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Rubrik: Mittwochs-Kolumnen
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Publiziert: 31.08.2005 06:00

Mord im Namen Gottes

Von Kurt R. Spillmann

"Gott ist die Liebe“ lernten wir als Kinder. Das ist uns vertraut. Umgekehrt sind wir schockiert, wenn auch ein junger Mörder in Amsterdam sich auf Gott bezieht, um seine Gewalttat am islamkritischen Filmemacher Theo van Gogh zu legitimieren. Was läuft in diesen jungen Männern in Amsterdam, London, New York und vielen anderen Orten der Welt ab, dass für sie der „Gott der Liebe“ zum Anstifter von Mordtaten wird?

Die zornigen jungen Männer, die Bomben legen und Unschuldige umbringen, sind nicht – wie man unmittelbar nach 9/11 meinte – arme, irrgeführte Analphabeten. Nach einer Untersuchung von Marc Sagemann, einem ehemaligen CIA-Experten, kommen 75 Prozent aus der Mittelklasse, 65 Prozent haben eine höhere Ausbildung und 75 Prozent arbeiten in guten Anstellungen, schwergewichtig im naturwissenschaftlichen und im Ingenieurbereich. Es sind moderne Menschen der zweiten Generation, Söhne von Immigranten, die sich von ihren traditionell islamischen Familien, ihren Sitten und von einem massvollen Islam losgesagt haben. Sie fühlen sich weder ihrem Gastland noch ihrem Heimatland verpflichtet und haben sich stattdessen der Religion in ihrer kompromisslosesten Form verschrieben. Sie fühlen sich plötzlich zu Predigern und Organisationen hingezogen, die zum Kampf gegen die Besetzer der heiligen Stätten und zu Hass gegen die Leugner der höchsten religiösen Werte aufrufen.

Selbstaufopferung in diesem Kampf scheint diesen jungen Männern Sinnerfüllung ihres Lebens zu versprechen. Sie finden in dieser utopisch-radikalen Lehre eine neue Identität, die sie über die Frustrationen und die realen oder eingebildeten Demütigungen des Alltags erhebt. Und während so den einen Religion als Weg zur Liebe, Mitmenschlichkeit, Demut und Toleranz gilt, kann sie von anderen als Legitimation von vernichtendem Hass, Unterdrückung und Mord missbraucht werden.

Alle Religionen kennen in ihrer Geschichte solche Auswüchse. Offenbar droht in allen Lehren, die im Namen eines Ausschliesslichkeitsanspruchs auftreten und die sich auf eine Offenbarung und die darin enthaltene absolute Wahrheit beziehen, jene Zuspitzung auf richtig oder falsch, schwarz oder weiss, die nur das Eigene anerkennt, alles andere aber ablehnt und im Extremfall verfolgt bis zur Ausrottung. Wo Orthodoxie herrscht, gibt es keine Toleranz mehr.

Europa hat in der Aufklärung die Intoleranz der Kirchen zu überwinden versucht. Für die abendländische Aufklärung war der Kampf gegen die kirchliche Orhodoxie und ihre Denkverbote innerstes Anliegen. „Écrasez l’infâme“ forderte Voltaire und meinte die doktrinäre katholische Kirche. „Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen!“ forderte Kant. Aber solche Denk- und Verantwortungs-Autonomie ist anspruchsvoll. Eine „offene Gesellschaft“ ist erst möglich, wenn alle Teilnehmenden ihren Anspruch auf Besitz der absoluten Wahrheit aufgeben. Toleranz und Dialogfähigkeit erwachsen erst aus der Bereitschaft, die Relativität auch der eigenen Position zu akzeptieren.

Darauf baut die Konstruktion unserer modernen Gesellschaften auf, im Gegensatz zu „gottesstaatlichen“ Konzeptionen. In den modernen Gesellschaften gilt, dass die in einer Gesellschaft Lebenden die Grundregeln ihres sozialen Verhaltens selbst miteinander aushandeln und dass diese Regeln nicht willkürlich, sondern nur durch Mehrheitsbeschluss geändert werden können. Im öffentlichen Raum kann es keine Berufung auf höhere Wahrheiten oder Einsichten geben. Wer sich an diese Grundregeln der Demokratie und des Rechtsstaates nicht halten will, gehört nicht in den Raum dieser Gesellschaft.


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Kurt R. Spillmann, emeritierter ETH-Professor für Sicherheitspolitik und Konfliktforschung.

Zur Zeit scheinen weltweit Fundamentalismen aller Art Hochkonjunktur zu haben. Je schwieriger die Lage unserer eigenen Existenz und je widerspruchsvoller diese Welt erscheint, umso grösser wird das Bedürfnis nach Gewissheiten, und die Neigung, auf “Erlösung“ von aussen – auf „Wunder“, apokalyptische „Reinigungen“, „Gurus“ oder „Führer“ - zu hoffen oder „das Böse“ im politischen Gegner zu bekämpfen. Doch das ist ein Holzweg, da der Wettbewerb zwischen konkurrierenden absoluten Wahrheiten keine Kompromisse kennt. Solche Konflikte eskalieren und führen zu Gewalt, Krieg und unendlichen Leiden.

Die Menschheit hat bis heute kein besseres Rezept im Umgang mit Religion und normativen Konflikten gefunden als Kant es vorschlug: selber denken! Wer selber denkt und nicht plötzlich damit aufhört, weiss auch um die Relativität seiner eigenen Position. Daraus folgt, dass er auch andere als selber denkende Wesen anerkennt und bereit ist, zuzuhören, in einen Dialog zu treten, und schliesslich – für alle praktischen Fragen – Kompromisse zu erarbeiten, die sich dann in für alle verbindlichen Regelsystemen niederschlagen.

Diese weltlichen Regelsysteme sind die Basis unseres Zusammenlebens. Ein Verzicht auf ihre Durchsetzung käme der gesellschaftlichen Selbstaufgabe gleich. Rekurs auf absolute Wahrheiten und gar Gewalt in ihrem Namen hat noch nie zu konstruktiven Problemlösungen beigetragen. Nicht kollektive „Erlösung“ müssen wir anstreben, sondern „Lösungen“ von konkreten Problemen des Zusammenlebens. Und die sind nur im Diskurs erreichbar.


Zum Autor

Kurt R. Spillmann hat in der Schweiz die Analyse von Konflikten und deren Ursachen geprägt wie keiner vor ihm: als Professor, Autor und Experte in der Öffentlichkeit. 1986 zum ETH-Ordinarius für Sicherheitspolitik und Konfliktforschung an die ETH berufen, gründete und leitete er die Forschungsstelle für Sicherheitspolitik und Konfliktanalyse (FSK). Er initiierte zudem die Schaffung des Center for Comparative and International Studies (CIS), eines Clusters von heute zehn Professuren, der die entsprechenden Kompetenzen von ETH und Universität bündelt. Lange Jahre war er, der im Militär den Rang eines Obersten bekleidete, Vorsteher der Abteilung für Militärwissenschaften. Daneben hat Spillmann Wichtiges als Berater geleistet: So hat er seinen nicht unwesentlichen Teil dazu beigetragen, dass die Schweizer Sicherheitspolitik sich in den neunziger Jahren modernisierte und öffnete. Seit seiner Emeritierung im Jahr 2002 hat er nun mehr Zeit, seinen besonderen Interessen zu nachzugehen: Den psychologischen und gesellschaftlichen Hintergründen von Krieg und Frieden zum Beispiel, den interdisziplinären Zusammenhängen zwischen Ökologie und politischen Konflikten - insbesondere Wasserkonflikten -, und der Nachwuchsförderung.






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