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Rubrik: Science Life
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Publiziert: 09.03.2005 06:00

ETH-Studie zur Landwirtschaftspolitik
Unterstützung am falschen Ort

Die Landwirtschaft leistet nur in den wenigsten Gemeinden einen effektiven Beitrag zur dezentralen Besiedlung. Das zeigt eine Studie der ETH Zürich. 700 Millionen Franken werden demnach über den Verfassungsauftrag hinaus für Strukturerhaltung aufgewendet.

Von Felix Würsten

Eine zentrale Aufgabe der Landwirtschaft, so jedenfalls steht es im Artikel 104 der Bundesverfassung, ist es, einen wesentlichen Beitrag zur Erhaltung der dezentralen Besiedlung zu leisten. Der Auftrag ist an sich politisch unumstritten. Der Blick in die reale Welt zeigt jedoch, dass das Ziel nicht so ohne weiteres zu erreichen ist. Es gibt immer weniger Bauern im Land, und in den Randregionen droht heute, dass sich ganze Täler entvölkern. Die Frage liegt deshalb nahe, ob die beträchtlichen finanziellen Mittel für die Landwirtschaft – insgesamt sind es rund vier Milliarden Franken pro Jahr – auch richtig eingesetzt werden.

Hildegard Fässler, Nationalrätin und Fraktionschefin der SP, verlangte deshalb mit einem Postulat vom Bundesrat, einen Bericht über diese Frage vorzulegen. Das zuständige Bundesamt für Landwirtschaft beauftragte daraufhin Peter Rieder, Professor für Agrarwirtschaft (1) an der ETH Zürich, eine entsprechende Studie zu verfassen. Der brisante Bericht (2) wurde vor kurzem den Medien vorgestellt.

Drei politische Ziele

Die Landwirtschaftpolitik verfolgt drei Ziele: In der Schweiz sollen die Bauern eine gewisse Selbstversorgung des Landes gewährleisten; das bearbeitete Land soll ökologisch bewirtschaftet werden; und schliesslich soll die Landwirtschaft – wie bereits erwähnt – einen Beitrag zur dezentralen Besiedlung leisten. "Verständlicherweise versucht der Bauernverband, diese drei Aspekte zusammenzuhalten", meint Peter Rieder. "Für unsere Studie haben wir sie aber aufgebrochen und damit versucht, etwas Transparenz in die Rechnung zu bringen."

In einem ersten Schritt hat Rieder zusammen mit Simon Buchli und Birgit Kopainsky untersucht, in welchen Gemeinden die Landwirtschaft überhaupt einen Beitrag zur dezentralen Besiedlung leistet. "Wir haben von sämtlichen Gemeinden der Schweiz 22 Variablen erfasst und daraufhin mit einem Clusterverfahren 17 Typen von Gemeinden definiert." Die Autoren unterscheiden etwa "vitale Agglomerationsgemeinden", "unvollständig tertiarisierte Gemeinden", "attraktive Wohngemeinden mit Landwirtschaft", "ländliche Gemeinden mit starkem 2. Sektor" oder eben auch "Agrargemeinden".

"Hinter dieser Klassifizierung steckt viel Arbeit; so etwas kann man nur an einer Hochschule machen", meint Rieder mit Blick auf "private" regionalpolitische Studien, wie sie beispielsweise kürzlich von der wirtschaftsnahen Stiftung "Avenir Suisse" veröffentlicht wurden. Die Daten der ETH-Forscher zeigen nun, dass in rund 360 Gemeinden die Landwirtschaft einen wesentlichen Beitrag zur Besiedlung leistet. In weiteren 260 Gemeinden ist ein geringer Beitrag auszumachen, während in den restlichen 2275 Gemeinden kein wesentlicher Effekt festgestellt werden kann.

Nur wenige wären betroffen

In einem zweiten Schritt haben die Forscher untersucht, was mit diesen Gemeinden passieren würde, wenn die Beiträge an die Landwirtschaft gekürzt würden. Rieders Gruppe hat ermittelt, dass in diesem Fall 231 Gemeinden in ihrer Existenz gefährdet wären; diese befinden sich vorwiegend in Graubünden, in der Zentralschweiz, im Tessin, im Wallis und im Jura.


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Die Landwirtschaft soll mithelfen, die dezentrale Besiedlung der Schweiz zu sichern. (Bild Esther Ramseier) gross

Bemerkenswert ist die Grösse dieser Gemeinden: Sie haben eine durchschnittliche Einwohnerzahl von nur gerade 211 Personen. Von den Kürzungen wären insgesamt 49'000 Personen betroffen. "Eine pauschale Unterstützung durch den Bund ist demnach – aus siedlungspolitischer Sicht – nicht gerechtfertig", meint Rieder. Politisch brisant ist nun die Frage, um welche finanziellen Grössenordnungen es dabei geht.

"Unsere früheren Studien zeigen, dass die beiden Ziele Selbstversorgung und Ökologie heute übererfüllt werden. Das heisst, man könnte diese Ziele mit wesentlich weniger staatlichen Mitteln erreichen", erklärt Rieder. Dies hätte allerdings Auswirkungen auf die Betriebsstrukturen, da für ein gesichertes Einkommen unter diesen Umständen mehr Fläche pro Betrieb benötigt würde. Aus ökologischer Sicht, so versichert Rieder, wäre dies übrigens durchaus zu begrüssen. "Grössere Betriebe produzieren ökologischer als kleine, weil sie den Boden weniger intensiv nutzen müssen."

Gezielter Einsatz der Mittel

Zieht man von den gesamten Mitteln, die für die Landwirtschaft aufgewendet werden, den Betrag ab, den man für die Selbstversorgung und die Ökologie aufwenden muss, resultieren die Kosten für den "Rest" – eine bewusst saloppe gewählte Formulierung. Dazu gehört unter anderem auch der Beitrag, mit dem die dezentrale Besiedlung sichergestellt werden soll. Da die Landwirtschaft nur in den wenigsten Gemeinden einen Effekt auf die Siedlungsentwicklung hat, kommt das Team von Rieder nun zum Schluss, dass nicht alle Ausgaben für die Landwirtschaft mit dem Verfassungsauftrag gerechtfertigt werden können.

Ein grosser Teil – die Autoren gehen von 700 bis 800 Millionen Franken pro Jahr aus – dient vielmehr dazu, das Einkommen von Bauern in Regionen zu stützen, in denen die Landwirtschaft gar keine entscheidende Rolle für die Siedlungsentwicklung spielt. Könnte also der Bundeshaushalt um 700 Millionen entlastet werden? Nicht unbedingt, meint Rieder. "Es stellt sich aber die Frage, wie die Mittel effizienter verwendet werden könnten." Sinnvoll wäre etwa, die Gelder gezielt dort einzusetzen, wo die Gemeinden tatsächlich existentiell von der Landwirtschaft abhängen.


Fussnoten:
(1) Homepage des Instituts für Agrarwirtschaft: www.iaw.agrl.ethz.ch/
(2) Die Studie ist auf der Internetsite des Bundesamtes für Landwirtschaft verfügbar: www.blw.admin.ch/news/publikationen/



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