglicht, unabhängig von ihrem realen Aufenthaltsort eine Interaktion zu beginnen und die Struktur des Neuen mitzugestalten. Dass das dabei entstehende "Neue" deshalb nie fertig und jederzeit veränderbar ist, arbeitete beispielsweise der MIT-Physikhistoriker Arne Hessenbruch heraus. Die zeitgleiche Veröffentlichung von Eric Drexlers „Engines of Creation“ und die Vergabe des Nobelpreises an Gerd Binnig und Heinrich Rohrer für ihre Entwicklung des Rastertunnelmikroskops im Jahre 1986 werden heute meist in einem Atemzug genannt, wenn es um die Meilensteine der Nanotechnologie geht. In der Tat, beide Ereignisse, obgleich ohne weitere Verbindung, verstärkten sich in ihrer jeweiligen Wirkung.

Bis 1985, ein Jahr vor Erhalt des Nobelpreises, hatten die beiden im IBM-Forschungslabor in Rüschlikon tätigen Physiker Binnig und Rohrer hauptsächlich versucht, die community der Oberflächenphysik von der Funktionstüchtigkeit des neuen Mikroskopes zu überzeugen – und dabei einige Schwierigkeiten gehabt.


Zur Person

Sie betreibe die Geschichte der Technik als "historische Konfliktforschung", sagt Barbara Orland, seit 1999 Oberassistentin am ETH-Institut für Geschichte. Zuvor lehrte und forschte sie vor allem an der TU Berlin und der Ruhr-Universität Bochum sowie am Deutschen Museum München. Zur Technikgeschichte kam sie über ihre Doktorarbeit zur Sozial- und Technikgeschichte der Wäscherei seit dem 18. Jahrhundert. So weit gefasst ihre Interessen sind: sie kreisen alle um das Thema "Technisierung des Privaten durch Medizin- und Biowissenschaften". – Was macht die Technik denn so konfliktträchtig? Neue Technologien bringen oft das Werte- und Wahrnehmungsgefüge ins Wanken, sagt Barbara Orland; man nehme bloss die heutige Stammzell- und Klondiskussion mit ihren unabsehbaren Weiterungen.




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Barbara Orland, Oberassistentin am ETH-Institut für Geschichte

Während es in diesem Umfeld opportun war, das Neue in ein bekanntes quantentheoretisches Verständnis einzubetten und das fest etablierte Wissen über Oberflächen nicht herauszufordern, fand die entscheidende sprachliche Verschiebung erst in einem Artikel für das Scientific American Magazine statt. Eine breite Leserschaft und potenziell neue Nutzer des Mikroskopes im Auge, wurde nun erstmalig von „seeing surfaces atom by atom“ gesprochen.

Kleine Moleküle, ja sogar Atome, erstmals direkt sichtbar zu machen, das war der Anknüpfungspunkt für die Denkwelt des Eric Drexler und – wie sich bald herausstellte – auch vieler anderer Visionäre der Cyberkultur. Drexler nahm nur am Rande Bezug auf das Rastertunnelmikroskop, Gegenstand seines Buches war vielmehr die Ausarbeitung der Idee, Moleküle aus einzelnen Atomen zusammenzubauen (assemble). Die „LEGO™-style“ Konstruktion von Molekülen, wie Hessenbruch es nennt, stand im Zentrum seiner Vision. Dennoch waren die beiden zentralen Begriffe „seeing“ und „assembling“, um die sich im weiteren alle Beschreibungen einer phantastischen Zukunft drehen sollten, mit diesen beiden unabhängigen Veröffentlichungen in die Welt gesetzt.

Als dann 1990 der IBM-Wissenschafter Don Eigler einem staunenden Publikum mit einem selbstgebauten Rastertunnelmikroskop aus 35 Xenon-Atomen die drei Initialen seines Arbeitgebers formte, war ebenfalls eine Verbindung zwischen beiden Begriffen unwiderruflich hergestellt. Und auch ein grosses Publikum war ab sofort mit im Geschäft, denn die Abbildung der „IBM-Atome“ wurde umgehend auf der Titelseite der Zeitschrift „Nature“ abgedruckt. Dem überwältigenden Medienerfolg tat denn auch kein Abbruch, dass das IBM-Bild nur unter ganz spezifischen Experimentalbedingungen (extrem tiefe Temperaturen und ein hohes Vakuum) stabilisiert werden konnte: Bedingungen, die nicht nur in zentralen Punkten von Drexlers Visionen und dem bisherigen Einsatz des Rastertunnelmikroskops abwichen, sondern die ausserdem noch ein sündhaft teures Equipment erforderten, über das nur die IBM-Gruppe verfügte. Während das Experiment selbst aus diesem Grund auf seine Wiederholung und Nachbildung durch andere Forschergruppen wartete – was bekanntlich ein wesentliches Postulat wissenschaftlicher Seriosität ist – hatte die mediale Verbreitung der digitalisierten Version der Abbildung längst tatkräftig der Glaubwürdigkeit der Nanotechnologie zugearbeitet.

Wenn der amerikanische Philosoph Joseph C. Pitt auf der Konferenz die Frage stellte, wie wir eigentlich dazu kommen zu glauben, wir wüssten nun immer besser, was auf der Ebene der Nanowelt vor sich gehe, dann erscheint das vor dem Hintergrund dessen, was seither passiert ist, wie eine rein rhetorische Frage. Zahllose Wissenschaftler sind auf den Zug gesprungen, viele amerikanische Physiker unter ihnen suchen – wie der Harvarder Wissenschaftshistoriker Peter Galison meinte – in dem unspezifischen Hybrid Nanotechnologie eine Möglichkeit, das seit den 90er Jahren in die Krise geratene Gebiet der Teilchenphysik neu zu kartieren. Geld fliesst wie gesagt in Strömen und täglich entstehen neue Forschergruppen und Institute. In der Tat sind den Visionen in den letzten Jahren etliche Nanopartikel seriöser Forschung entgegengestellt worden.

Dennoch bleibt vorerst aus einer kurzen Geschichte nur die Erkenntnis zu ziehen: Nicht das mit dem menschlichen Vorstellungsvermögen Gesehene, sondern die vielfältige Repräsentation eines epistemischen Objektes, nicht der technische Erfolg, sondern allein der Glaube an ihn hat die Nanowelt zur Realität werden lassen. Joseph Pitts Frage war denn auch nicht rhetorisch gemeint, denn seine Schlussfolgerung lautete: „Our concepts of knowledge are in fact concepts of evidence.“


Fussnoten:
(1) Informationen zu dieser Konferenz: www.ifs.tu-darmstadt.de/phil/nano.html



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