ETH Life - wissen was laeuft

Die tägliche Web-Zeitung der ETH Zürich - in English

ETH Life - wissen was laeuft ETH Life - wissen was laeuft
ETH Life - wissen was laeuft
Home

ETH - Eidgenoessische Technische Hochschule Zuerich - Swiss Federal Institute of Technology Zurich
Rubrik: Science Life
Print-Version Drucken
Publiziert: 02.10.2001 06:00

Nach dem Entscheid für die Stammzellen-Forschung
"Es darf keine Stammzellen-Ethik geben"

Der Nationalfonds hat vor wenigen Tagen ein umstrittenes Gesuch von Forschern der Uni Genf zur Förderung der Stammzellenforschung bewilligt. Am Umgang mit Stammzellen - embryonalen Stammzellen primär - scheiden sich die Geister: Die einen erwarten von diesen "Alleskönnern" unter den Zellen bald Therapien für schwere Krankheiten wie MS und Alzheimer. Die anderen befürchten, dass mit der Zulassung embryonaler Stammzellen in Forschung und Therapie ein ethisches Tabu gebrochen wird. Interview mit Hans Eppenberger, ETH-Professor für Zellbiologie.

Das Interview mit Hans Eppenberger führte Norbert Staub

Herr Professor Eppenberger, wie schätzen Sie den Entscheid des Nationalfonds ein, Forschung an embryonalen Stammzellen zu fördern?

Hans Eppenberger: Im Prinzip finde ich den Entscheid richtig; auf diese Weise ist die Legalität soweit gewahrt. Dies in einer Sache, die sowieso kommt.

An der ETH wird hauptsächlich an tierischem Zellmaterial geforscht. Engagiert sich die ETH jetzt auch im boomenden Feld der humanen Stammzellen?

Eppenberger: Die Life Sciences haben nun nach langer Durststrecke an dieser Hochschule einen hohen Stellenwert gewonnen. An verschiedenen Instituten wird mit adulten Stammzellen geforscht. Wir in der Zellbiologie haben zum Beispiel ein Verfahren zur in-vitro-Herstellung von humanen Herzzellen entwickelt, das mit Sicherheit einmal zur Transplantierberkeit führen wird. Auch in der biomedizinischen Technologie, ich denke an den Bereich Tissue Engineering, wird am Ersatz von menschlichem Gewebe gearbeitet. Aber das Gewinnen von embryonalen Stammzellen ist, solange es das Gesetz verbietet, an der ETH tabu.

Eine Möglichkeit, zu Stammzellen zu kommen, ist das "therapeutische" Klonen, also die Fusion einer entkernten Eizelle mit dem Kern einer Körperzelle. Grosse Hoffnungen werden darin gesetzt. Wie schwierig ist das heute noch?

Eppenberger: Es braucht einen grossen Aufwand und funktioniert vielleicht einmal in hundert Fällen.

blastozyste
Weckt Hoffnung auf neue Therapien: Embryo im Frühstadium (Blastozyste), bestehend aus noch totipotenten Stammzellen. gross

... immerhin, bei Dolly musste noch 250 bis 300 Mal probiert werden - macht Ihnen die sich abzeichnende rasante Entwicklung Sorgen?

Eppenberger: Irgendwo habe ich gelesen, therapeutisches Klonen, sei noch die "ethischste" Art, Stammzellen zu gewinnen. Wirklich bedenklich erscheint mir die mögliche Kommerzialisierung. Wenn zum Beispiel Firmen so weit gehen, dass sie Frauen ihre Eier abkaufen und diese dann entnukleieren, um damit Stammzellen herzustellen. Eine künftige Stammzelltherapie muss meines Erachtens eine betroffene Psyche möglichst schonen. Es darf keine spezielle Stammzellen-Ethik geben; was hier geschieht, muss bioethisch vertretbar sein.


Embryonale Stammzellen

Embryonale Stammzellen sind Zellen, aus denen sich noch alle Zelltypen entwickeln können. Man entnimmt Sie einem Embryo in sehr frühem Stadium. Das Potential nimmt sehr schnell ab. Gewonnen werden embryonale Stammzellen einerseits aus "überzähligen" Embryonen bei in-vitro-Fertilisationen. Ein anderer Weg ist, solche Stammzellen auch noch aus abgetriebenen Föten zu gewinnen – eine ethisch sehr umstrittene Methode. Eine zusätzlich Möglichkeit besteht darin, eine Eizelle zu entkernen und einen somatischen Zellkern - weiblich oder männlich - einzusetzen. Aus dem sich entwickelnden Embryo können die Stammzellen gewonnen werden, die laut Theorie beim Zellkernspender therapeutisch verwendet werden können. Mit dieser Methode verbinden sich deshalb grosse Hoffnungen, weil die therapeutischen Zellen genetisch dem Patienten entsprechen.




weitermehr

prof hans eppenberger
Engagierte sich früh für die gesetzliche Regelung der Gentechnologie in der Fortpflanzungsmedizin: Hans Eppenberger, ETH-Professor für Zellbiologie. gross

Vor einigen Wochen hatte der italienische Mediziner Antinori seinen Auftritt vor dem National Institute of Health (NIH) in Washington, wo er zusammen mit zwei anderen zu allem Entschlossenen das baldige Klonen eines Menschen ankündigte. Ich nehme an, dabei war Ihnen auch nicht wohl...

Eppenberger: ... ganz und gar nicht. Ich habe auch nicht begriffen, warum das renommierte NIH sich für eine solche Inszenierung hergab. Aber klar ist: Dass Klonen auch in der Humanmedizin Fuss fasst, ist der Lauf der Dinge. Ich selbst habe eine lange Erfahrung in diesem Bereich: ich habe mitverfolgt, als vor zwanzig, dreissig Jahren erste Experimente in diesem Bereich mit Froschembryonen gemacht wurden. Damals konnte erstmals gezeigt werden, dass auch ein somatischer Kern - in der richtigen Umgebung und in Anwesenheit der richtigen Faktoren - noch totipotent sein kann, dass also schlechthin jeder Zelltyp daraus entstehen kann.

Waren Sie sich damals der möglichen Gefahren und Missbräuche bewusst?

Eppenberger: Ja. Ich habe mich zum Beispiel vehement dafür eingesetzt, dass die Schweizer Gesetzgebung darauf vorbereitet wird. Ich war an vorderster Front bei der "Beobachter"-Initiative von 1987 dabei, die eine Regulierung der Gentechnologie in der Fortpflanzungsmedizin forderte. (1) Ich sagte damals schon, dass einmal Dinge möglich sein werden, die man sich nicht vorstellen kann. Jetzt stehen sie uns bevor. Wissen Sie, als Grundlagen-Wissenschaftler ist man in einer schwierigen Position: Einerseits ist man mitten drin und es ist enorm spannend zu verfolgen, welche Möglichkeiten die Gentechnologie uns eröffnet. Andererseits habe ich immer gesagt, dass nicht am Menschen herummanipuliert werden muss, um zu diesem Wissen zu gelangen, es reichen auch Mäuse, Ratten und Zebrafische.

Warum denn trotzdem dieser Trend zur Forschung am Menschen selbst?

Eppenberger: Die Humanmedizin sieht in den Stammzellen zu Recht ein ungeheures Potential. Und je jünger die Wissenschaftler sind, desto vehementer versuchen sie, es auszuschöpfen. Kürzlich wurden in Düsseldorf einem Herzpatienten Stammzellen gespritzt, ohne langes Nachfragen. Offenbar verbesserte sich danach sein Zustand. Ob und wenn ja, in welchem Zusammenhang dies mit den Stammzellen steht, liegt völlig im dunkeln. Aber es ist schon so: gerade beim Herzen, wo es keine Zellerneuerung gibt wie bei der Haut zum Beispiel – ist natürlich die Aussicht, mit Stammzellen Defekte auszugleichen, ungeheuer faszinierend. Für mich ist hier allerdings entscheidend, dass mit einer Stammzellen-Therapie nicht die Gefahr von Tumoren "importiert" wird. Denn ein grosser Vorteil der fehlenden Zellerneuerung beim Herzmuskel ist, dass es dort keine Tumore gibt.

Zwei Herzen schlagen also in Ihrer Brust: der Forscher im Dienst des medizinischen Fortschritts, und der politisch sensible Grundlagenwissenschaftler?

Eppenberger: Irgendwie schon. Stellen Sie sich vor, Sie würden an Multipler Sklerose leiden; da verlangen Sie zu Recht die modernste Therapie. Wird diese nicht angewendet, gehen Sie zum nächsten Arzt. Insofern ist der Prozess wohl nicht aufzuhalten. Die Politik kann ihn begleiten, aber nicht steuern. Ich wäre nicht erstaunt, wenn ein Dr. Antinori schon eine lange Liste von Patienten hätte, die von seiner Methode profitieren wollen. Die Stammzellen werden nicht bloss eine Episode in der Wissenschaftsgeschichte bleiben.

Sehen Sie einen Weg, der das neue Wissen zulässt, ohne die Klon-Phantasien von Antinori zu verfolgen?

Eppenberger: Ja. Es gibt ja die Chance, aus eigenem normalem Körpergewebe, etwa aus Haut, oder aus Vorläuferzellen des Blutsystems sogenannt adulte Stammzellen zu gewinnen; zwar können aus diesen nicht mehr sämtliche 200 Zelltypen entstehen, aber immerhin eine ansehnliche Zahl. Dieser Weg eröffnet zumindest für die Therapie spezifischer Krankheiten viele Möglichkeiten. Das ist ethisch unbedenklich und auch realistischer als von embryonalen Stammzellen Wunder zu erwarten - ganz zu schweigen vom noch zu lösenden Problem, wie denn aus ein paar embryonalen Stammzellen überhaupt eine Therapie werden soll, die doch Millionen von Zellen erfordert.


Fussnoten:
(1) Die "Beobachter-Initiative" aus dem Jahre 1987 verlangte vom Bund den Erlass von Vorschriften zur Verhinderung des Missbrauchs der Fortpflanzungs- und Gentechnologie beim Menschen. Bundesrat und Parlament arbeiteten einen Gegenvorschlag mit zahlreichen verfassungsrechtlichen Leitplanken aus. Zur Verhinderung sogenannt "überzähliger" Embryonen einigten sich die Räte auf eine Regelung, wonach nur so viele menschliche Eizellen ausserhalb des Körpers der Frau zu Embryonen entwickelt werden dürfen, als ihr sofort eingepflanzt werden können. Überdies muss der Zugang zu den Daten der Abstammung gewährleistet werden. Eine Zusicherung der Spenderanonymität ist dadurch nicht mehr möglich. Die "Beobachter-Initiative" wurde daraufhin zurückgezogen. Am 17. Mai 1992 nahmen Volk und Stände den Verfassungsartikel über den Schutz des Menschen und seiner Umwelt gegen Missbräuche der Fortpflanzungs- und Gentechnologie mit 73,8 % Ja an. Der Bund arbeitet zurzeit an einem Gesetz über die Forschung am Menschen. Darin sollen auch Fragen der Herstellung von Stammzellen geregelt werden. In Kraft treten wird es voraussichtlich nicht vor 2006.



Sie können zu diesem Artikel ein Feedback schreiben oder die bisherigen lesen.




!!! Dieses Dokument stammt aus dem ETH Web-Archiv und wird nicht mehr gepflegt !!!
!!! This document is stored in the ETH Web archive and is no longer maintained !!!