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Rubrik: Mittwochs-Kolumnen
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Publiziert: 30.11.2005 06:00

Wurmlöcher

Von Gerd Folkers

Das Auge sieht nur, was der menschliche Geist bereit ist zu verstehen. (Henri Bergson)

Nicht eigentlich Wurmlöcher hätte ich gerne, mit der Ausnahme, wenn sie von dazu passenden alten Möbeln umhüllt sind, sondern Einstein-Rosen-Brücken, gemeinhin in Science-Fiction -Epsisoden auch wormholes genannt, diese Abkürzungen zwischen Galaxien und Universen. Ohne wesentlichen Zeitaufwand würde ich zu fernen Welten reisen, Dinge sehen, deren ich sonst nie gewahr würde.

Aber, würde ich nach meiner kurzen Reise diese fremden Dinge tatsächlich sehen, sehen können? Würden sich mir diese unbekannten Welten im Sinne von Wahrnehmung offenbaren?

Der Trick der optischen Täuschungen basiert auf der menschlichen Neigung, nur das wahrzunehmen, was er wahrnehmen will, zu sehen glaubt, was innerhalb seines Erfahrungshorizonts liegt, vielleicht noch innerhalb seines Vorstellungsvermögens Platz findet, das selbst wieder durch seine Erfahrungen eingeschränkt wird. So gelingt es mühelos (zumindest bei Männern) durch ein zeichnerisches Arrangement einer Katze auf einem Fensterbrett, einer Bücherstütze, die einen Topf mit Hängepflanzen trägt und einem Vorhang mit Faltenspiel auf der anderen Seite des Bildes, die Silhouette einer unbekleideten jungen Dame zu erzeugen, die auf anmutigste Weise mit ihrer Morgentoilette befasst ist. Wie aber kann ich die „wahren“ Bestandteile des Bildes wahrnehmen, was Du geneigter Leser unmittelbar vermocht hast? Das scheint mir das Problem zwischen den Disziplinen zu beschreiben. Erstaunliche Vorurteile prägen die Vorstellungen der einen Disziplin von der anderen. Man sieht weder den prachtvollen Buckel der Katze, noch die herrliche Fülle der Topfpflanze, sondern stattdessen die Kurve einer schlanken Taille und einen wilden Haarschopf, der über vermeintliche Schultern fällt.

Erst auf Hinweise der Bildunterschrift und nach sorgfältigem Anschauen des Bildes finde ich mehr und mehr lustige Details, die mich vorher narrten. Braucht es nicht dazu wieder jemanden, der von aussen das alles überblickt und mir sagt was ich sehen soll. Das endet bei Thomas von Aquins „erstem unbewegten Beweger.“ Das Konzept hat sich in der Kosmologie als nicht hilfreich erwiesen und Wurmlöcher sind reine Theorie. Ist ein Königsweg des Austausches zwischen den Disziplinen also inexistent?

In Gullivers Reisen erfinden die Wissenschaften einen anderen Weg des Gedankenaustauschs zwischen den Disziplinen. In Säcken tragen sie Modelle herum, die sie wortlos als Argument in einer „Diskussion“ präsentieren. Modelle im Swift’schen Roman sind verkleinerte und vereinfachte dreidimensionale Repräsentationen von Objekten allgemeiner Bekanntheit, wie Kirchen und Kühe, Harlekine und Galgen.


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Chemieprofessor, Leiter des Collegium Helveticum und derzeit "ETH Life"-Kolumnist: Gerd Folkers.

Natürlich setzt das eine gemeinsame Erfahrung über „Kühe“ voraus aber nicht ein gemeinsames Konzept. Milchvieh oder Schlachtvieh, Fotomodell oder Kämpferin, das bleibt offen und muss mit weiteren wortlosen Modellen diskutiert werden. So entsteht im Laufe der Diskussion ein opulentes Museum, in dem neue Debattierende in Überprüfung der Modelle Zustimmung oder Kontoverse erfahren.

Nicht überraschend, zeigt sich eine emotionelle Akzeptanz oder Ablehnung von Modellen, ein intuitives Begreifen, wie wir es auch in „wirklichen“ Museen erleben. Ein Kunstwerk wird von einer Anzahl von Menschen als positive Erfahrung erlebt, eine andere Anzahl lehnt das Kunstwerk ab oder betrachtet es gleichgültig. Überraschend ist die häufig positive Übereinstimmung zwischen vielen Betrachtern (die Ablehnung wird emotionell stärker wahrgenommen und verfälscht den Eindruck) ohne vorhergehende Rationalisierung, oder Belehrung. Vielleicht sind intuitive Zugänge zu Modellen und Hypothesen nicht der Königsweg – aber allemal ein Pfad zu einer rationalen Auseinandersetzung mit anderen Disziplinen. Unabdingbare Vorraussetzung dafür ist allerdings eine unverfälschte Neugier, die leider in falscher erzieherischer Absicht zu oft als schlechte Eigenschaft gescholten wird.


Zum Autor

„Design“ ist für Gerd Folkers, der sich als ETH-Professor für Pharmazeutische Chemie dem Modellieren von Arzneistoff-Molekülen widmet, weit mehr als Schönheit, Eleganz und Spannung. Sondern ein funktionales Element: Was schön ist, füllt sich leichter mit Sinn. Und Augenfälliges erschliesst sich besser dem Be-Greifen. Gerade in seiner Lehre hat Folkers immer wieder unter Beweis gestellt, wie wichtig ihm das ist. Er scheute zum Beispiel keinen Aufwand, um seinen Studierenden komplexes Wissen via E-Learning verfügbar zu machen – mit Vorliebe auch dreidimensional. Zur Science gehört also Fiction: Es überrascht nicht, dass Gerd Folkers immer Wissenschaftsdiskurse interessiert haben. Als Hausherr am Collegium Helveticum habe er heute das Privileg, an der Klärung jener Fragen mitarbeiten zu können, die über das Spezialwissen hinausgehen. In diesem „grossen Experiment“ von Uni und ETH Zürich sei es seine Aufgabe, an sich nicht zur Interaktion vorgesehene Gebiete - und Menschen - so aufeinander abzustimmen, dass sie eben doch miteinander reagieren; „die klassische Rolle des Katalysators eben“, sagt dazu der Chemiker. Unter dem Generalthema „Emotionen“ sollen am Collegium nun in den kommenden Jahren Brücken über Disziplinen-Gräben geschlagen und neues Terrain betreten werden.






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