ETH Life - wissen was laeuft

Die tägliche Web-Zeitung der ETH Zürich - in English

ETH Life - wissen was laeuft ETH Life - wissen was laeuft
ETH Life - wissen was laeuft
Home

ETH - Eidgenoessische Technische Hochschule Zuerich - Swiss Federal Institute of Technology Zurich
Rubrik: News
Print-Version Drucken
Publiziert: 18.12.2002 06:00

Kolloquium Wissenschaftsforschung und Philosophie
Alte Probleme neu beleuchtet

(fw) Wie frei ist der Mensch? Können Zeugnisse Wissen erzeugen? Und inwieweit kann der menschliche Geist mit naturwissenschaftlichen Methoden beschreiben werden? Solche Fragen wurden diese Woche im Rahmen eines zweitätigen Kolloquiums zum Thema "Wissenschaftsforschung und Philosophie" diskutiert. Stand am Montag die Wissenschaftsforschung im Vordergrund, wurde die Debatte am Dienstag von den Philosophen geprägt. Thematisch wurde dabei ein breiter Bogen gespannt, wie sich bei einem kurzen Besuch am Dienstag zeigte.

Zwei Arten von Zeugnissen

Martin Kusch von der University of Cambridge versuchte zu zeigen, dass die meisten heute vertretenen Theorien über Zeugnisse auf individualistischen Prämissen beruhen, die hinterfragt werden sollten. Zwischen einer Zeugenaussage vor Gericht und der Bezeugung einer Eheschliessung auf dem Standesamt gibt es fundamentale Unterschiede. Während im ersten Fall kein neues Wissen erzeugt wird, entsteht das Wissen im zweiten Fall gerade erst durch die Bezeugung durch den Standesbeamten. Kusch postuliert, dass Zeugnisse auch soziale Institutionen wie etwa die Ehe generieren können, über die sie dann berichten. Fällt das Zeugnis weg, also das Reden über die Institution, so existiert auch die Institution nicht mehr.

Negative Definition der Freiheit

Ein altes und zugleich heikles Thema nahm Marcus Willaschek von der Universität Münster in seinem Vortrag auf. Über die Frage, ob der Mensch in seinem Handeln frei ist, stritten schon die alten Griechen. Das Problem wurde seither – wenn auch aus ganz verschiedenen Gründen – immer wieder kontrovers diskutiert. Heute erhält die Debatte durch die Fortschritte der Naturwissenschaften neue Aktualität. Die Erkenntnisse der Molekularbiologie, der Genetik und der kognitiven Neurowissenschaften stellen das Bild des freien Menschen in Frage. Bekannte Forscher wie Gerhard Roth oder Wolf Singer postulieren, der freie Wille sei eine Fiktion und das Strafrecht müsse daher grundlegend reformiert werden. Willaschek hält dem entgegen, diese Auffassung beruhe auf einer strengen Auslegung des Begriffs "Willensfreiheit". Frei sei nur, wer sich in der genau gleichen Situation anders hätte entschieden können. In der Praxis komme eine so strenge Interpretation aber gar nicht zur Anwendung. Für ein Gericht etwa ist bei der Beurteilung einer Tat entscheidend, ob sich ein durchschnittlicher Mensch in einer ähnlichen Situation anders verhalten hätte oder nicht.


weitermehr

Das menschliche Gehirn - ein Artefakt? gross

Willensfreiheit wird dabei negativ definiert. Nur wenn ganz bestimmte Gründe vorliegen - zum Beispiel eine Geisteskrankheit – nimmt man an, jemand sei in seinen Entscheidungen nicht frei. Die Tatsache, so Willascheck, dass das Verhalten von allen Menschen durch genetische und biochemische Faktoren beeinflusst und zum Teil sogar determiniert wird, sei unter diesem Gesichtspunkt irrelevant.

Gehirn als Artefakt

Auch Alex Burri von der Universität Erfurt griff in seinem Vortrag ein altes Thema auf: das Leib-Seele-Problem. Heute versteckt sich das Problem etwa hinter der Frage, auf welche Weise neuronale und mentale Zustände zusammenhängen. Burri ging von der These Churchlands aus, mentale Zustände liessen sich mit naturwissenschaftlichen Theorien angemessen beschreiben. Dieser These verwarf Burri. Er stellt vor allem die Prämisse in Frage, ein menschliches Gehirn sei eine natürliche Entität, die isoliert erklärt werden kann. Burri wies auf zwei mentale Zustände hin, die mit naturwissenschaftlichen Methoden heute noch schlecht beschrieben werden können. Einerseits sind es subjektive Zustände wie Hunger und Schmerz, andererseits intentionale Zustände wie Hoffnungen und Überzeugungen. Erstere, so postuliert Burri, lassen sich dereinst mit naturwissenschaftlichen Methoden klären, letztere hingegen nicht. Ausgehend von den Theorien von John Locke versuchte Burri zu zeigen, dass sich logische Abhängigkeiten bildlich nicht repräsentieren lassen. Intentionale Zustände werden im Gehirn vielmehr sprachlich-begrifflich abgebildet. Wie genau dies geschieht, hängt davon ab, auf welche Weise Worte von der Sprachgemeinschaft verwendet werden. Das Gehirn, so argumentiert Burri, wird dadurch zu einem Artefakt, das sich mit sozialwissenschaftlichen Ansätzen unter Umständen besser beschreiben lässt als mit naturwissenschaftlichen Methoden.




Sie können zu diesem Artikel ein Feedback schreiben oder die bisherigen lesen.




!!! Dieses Dokument stammt aus dem ETH Web-Archiv und wird nicht mehr gepflegt !!!
!!! This document is stored in the ETH Web archive and is no longer maintained !!!