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Rubrik: Science Life
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Publiziert: 02.05.2003 06:00

Neuartiger magnetischer Zustand der Materie entdeckt
Einsteins Voraussage bestätigt

Forscher der ETH Zürich und des PSI in Villigen entdeckten, dass Materie unter bestimmten Voraussetzungen einen bisher nur theoretisch bekannten magnetischen Zustand annehmen kann. Damit bestätigt sich, dass die sogenannte Bose-Einstein-Kondensation auch in magnetischen Systemen vorkommt.

Von Felix Würsten

Die Bose-Einstein-Kondensation gilt unter Physikern als besonders brisantes Forschungsthema. Der Übergang der Materie in einen eigentümlichen Zustand bei extrem tiefen Temperaturen könnte, so jedenfalls glauben Optimisten, bei der Entwicklung von futuristischen Technologien wie Atomlasern, Supraleitern oder Quantencomputern eine wichtige Rolle spielen (1). In den letzten Jahren konnten bei der Erforschung der Bose-Einstein-Kondensation einige Durchbrüche verzeichnet werden. Ein wichtiger Schritt gelang nun einem Forscherteam mit den Doktoranden Christian Rüegg und Nordal Cavadini unter der Leitung von Albert Furrer vom Labor für Neutronenstreuung der ETH Zürich und des Paul Scherrer Instituts in Villigen (2). Wie das Team in der jüngsten Ausgabe der Zeitschrift "Nature" (3) berichtet, konnte es erstmals eine Bose-Einstein-Kondensation in einem magnetischen System nachweisen.

Völlig andersartiger Zustand

Das für Laien nur schwer zu verstehende Phänomen wurde bereits vor achtzig Jahren von Albert Einstein und Satyendra Nath Bose theoretisch vorausgesagt. Die beiden Physiker postulierten, dass die Materie bei sehr tiefen Temperaturen in einen völlig andersartigen Zustand übergeht, der mit den klassischen Gesetzen der Physik nicht mehr beschrieben werden kann. Die einzelnen Bausteine der Materie - Atome oder Elektronen - verlieren ihren Charakter als individuelle Partikel und bilden plötzlich einen grösseren, einheitlichen Komplex, der den Gesetzen der Quantenmechanik gehorcht.

Drei Mal nachgewiesen

Bisher wurde dieser Übergang der Materie in drei Fällen experimentell nachgewiesen. Ein erstes Mal bestätigten sich die Voraussagen von Einstein und Bose, als man Helium unter eine Temperatur von 2,17 Kelvin abkühlte. Helium wird dann zum sogenannten "Superfluid", das keine innere Reibung mehr aufweist. Der zweite Nachweis gelang, als man in den sechziger Jahren die Supraleitung theoretisch erklären konnte. Supraleitung – also die praktisch verlustfreie Leitung von Strom bei tiefen Temperaturen - kommt dadurch zustande, dass sich die Elektronen im Leiter zu einer Einheit überlagern und daher keine innere Reibung mehr überwinden müssen. Schliesslich gelang es in den neunziger Jahren, Rubidium-Atome in einer speziellen "Kältefalle" auf eine Temperatur von wenigen Nano-Kelvin über dem absoluten Nullpunkt abzukühlen. Dabei bildete sich ein Bose-Einstein-Kondensat: die einzelnen Atome verhielten sich nicht mehr wie einzelne Partikel, sondern wie ein einziges grosses Superatom.

Anregung mit Neutronen

Furrers Gruppe gelang nun der Nachweis, dass die Bose-Einstein-Kondensation auch in einem vierten Bereich vorkommt. Die Forscher stiessen auf das Phänomen, als sie die magnetischen Eigenschaften von Thallium-Kupfer-Trichlorid (TlCuCl3) bei Temperaturen unter 10 Kelvin mit Neutronen-Streuexperimenten untersuchten. TlCuCl3 ist eine sehr spezielle Substanz, sind doch die Moleküle wie eine Leiter aufgebaut. Dabei bilden jeweils zwei Kupferionen die Enden der "Sprossen", das heisst, sie sind besonders eng miteinander verbunden.

Kristallographische Darstellung des untersuchten Thallium-Kupfer-Trichlorids. Kupferatome sind rot, Chloratome weiss und Thalliumatome blau markiert. Der Schnitt durch die ac-Ebene zeigt, dass die Kupferpaare eine Leiter-förmige Struktur bilden. gross


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Christian Rüegg und Albert Furrer beim Aufbau eines Neutronen-Streuexperimentes. gross

TlCuCl3 ist im Grundzustand nicht magnetisch. Wenn man die Kupferionen jedoch mit Neutronen anregt, dann werden die Kupferpaare vom unmagnetischen Grundzustand in den magnetischen Triplett-Zustand versetzt. Dabei können sie drei verschiedene Energieniveaus annehmen. Die Wissenschaftler wollten nun wissen, wie sich die Atome im magnetischen Zustand verhalten. Sie haben dazu deren Bewegung untersucht und diese anhand der sogenannten Spinwelle charakterisiert. Physikalisch lässt sich die Spinwelle als Beziehung zwischen Energie und Impuls beschreiben.

Widerspruch zur konventionellen Theorie

Verhalten sich die Atome gemäss der konventionellen Theorie, dann besteht zwischen Impuls und Energie eine quadratische Beziehung. Das ist bei TlCuCl3 normalerweise der Fall. Wenn man bei den tiefen Temperaturen jedoch zusätzlich noch ein starkes externes Magnetfeld anlegt, ändert sich die Situation. Sobald die Feldstärke den kritischen Wert von 6 Tesla übersteigt, ist beim tiefsten Energieniveau der Spinwelle die Beziehung zwischen Energie und Impuls nicht mehr quadratisch, sondern linear.

Gerade diese lineare Beziehung ist charakteristisch für die Bose-Einstein-Kondensation. "Das ungewöhnliche Verhalten des TlCuCl3 beweist also, dass dieses Phänomen auch in einem magnetischen System vorkommen kann", erklärt Furrer. "Wir haben damit einen magnetischen Zustand nachgewiesen, den man bisher erst theoretisch kannte."

Hilfe der Chemiker

Furrer möchte diesen Zustand nun weiter untersuchen, etwa mit leicht veränderten Materialien. "Wie stark das externe Magnetfeld sein muss, damit es zur Bose-Einstein-Kondensation kommt, hängt von der Zusammensetzung des Materials ab", erläutert Furrer. Ersetzt man beispielsweise Thallium durch Kalium, dann muss man ein Feld von 20 Tesla ansetzen, um den Effekt zu beobachten. Ersetzt man das Thallium hingegen durch eine Ammonium-Gruppe (NH4), braucht es gar kein äusseres Magnetfeld mehr, damit die Bose-Einstein-Kondensation auftritt. "Das Phänomen könnte also mit einer wesentlich einfacheren Versuchsanordnung analysiert werden."

(NH4)CuCl3-Kristalle sind allerdings äusserst schwierig herzustellen. Bereits die Erzeugung des TlCuCl3-Kristalls erwies sich nämlich als anspruchsvoll. "Als Physiker konnten wir nur sagen, welche Strukturen wir brauchen. Um sie herzustellen, benötigten wir die Hilfe der Chemiker", berichtet Furrer. Er wandte sich daher an die Gruppe von Hans Ulrich Güdel vom Departement für Chemie und Biochemie der Universität Bern (4), welche die gewünschten Moleküle herstellen konnte.

Erfolg dank Misserfolg

Die erfolgreiche Entdeckung ist übrigens einem Misserfolg zu verdanken, wie Furrer erzählt. "Eigentlich untersuchten wir TlCuCl3 aus einem ganz anderen Grund. Wir dachten, mit einer leiterförmigen Kristallstruktur könnten wir eine neue Art von Hochtemperatur-Supraleitern herstellen." Den Experimenten war allerdings kein Erfolg beschieden. Dafür gelang nun auf einem anderen aktuellen Forschungsgebiet ein wichtiger Durchbruch.


Fussnoten:
(1) Siehe dazu auch "ETH Life"-Artikel "Ordnung in die Quantensuppe": http://www.ethlife.ethz.ch/articles/BoseEinsteinKondens.html
(2) Homepage des Labors: http//:lns.web.psi.ch/
(3) Nature Vol. 423, 1 May 2003, pp. 62-65
(4) Homepage des Departments: http://dcbwww.unibe.ch/



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