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Rubrik: Science Life
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Publiziert: 27.09.2001 06:00

Der ETH-Ökologe Andreas Fischlin zur Klimapolitik
"Die Politik hat jahrelang geschlafen"

Die Klimapolitik erreichte Ende Juli in Bonn einen Durchbruch. Diese Auffassung teilt der ETH-Ökologe Andreas Fischlin aus einer realpolitischen Perspektive, hält aber auch fest, dass das nun vereinbarte "Kyoto Light" allein noch keinen Einfluss auf das Klima haben wird. Vor der nächsten Klimakonferenz in Marrakesch nimmt der Senkenspezialist auch Stellung zu diesem Instrument.

Das Interview mit Andreas Fischlin führte Christoph Meier

Herr Fischlin, wie wichtig war Bonn für Sie als Wissenschaftler, der sich seit mehr als zehn Jahren mit den Auswirkungen des Klimawandels auf terrestrische Ökosysteme beschäftigt?

Ich war als Mitglied der schweizerischen Delegation in Bonn anwesend. Meine wissenschaftliche Arbeit im IPCC (1) und meine Teilnahme an früheren Verhandlungen haben mir dabei geholfen, ein gewisses Sensorium für die historische Bedeutung klimapolitischer Fragen zu entwickeln. So gesehen messe ich der Bonner Konferenz gleich wie meine Politikerkollegen eine historische Bedeutung zu. Folgende Überlegung ist für mich dabei zentral: Was wäre passiert, wenn diese Einigung nicht zustande gekommen wäre? Ein "Buisness-as-usual"-Szenario entsprechend den Annahmen des IPCC mit all seinen mehrheitlich negativen Folgen wäre recht wahrscheinlich geworden. Mit der erzielten Bonner Vereinbarung zum Kyoto Protokoll (2) besteht nun zumindest die Option, dass dieses Szenario nicht eintreten wird.

Für Sie ist also mit Bonn der erste Schritt gemacht. Teilen Sie die Ansicht nicht, dass zu viele Schlupflöcher (3) für einen wirksamen Klimaschutz offen bleiben?

Das ist doch ein Streit um ein halbvolles oder halbleeres Glas. Natürlich ist Bonn ein Kompromiss nahe der Schmerzgrenze und in gewissen Bereichen sogar darüber. Doch die Gefahr, dass durch ein Scheitern die Klimapolitik auf internationaler Ebene auf Jahre hinaus blockiert worden wäre, war zu gross. Zehn Jahre Arbeit wären für nichts gewesen. Wahrscheinlich hätte man dann auch noch zehn Jahre gewartet und eventuell wieder zehn Jahre für einen Vertrag benötigt. Insgesamt wären also 30 Jahre auf dem Weg zu einem Klimaschutz verloren gewesen. Insofern haben wir eine historische Chance wahrgenommen. Ich impliziere damit aber keinesfalls, dass mit Bonn schon die Garantie für einen wirksamen Klimaschutz gegeben ist. Doch ein global wirksamer Klimaschutz ist reell möglich geworden.

Auch die inländische Politik macht ja oft nur zäh Fortschritte, wie man am Beispiel des CO2-Gesetzes oder anderen gesetzlichen Neuerungen immer wieder sieht. Wir müssen uns deshalb davor hüten, aus einer Elfenbeinturm-Perspektive politische Forderungen aufzustellen, welche die realpolitischen Möglichkeiten bei Weitem überschätzen.

Ein wirksamer Klimaschutz braucht also mehr als das Kyoto-Protokoll. Woher kommen dann die Zahlen, wie zum Beispiel die der Reduktion um fünf Prozent?

Diese Zahlen sind wissenschaftlich betrachtet reine Willkür. Es wäre fatal, wenn man diese Zahlen in irgendeinen Zusammenhang mit einem wirksamen Klimaschutz oder einer Stabilisierung der atmosphärischen Treibhausgaskonzentrationen, wie sie ja die Klimakonvention (4) fordert, bringen würde. Denn es ist von der Forschung her klar, dass dafür viel massivere Reduktionen erforderlich wären. Fünf Prozent Reduktion der Treibhausgasemissionen war ein Anspruch, auf den sich die verschiedenen Parteien in Kyoto 1997 noch einigen konnten. Und man darf hier nicht vergessen, einige Parteien lenkten auch nur im Hinblick auf erhoffte Erleichterungen wie z.B. die Kohlenstoff-Senken ein.

Apropos Kohlenstoff-Senken: Teilen Sie die Meinung von Michael Kohn (5), dass der Wald das Kyoto-Protokoll gerettet habe?

Ja, bedingt durch die komplizierte Materie und den schwierigen Meinungsbildungs-Prozess waren solche "Elastizitäten" wie die Kohlenstoffsenken für den Konsens notwendig. Ohne solche "Aufweichungen" wäre das Kyoto-Protokoll nach 1997 von vielen Vertragsstaaten gar nie unterzeichnet worden. Eine Gesellschaft, die fest daran glaubt, nur mit einem wachsenden Energieverbrauch florieren zu können, ist natürlich durch den Kyoto-Prozess fundamental herausgefordert. Übrigens können in einer Übergangsphase Eingeständnisse, wie sie vor allem gegenüber den sogenannten Umbrella-Staaten gemacht wurden, durchaus auch als sinnvoll angesehen werden. Der Klimaschutz ist ja eine Aufgabe, die vor allem langfristig wachsen und auf Dauer wirksam werden muss. Das ist kein Geschäft einer kurzfristigen Tagespolitik.


Senken: politisch bedeutsam

Kohlenstoffsenken wurden in der Diskussion um das Klima von vielen, auch von Wissenschaftlern, lange als von marginaler Bedeutung eingestuft. Die Gründe dafür lagen unter anderem darin, dass die Aufnahmekapazität der Ökosysteme begrenzt ist, also die Senkenwirkung auf wenige Jahrzehnte beschränkt sein wird. Zudem ist ihr Kohlenstoffbindungsvermögen im Vergleich zu den Mengen, die zwischen Atmosphäre und Vegetation ständig ausgetauscht werden, gering. Betrachtet man aber nur den anthropogen bedingten, jährlichen Ausstoss von Treibhausgasen in der Grössenordnung von rund sieben Gigatonnen Kohlenstoff, so ist die weltweit maximale Senkenkapazität von geschätzten vier Gigatonnen (IPCC) alles andere als klein. In Bezug auf die fünf Prozent Reduktion, die im Kyoto-Protokoll vereinbart wurde, ist sie sogar immens und Senken sind somit zum ernst zu nehmenden Politikum geworden.




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Erachtet die Bonner Konferenz als Erfolg, sieht aber sonst grosse Versäumnisse in der Klimapolitik: der ETH-Ökologe Andreas Fischlin. gross

Die Schweiz hat sich dafür ausgesprochen, dass Kohlenstoffsenken nur unter der Bedingung der Umweltverträglichkeit angerechnet werden sollen. Was bedeutet das?

Bei Kohlenstoffsenken war es wichtig, dass keine sogenannten perversen Anreize entstehen. Stellen sie sich beispielsweise folgende Situation vor: Ein Grossbetrieb aus einem Industrieland wie der Schweiz lässt sich ein Aufforstungsprojekt in einem Entwicklungsland in Afrika bei den Reduktionsverpflichtungen anrechnen, was innerhalb der sogenannten Clean Development Mechanisms (CDM) nun möglich geworden ist. Dafür wird aber vorgängig, z.B. in diesem Jahr, ein Stück Urwald abgeholzt, wobei riesige Mengen an Kohlenstoff freigesetzt werden. Dann wird mit schnellwüchsigen Baumarten aufgeforstet. Während der ersten Verpflichtungsperiode, d.h. von 2008 bis 2012 wird damit höchstwahrscheinlich netto eine Senke nachweisbar sein. Aber was nützt das dem Klimaschutz, wenn z.B. eine 60 Jahre anhaltende Senkenwirkung erforderlich wäre, um den vor 2008 verursachten Verlust von CO2 an die Atmosphäre wieder wett zu machen? Eine kürzlich veröffentlichte Studie hat gezeigt, dass solche langen Ausgleichsperioden durchaus realistisch sind. Leider wurden solche Möglichkeiten übersehen und das Kyoto Protokoll enthält Formulierungen, die bei unbedachter Anwendung Anreize zu solchem Vorgehen nicht auszuschliessen vermögen.

Wurden in Bonn Bedingungen formuliert, die solche Missbräuche verunmöglichen?

Nein, noch nicht. Aber um dem Kompromiss aus schweizerischer Sicht überhaupt zustimmen zu können, haben wir im Zusammenhang mit dem erwähnten Beispiel die Forderung gestellt, dass bei den sogenannten Senkenprojekten im CDM strenge Auflagen erfüllt werden müssen. Zusammen mit einer Mehrheit der Länder, z.B. der EU, haben wir dies auch durchsetzen können. Es wurde beschlossen, dass nun solche Bedingungen erarbeitet werden müssen. Wie die dann im Einzelnen aussehen werden, steht zurzeit allerdings noch nicht fest. Klar ist lediglich, dass das IPCC zu dieser Frage Input liefern soll und dass die Vertragsstaatsparteienkonferenz (COP) dann hierzu in den nächsten Jahren Beschlüsse fassen wird.

Wirkt sich die politische Anerkennung der Kohlenstoffsenken bereits auf Ihre eigene Forschungstätigkeit aus?

Bei uns am Institut ist in meiner Gruppe zusammen mit anderen Forschern von der ETH und der WSL (Eidg. Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft) in diesem Jahr ein international vernetztes Projekt zum Thema Kohlenstoffspeicher und Flüsse in schweizerischen Wäldern in Angriff genommen worden. Durch die Beschlüsse von Bonn erhält dieses Projekt nun neben dem wissenschaftlichen noch verstärkt politisches Gewicht. Zusammen mit einem Kollegen veröffentlichte ich aber bereits 1994 eine erste Studie zum Thema Senkenpotenzial im Schweizer Wald.

Über viele Jahre kam ich mir allerdings als einsamer Rufer in der Wüste vor. Nur wenige Kollegen haben sich dafür interessiert und insbesondere die schweizerische Politik hat lange geschlafen. Das hat zu meiner Enttäuschung teilweise sogar dazu geführt, dass von mir ausgebildete, talentierte Wissenschaftler entmutigt worden sind, in diesem Gebiet weiter zu arbeiten. Jetzt stehen wir vor der Situation, dass die Schweiz rasch politische Entscheidungen fällen muss, dass aber hierzu genügend umfassende, wissenschaftliche Grundlagen fehlen und es zuwenig Experten gibt. Die meisten Aussagen, die wir zurzeit machen können, sind provisorischer Art, bestenfalls grobe, erste Abschätzungen.

Doch lassen sich mich über die Zukunft sprechen: Ich bin natürlich jederzeit dabei, wenn es nun gilt mitzuhelfen, dass die erforderlichen Entscheidungsgrundlagen wissenschaftlich möglichst solide und auch für die Praxis gut nutzbar erarbeitet werden.


Fussnoten:
(1) IPPC (Intergovernmental Panel on Climate Change): www.ipcc.ch/
(2) Kyoto-Protokoll und Klimakonvention: http://unfccc.int/resource/convkp.html
(3) ETH-Life Interview "Riesige Schlupflöcher bleiben" mit T. Bernauer www.ethlife.ethz.ch/tages/show/BonnerKlimakonferen.html
(4) Kyoto-Protokoll und Klimakonvention: http://unfccc.int/resource/convkp.html
(5) Interview mit Michael Kohn, Mitglied der Schweizer Klimadelegation, in der Baz: www.baz.ch/invoke.cfm?ObjectID=6C27AF66-CCBB-4534-B0E673FF4B3B7030&method=displayFull



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