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Rubrik: Science Life
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Publiziert: 20.02.2006 06:00

WTO-Verdikt zum Gentechstreit USA-EU
Transatlantischer Graben bleibt

Im europäisch-amerikanischen Konflikt um die Zulassung von Gentech-Produkten hat die Welthandelsorganisation WTO kürzlich einen wichtigen Entscheid gefällt. Die EU habe mit ihrem faktischen Moratorium zwischen 1998 und 2004 den Freihandel mit gentechnisch veränderten Nahrungs- und Futtermitteln stark eingeschränkt, stellte das WTO-Schiedsgericht fest. Der Streit sei damit aber längst nicht zu Ende, sagt ETH-Professor Thomas Bernauer.

Norbert Staub

Mitte Mai 2003 hatten die USA, Kanada und Argentinien bei der WTO in Genf eine Beschwerde gegen den de-facto-Zulassungsstopp der EU für gentechnisch veränderte Organismen (GVO) eingereicht. Dieses Moratorium sei wissenschaftlich nicht begründet und schränke die Exportmöglichkeiten von nord- und südamerikanischen Produzenten nach Europa ein. Es sei nicht mit WTO-Regeln vereinbar, denen auch die EU verpflichtet ist. Beklagt wurde zudem, dass einzelne EU-Staaten GVO verbieten, obwohl diese von der EU bewilligt worden waren. Im Fokus standen hierbei die Gentechmaissorten Bt 176, T25 und MON 810.

Mit Spannung erwartet

Das Moratorium wurde zwar 2004 beendet, und die EU-Grenzen sind seither etwas durchlässiger für Gentech-Produkte. Dennoch wurde das Urteil wegen seiner Signalwirkung für den künftigen Umgang mit dem sensiblen Thema mit Spannung erwartet. Am 7. Februar hat sich die WTO vorerst in der Hauptsache der Argumentation der Übersee-Staaten angeschlossen: Die Welthandelsorganisation erklärte, die EU müsse ihre Regeln mit den internationalen Handelsverpflichtungen in Übereinstimmung bringen. Das vorläufige Verdikt ist ein rund 1'000 Seiten umfassendes Dokument – ein Zeichen dafür, „dass dieser Streitfall einer der komplexesten der WTO-Geschichte ist“, wie Thomas Bernauer, ETH-Professor für Politikwissenschaft, gegenüber „ETH Life“ festhält. Bernauer ist ein Spezialist auf dem Gebiet der politischen Regulierung der Gentechnologie. (1)

In seiner Reaktion auf das WTO-Verdikt sagte ein US-Handelsbeamter, es sei ein „wichtiger Meilenstein“: Das europäische Moratorium habe keine wissenschaftliche Grundlage gehabt, sondern nur einen „politischen Grund“. Auch Kanada begrüsste in einer vorläufigen Stellungnahme die WTO-Haltung. Auf Seiten der EU wurde festgehalten, die WTO habe lediglich das bereits aufgehobene Moratorium beanstandet. Anlass, die Gesetzgebung zu ändern, bestehe aufgrund der Entscheidung nicht. Gentech-kritische Organisationen verurteilten den WTO-Entscheid. Die Umweltorganisation Greenpeace erklärte, die EU-Kommission und die WTO wollten die Mitgliedsstaaten den Risiken von Gentech-Saaten aussetzen und dabei EU-Sicherheitsbestimmungen unterwandern. Nach Umfragen würden aber mehr als zwei Drittel der europäischen Verbraucher Genfood ablehnen.

Trügerischer Sieg

In seiner Einschätzung des WTO-Urteils spricht Thomas Bernauer gegenüber „ETH Life“ von einem „nur scheinbaren Sieg“ der von den USA angeführten Kläger. „Das WTO-Panel hat kein Urteil darüber gefällt, ob GVO-Produkte sicher sind oder nicht. Entsprechend äusserte es sich auch nicht zur wissenschaftlichen Legitimation der Haltung der EU, und ebensowenig zur strengen EU-Auslegung des Vorsorgeprinzips.“ Wozu hat die WTO denn konkret Stellung genommen? Erstens, so Bernauer, zum reklamierten Zulassungsmoratorium der EU. Ein solches habe aus der Sicht der WTO zwischen 1999 und 2003 in der Tat bestanden und sei gemäss WTO-Regeln unzulässig.


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US-Maisfarmer erhoffen sich vom WTO-Verdikt zur Zulassungspraxis für Gentechprodukte einen leichteren Zugang zum EU-Markt (Bild: Syngenta). gross

Zweitens habe das Schiedsgericht den Vorwurf der Kläger geprüft, dass durch das de-facto-Moratorium die Zulassungsverfahren bei 27 Gentech-Produkten in unrechtmässiger Weise verzögert worden seien. „Hier kam das Schiedsgericht zum Schluss, dass dies bei 24 von 27 Produkten der Fall war“, sagt Thomas Bernauer. Schliesslich behandelte die WTO die Rechtmässigkeit von Verboten einzelner Staaten von GVO-Produkten, die von der EU bereits zugelassen sind. Hierzu befand das Schiedsgericht , dass solche „safeguard measures“, die unter anderem von Frankreich, Deutschland und Österreich verhängt wurden, nicht WTO-konform seien. „Bei alledem bleibt aber festzuhalten, dass die WTO an den Zulassungsregeln der EU als solche nichts auszusetzen hat“, meint Bernauer, „im Gegenteil: Sie erachtet die dem Zulassungsentscheid vorgelagerte wissenschaftliche Risiko-Bewertung als ausreichend.“

Die Konsequenzen des WTO-Urteils seien insgesamt weit weniger dramatisch, als es die Kontrahenten darstellen, findet Thomas Bernauer. In zwei Bereichen könne es aber doch zu spürbaren Veränderungen kommen: Zum einen könnten sich die Zulassungsverfahren der EU für Gentech-Produkte leicht beschleunigen – aber nur im Rahmen des bestehenden EU-Rechtsrahmens. „Der Kern des WTO-Urteils besteht salopp gesagt in der Aufforderung der WTO an die EU, deren eigenes Recht wirksam umzusetzen und Rechtssicherheit zu gewährleisten. Dies ist grundsätzlich zu begrüssen“, so Bernauer.

Zum anderen stärke das Urteil der EU-Kommission im Verhältnis zu den Mitgliedstaaten den Rücken: „Die Kommission hat in den letzten Monaten jene Länder härter angefasst, die ohne systematische, risikobezogene Begründung GVO verboten haben, die von der EU bereits grünes Licht erhalten hatten.“ Die neue, seit 2004 gültigen Zulassungsregeln zwingen die Behörden zu einem transparenteren, zügigeren Verfahren und legen den Entscheid in die Hände der Kommission, wenn die nationalen Instanzen diesen verschleppen.

Wissenschaft kontra Demokratie?

Auch wenn mit dem Schiedsspruch nun etwas mehr Klarheit in diesen komplexen Konflikt gekommen ist: „Eine Lösung liegt noch in weiter Ferne“, hält der ETH-Politologe fest. Rekurse gegen das vorläufige Verdikt des WTO-Schiedsgerichts seien zu erwarten. "Das juristische Seilziehen ist somit keineswegs zu Ende." Und eine Marktöffnung der EU für Gentech-Lebensmittel werde es so bald nicht geben – zu gross sei in Europa der Widerstand gegen die grüne Gentechnik. Schliesslich bleibe die vielleicht fundamentalste Frage in diesem Konflikt ungelöst: „Inwieweit kann die öffentliche Meinung eine Einschränkung des Freihandels rechtfertigen, und bis zu welchem Grad können als Basis solcher Massnahmen rein wissenschaftlich – und nicht etwa demokratisch – ermittelte Risikobewertungen dienen?“ Hier öffne sich ein weiterer Graben, erklärt Thomas Bernauer: Denn Konsumentenschutz- und Umweltverbände sowie breite Wähleranteile in Europa erachteten Entscheide, die allein wissenschaftlicher Logik gehorchen, als undemokratisch.


Literaturhinweise:
Vgl. zum selben Thema den „ETH Life“-Bericht „Die Amerikaner sind risikofreudiger“ vom 20. Oktober 2004: www.ethlife.ethz.ch/articles/tages/bernauer_genes.html

Fussnoten:
(1) Von ihm stammt Buch, welches den transatlantischen Biotech-Konflikt beleuchtet: „Genes, Trade and Regulation. The Seeds of Conflict in Food Biotechnology“, Princeton University Press, Princeton 2003. (www.pup.princeton.edu/titles/7665.html)



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