ETH Life - wissen was laeuft

Die tägliche Web-Zeitung der ETH Zürich - in English

ETH Life - wissen was laeuft ETH Life - wissen was laeuft
ETH Life - wissen was laeuft
Home

ETH - Eidgenoessische Technische Hochschule Zuerich - Swiss Federal Institute of Technology Zurich
Rubrik: News
English Version English Version
Print-Version Drucken
Publiziert: 15.03.2004 06:00

Albert Stahel zu Hintergründen des Attentats von Madrid
"Al-Kaida wurde atomisiert"

Spanien steht nach dem verheerenden Attentat vom 11. März unter Schock. Einschätzungen über die Hintergründe macht Sicherheitsexperte Albert Stahel, Titularprofessor für Strategische Studien und Dozent an der Militärakademie an der ETH Zürich.

Interview: Norbert Staub

Herr Stahel, es deutet immer mehr darauf hin, dass es sich bei den Urhebern des schrecklichen Attentats von Madrid um islamistische Extremisten handelt. Überrascht Sie das?

Albert A. Stahel:

Keineswegs. Denn Durchführung, Dimension und Kontext dieses Anschlags sprachen dafür, dass die Täter kaum der baskischen Terrororganisation ETA angehören können. Ich vermutete daher von Anfang an, dass die Attentäter dem Terrornetzwerk Al-Kaida oder einer mit ihr verbundenen Gruppe zuzuordnen sind.

Wie sind Sie zu diesem Schluss gekommen?

Diese Terroristen wollten offensichtlich ganz einfache Menschen treffen und nicht Entscheidungsträger. Sie wollten möglichst viel Leid und Entsetzen verursachen – also einfach ein Höchstmass an Angst und Zerstörung im Zielland erreichen. Dieselbe Handschrift trugen auch die Anschläge vom 11. September 2001 und jener in Bali vom Oktober 2002. Die ETA hingegen hat nach wie vor das politische Ziel eines unabhängigen Baskenlands vor Augen. Ein solches Attentat wäre für sie äusserst kontraproduktiv.

Warum traf es Spanien?

Der spanische Ministerpräsident Aznar hat sich während der Irak-Krise sehr schnell und klar auf die Seite der USA gestellt. Spanische Truppen stehen heute als Besatzungstruppen im Irak. Im Irak selbst wird es aufgrund der verstärkten Sicherheitsmassnahmen immer schwieriger, Attentate gegen fremde Truppen durchzuführen. Da liegt ein Ausweichen ins Kernland der US-Alliierten nahe.


MILAK-Tagung zu "Krieg in der Gegenwart"

(nst) Unter dem Eindruck der Ereignisse von Madrid stand auch die Frühjahrstagung der Militärakademie an der ETH Zürich (1) vom vergangenen Samstag im ETH-Hauptgebäude. Sie trug den Titel „Krieg in der Gegenwart: eine Beurteilung“. Neben MILAK-Direktor Rudolf Steiger und Tagungsleiter Albert A. Stahel äusserten sich die Experten Herfried Münkler, Professor für Politikwissenschaft an der Humboldt-Uni in Berlin, Udo Steinbach, Professor für Islamwissenschaften und Politologie und Direktor des Deutschen Orient-Instituts Hamburg sowie Milan Vego, Professor am Naval War College in Newpot (RI), USA.

Die Analysen zeigten, dass klassische zwischenstaatliche Kriege zwischen ähnlich starken Gegnern wohl der Vergangenheit angehören. Im 21. Jahrhundert sei vermehrt mit dem Phänomen des „asymmetrischen Kriegs“ zu rechnen. Dieser äussert sich im einseitigen Fehlen eines staatlichen kriegführenden Monopols, also einer Parzellierung des Kriegsgeschehens. Der Terrorismus als eine seiner Formen ziele nicht auf militärische Konfrontation, sondern auf einen dauerhaften wirtschaftlichen Schaden, um den politischen Willen des Angegriffenen zu schwächen. Die verbreitete, aber gefährliche Wahrnehmung eines gegenwärtig sich abspielenden Kampfes zwischen westlicher und islamischer Kultur müsse einer gerechten und globalen Einschätzung der Lage weichen, in welcher auch Europa und der Westen ihren Beitrag zur Deeskalation zu leisten hätten, hiess es an der Tagung. Als Stichwort dazu wurde Palästina genannt. Der islamischen Welt müssten vom Westen zudem echte Entwicklungschancen eingeräumt werden.




Albert A. Stahel, Dozent an der Militärakademie an der ETH Zürich. gross

Nach dieser Logik müsste auch Italien damit rechnen, zur Zielscheibe des islamistischen Terrors zu werden.

Ja, allerdings. Zumal beide, Italien und Spanien, nicht in der Lage oder willens sind, ihre Seegrenzen gegen illegale Einwanderung wirksam zu schützen – also auch kaum etwas ausrichten können gegen terroristische Infiltration.

Es war im übrigen schon lange bekannt, dass Al-Kaida in Spanien über ein gut funktionierendes Netz von Sympathisanten und Aktivisten verfügt. Verschärfend kommt hinzu, dass beide Länder ihre Streitkräfte derzeit ausdünnen, insbesondere auf Kosten der inneren Sicherheit.

Wie kann Terror dieser Dimension, wenn überhaupt, wirksam bekämpft werden?

Es braucht zur Vermeidung solcher Angriffe grosse zusätzliche Anstrengungen der Nachrichtendienste, und zwar auch verstärkte physische Aufklärung durch sprachlich und kulturell beschlagene Spezialisten an der logistischen Basis, also in Ländern wie Marokko, Algerien und Ägypten. Und ich meine, dieses Beispiel zeigt einmal mehr, dass ein Staat eine effiziente, zentral gelenkte Polizei braucht, die in der Lage ist, einer paramilitärischen Herausforderung zu begegnen.

Wie stellt sich aus Ihrer Sicht der grössere Kontext der Madrider Ereignisse dar?

Zum einen wurde das erklärte Ziel der Afghanistan-Intervention von 2001, nämlich Al-Kaida zu zerstören, nicht erreicht. Das Netzwerk wurde lediglich atomisiert – was deren Bekämpfung heute noch schwieriger macht. In allen Staaten, die seinerzeit Kämpfer für den Widerstand gegen die sowjetische Besatzung Afghanistans stellten, sind noch Kaida-Ableger vorhanden. Zum anderen wirkt der Irak-Krieg von 2003 nachhaltig als Demütigung, und zwar für breite Kreise im Mittleren Osten. Diese zwei Umstände sprechen leider dafür, dass auch künftig jederzeit und überall mit Anschlägen von solcher Dimension zu rechnen ist.

Würden Sie aus dem „11. März“ auch eine Konsequenz für die Schweiz ziehen?

Es ist das, was ich seit langem sage: Die laufende Reduktion unserer Armee schwächt die Überwachung unserer Grenzen und die Kapazitäten wirksamen Vorbeugens von Gewaltakten im Innern. Uns fehlt eine zentrale Polizei. So dürfte die Durchlässigkeit unserer Südgrenze auch einer der wahren Hauptgründe für den aktuellen Unmut Deutschlands gegenüber der Schweiz sein: Nämlich, dass es für illegale Gruppierungen ein Leichtes ist, die Schweiz als Durchgangsstation nach Deutschland zu missbrauchen. Und nicht nur das: Die kleine Schweiz leistet sich – auch nach der Bellasi-Affäre – sechs bis sieben Nachrichtendienste, die mit Sicherheit nicht alle am selben Strick ziehen. Das ist schlicht Unsinn.


Fussnoten:
(1) Militärakademie an der ETH Zürich: www.milak.ethz.ch



Sie können zu diesem Artikel ein Feedback schreiben oder die bisherigen lesen.




!!! Dieses Dokument stammt aus dem ETH Web-Archiv und wird nicht mehr gepflegt !!!
!!! This document is stored in the ETH Web archive and is no longer maintained !!!