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Rubrik: News
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Publiziert: 21.09.2005 06:00

Henry Kissinger am Zürcher Churchill-Europa-Symposium
„Gemeinsame Verantwortung“

(nst) Henry Kissinger habe eine „unglaubliche Karriere“ gemacht, sagte Kurt Spillmann, emeritierter ETH-Professor für Sicherheitspolitik und Konfliktforschung am gestrigen Medienanlass mit dem berühmten amerikanischen „elder statesman“. Anlass war das zehnte Zürcher Churchill-Europa-Symposium (1), wo Kissinger als Gastreferent „Europa aus der Sicht der USA“ beleuchtete. Als Jude 1923 in Bayern geboren, floh er 1938 vor den Nazis nach Amerika, wurde Harvard-Professor für Strategiestudien, später politischer Berater der US-Regierung und brachte es zum profiliertesten US-Aussenminister des 20. Jahrhunderts. Kissinger war in den siebziger Jahren ein Wegbereiter der Entspannungspolitik zwischen Ost und West und massgeblich beteiligt an der Beendigung des Yom-Kippur-Kriegs zwischen Israel und seinen arabischen Kontrahenten. 1973 erhielt er den Friedensnobelpreis. - Allerdings ist seine Rolle in der Ära des Kalten Kriegs heute auch umstritten, namentlich die von ihm mit geprägte US-Politik gegenüber Lateinamerika.

Vielstimmiges Europa

Das dieses Jahr zum zehnten Mal veranstaltete Churchill-Symposium erinnert an die visionäre Europa-Rede, die der britische Kriegspremier 1946 an der Universität Zürich hielt. Darin regte Churchill die Bildung der „United States of Europe“ an; sie sollten aus einem französisch-deutschen Nukleus heraus entstehen. Zu Willy Brandt soll Kissinger einmal gesagt haben: „Wenn ich mit Europa reden will, weiss ich nie, welche Nummer ich wählen muss.“ Dieses Bonmot illustriert ein aus amerikanischer Sicht auch heute noch bestehendes Defizit. Europa, so Kissinger, müsse zu einer gemeinsamen Aussenpolitik finden. Doch dazu seien die Entscheidfindungsprozesse innerhalb der EU noch viel zu schwerfällig. Kaum überraschend war, dass die Pressevertreter den Polit-Veteranen um eine Einschätzung des aktuellen deutschen Wahl-Patts baten. Seine knappe Antwort darauf lautete, dass der international wichtige Player Deutschland eine klare politische Ausrichtung brauche. Alles andere sei schädlich für das Land, für Europa und letztlich auch für Allianzpartner wie die USA.


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Henry A. Kissinger (l.) bei seinem gestrigen Mediengespräch. Neben ihm Kurt Spillmann, emeritierter ETH-Professor für Sicherheitspolitik und Konfliktanalyse. gross

Irak: Gefährliche Entwicklung

Dann aber standen der Terrorismus und die US-Intervention im Irak im Zentrum des Interesses. Aktuell bestehe die Gefahr, dass der Irak-Konflikt abdrifte zu einer Auseinandersetzung zwischen ethnisch-religiösen Fraktionen, sagte Kissinger. Wenn dies im Zusammenspiel mit einer religiösen Radikalisierung eintreten und die US-Politik dort scheitern sollte, hätte dies unabsehbare Konsequenzen für die gesamte islamische Welt. Entsprechend dürfe die primäre Frage für die beteiligten Mächte nicht sein, „wie man da raus kommt“. Sondern es gehe nun vielmehr darum, die gemeinsame Verpflichtung wahrzunehmen, „egal, welche Einstellung man gegenüber der ursprünglichen Entscheidung hat, diese Intervention durchzuführen“, so der ehemalige Aussenminister. Europa, so hielt er fest, sollte grundsätzlich eine wichtigere Rolle im Irak spielen als dies jetzt der Fall sei.

Neue Konstellationen

Am Ende weitete sich der Fokus, und Kissinger beschrieb die Administration Bush als eine Ära, die wie kaum eine zuvor von fundamentalen geopolitischen Veränderungen geprägt sei. Das Ende des Ost-West-Konflikts, der international operierende Terrorismus und der wirtschaftliche Aufstieg Chinas sowie des pazifischen Raums würden neue, noch ungeklärte Realitäten schaffen. Es bestehe heute eine Unsicherheit, die mit den Nachkriegsjahren 1945 bis 1950 zu vergleichen sei. Die Karten würden jetzt neu gemischt, und die Antworten der Politik darauf stünden noch aus.


Fussnoten:
(1) Ausgerichtet wird es seit 1996 jährlich u.a. vom Europa Institut an der Uni Zürich und vom Schweizerischen Institut für Auslandforschung (SIAF).



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