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Rubrik: Mittwochs-Kolumnen
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Publiziert: 18.09.2002 06:00

Rückkehr des Etablierten

Von Philip Ursprung

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Ein angenehmes "must" der Architekturwelt ist der Besuch der Architekturbiennale in Venedig. 1980 gegründet, findet sie dieses Jahr zum achten Mal statt. Im Unterschied zu ihrer grossen Schwester, der Kunstbiennale, die traditionell in der Junihitze eröffnet wird, beginnt die Architekturbiennale im Spätsommer. Die Stadt strahlt im schönsten Septemberlicht, die Touristenhorden sind abgezogen, und schwarz gekleidete Menschen ohne Sonnenbrille schlendern in Richtung Giardini. (Die schwarz gekleideten Menschen mit Sonnenbrille fahren zum Lido, wo gleichzeitig die Filmbiennale stattfindet.)

Die Biennale trägt den Titel "Next". Es werden Projekte gezeigt, die in den kommenden fünf Jahren gebaut werden. Nachdem die letzte Biennale dem Thema "Less esthetics, more ethics" folgte und eine Reihe von grundlegenden Reflexionen über die Funktion der Architektur provozierte - nicht zuletzt den kontrovers diskutierten Schweizer Pavillon zum Thema der Immigration - findet heuer ein retour à l'ordre statt. Die Hauptausstellung im Arsenale ist ein Who's Who des Etablierten. Sie gleicht einer Architekturmesse. Die grossartige Kulisse der endlosen, teilweise zerfallene Säulenhallen, in denen früher Seile gedreht wurden, sind abgedunkelt und durch Stellwände verbaut, als ob die Architektur von der äusseren Wirklichkeit abgeschirmt werden müsste. Den Gipfel an Naivität erreicht die Ausstellung in einer Sammlung von Wolkenkratzerphantasien, die den Weg der Besucher wie Alleebäume aus einer anderen Zeit säumen.


Zur Person
Philip Ursprung ist seit 2001 Professor für Geschichte der Gegenwartskunst am Departement Architektur. Dabei handelt es sich um die erste Förderprofessur des Nationalfonds für Kunstwissenschaft. 1999 habilitierte sich Ursprung an der ETH mit einer Studie zur amerikanischen Land Art, einem Gebiet, das zuvor lange Zeit ‚Terra incognita’ war. Als kunstgeschichtlicher Solitär an der ETH - wünscht man sich da nicht manchmal den Wechsel zur „reinen“ Geisteswissenschaft? „Im Gegenteil“, meint Philip Ursprung. „Mit meinem Fokus auf architektonische und territoriale Fragen stosse ich bei Kollegen und Architektur Studierenden auf offene Ohren und Augen. Die Lehre empfinde ich als sehr problemorientiert, frei und partnerschaftlich“. Und dies würde ihm, wäre er ein ‚herkömmlicher’ Kunstgeschichts-Professor, fehlen.



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Philip Ursprung, Inhaber der SNF-Förderprofessur für Geschichte der Gegenwartskunst gross

In den Länderpavillons weht immerhin der Wind der Konkurrenz. Seit jeher versuchen die einzelnen Nationen dort ihr Bestes zu geben, um den Nachbarn zu übertrumpfen. Die Amerikaner zeigen eine vom State Department bezahlte Propagandaschau zum 11. September: Unbeholfene Vorschläge von Stararchitekten, was anstelle des zerstörten World Trade Center gebaut werden solle, gepaart mit unbeholfenen Fotos von heroischen Feuerwehrleuten. Die Deutschen zeigen Arbeiten von Studierenden der Architektur.

Die Schweizer zeigen das "Hormonorium" von Décosterd & Rahm, ein hermetisch abgedichteter, blendend heller Raum, in dem der Sauerstoffgehalt um ein Drittel reduziert ist. Das schöne und harmlose Experiment - immerhin ein Experiment - versetzt die Besucher in eine hochalpine Atmosphäre, aus der sie erfrischt hervorgehen sollten.

Spannend fand ich den britischen Pavillon, wo man buchstäblich in die Pläne der fast fertig gestellten Hafenanlage von Yokohama eintaucht. Ebenso den griechischen Pavillon, wo das Chaos Athens in einem Kaleidoskop von Diaprojektionen vermittelt wird. Am besten gefallen hat mir der spanische Pavillon: Auf dem Spielfeld von Boschs riesenhaft vergrössertem Garten der Lüste sind Architekten aufgefordert, die Bilder und Tagträume, die sie beim Entwurf im Kopf haben, zu visualisieren. Die Inszenierung erlaubt einen Blick in den komplexen und schwer darstellbaren Prozess der architektonischen Forschung.

Für die architektonische Forschung, namentlich für die Entwicklung der Darstellung von Architektur, ist die Biennale ein ideales Versuchsgelände. Nirgendwo sonst ist auf so engem Raum der Vergleich möglich, und nirgendwo sonst kann die Reaktion der Kollegen und der Öffentlichkeit so unmittelbar getestet werden. Dies macht sie als Institution unersetzlich - wie immer die Experimente ausgehen. Ich freue mich schon jetzt auf Nummer neun.




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