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Rubrik: Science Life

Vortrag der Lernpsychologin Elsbeth Stern
Nutzbares Wissen als Bildungsziel

Published: 18.01.2007 06:00
Modified: 16.01.2007 18:10
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Was Hänschen nicht lernt, das lernt Hans nimmermehr, sagt der Volksmund. Ganz so pessimistisch muss man das nicht sehen. Der Mensch bleibt über die ganze Lebensspanne hinweg lernfähig. Aber ETH-Professorin Elsbeth Stern kann aufzeigen, dass verpasste Lerngelegenheiten den Wissenserwerb behindern können. Und worauf es bei der Wissensvermittlung in der Schule ankommt.



Peter Rüegg (mailto:peter.rueegg@cc.ethz.ch)

An Mathematik scheiden sich die Geister. Die einen betrachten sich als begabt, die anderen als unbegabt – weshalb sie lieber gleich die Finger davon lassen und sich im schlimmsten Fall auch als unintelligent abstempeln. Neuere Untersuchungen zeigen jedoch, dass in der Mathematik wie auch in anderen Lernbereichen nicht nur Begabung oder Intelligenz eine Rolle spielt.

Intelligenz sei zwar nach wie vor wichtig, und der IQ-Test noch immer ein geeignetes Instrument, um das geistige Potenzial einer Person zu ergründen, sagte die ETH-Professorin Elsbeth Stern in ihrem Vortrag „Intelligentes Wissen als der Schlüssel zum Können“, den sie vor Weihnachten an der ETH hielt. In Ländern, in denen weitgehend Chancengleichheit herrscht, spielt angeborene Intelligenz eine grössere Rolle. „Mit dem Alter nimmt der Einfluss der Gene sogar zu“, wusste Stern aus verschiedenen Untersuchungen. Wenn aber Vorwissen ins Spiel kommt, dann verlieren die Intelligenzunterschiede an Bedeutung.

Wissen und IQ wirken zusammen.

"Nur intelligent zu sein ohne Vorwissen zu haben, nützt nichts“, sagte Stern. Anders formuliert: Ein Mensch kann noch so intelligent sein, wenn sein Vorwissen schwach ist, wird er einer anderen, weniger intelligenten Person unterlegen sein, wenn diese das entsprechende (Vor-)Wissen besitzt. Dies zeigt sich gerade beim Denksport Schach. Ein intelligenter Novize wird einen erfahrenen, weniger intelligenten Spieler kaum schlagen. Auch breit angelegte Untersuchungen über das Lernverhalten von Schülern und Schülerinnen in Bayern zeigten, dass sich gerade in Mathematik nicht nur Intelligenz auf die Leistung auswirkt. Schüler, die nicht schon in der zweiten Klasse gut in Mathematik waren, wurden es auch in der elften Klasse nicht. Wie man aber Mathematik intelligent nutzt, hat mit Wissen zu tun, weniger mit Intelligenz. Die Schüler hätten Wissensdefizite angehäuft, die sie später kaum mehr aufholen können.

Lateiner nicht besser in Mathe

Auch Transfereffekte von Gelerntem auf neue Inhaltsgebiete sind nur selten zu beobachten. Der erfolgreiche Schachspieler wird nicht Kriegsstratege, der gute Lateinschüler nicht ebenso guter Mathematiker, nur weil Latein eine gewisse Sprach-Logik fördert. Gemäss Stern sind Transfereffekte schwierig zu erzielen, weil der Mensch bereichsspezifisch und nicht abstrakt-formal lernt. Das Hirn - seit 40'000 Jahren praktisch unverändert - ist allerdings auf analoges Denken ausgerichtet. Etwas, das eine Person in der Vergangenheit angetroffen hat, zieht sie heran, um eine neue Aufgabe zu lösen. Deshalb fand Stern auch stärkere Transfereffekte von Französisch auf Spanisch als von Latein auf Spanisch.

Noch immer aber vertreten gewisse Bildungspolitiker und Lehrpersonen eine populistische Auffassung vom Lernen, etwa dass Gehirntraining sowie das Lernen zu lernen reicht, um Schülerinnen und Schüler kompetent zu machen. Kompetenz heisse aber, über ein breit anwendbares Wissen zu verfügen, das zur Bewältigung einer Klasse von Anforderungen herangezogen werden könne, also intelligentes Wissen zu haben, so die ETH-Professorin. Kompetenz müsse deshalb das Bildungsziel sein.

ETH-Professorin Elsbeth Stern: "Schüler, die nicht schon in der 2. Klasse gut in Mathematik waren, werden es auch später nicht."

„Kompetent wird man nur über den Umgang mit anspruchsvollen Inhalten“, führte die Lernpsychologin weiter aus. Das müsse in der Schule mehr genutzt werden. Schülerinnen und Schüler müssten vom Kindergarten bis zur Universität mit Aufgaben konfrontiert werden, die sie nicht auf Anhieb lösen können, für die sie aber im Prinzip die Wissensvoraussetzungen mitbringen.

Um das Zusammenspiel von Wissen und Intelligenz in Mathematik zu fördern, muss man anspruchsvolle Textaufgaben vorgeben. Dort ortete Stern ein Manko im deutschen Schulwesen. In Schulbüchern in osteuropäischen Ländern kommen anspruchsvolle Textaufgaben mehr als zehnmal so häufig vor als in den Büchern der BRD, gab sie zu bedenken.

Die richtige Mischung der Lernmethoden bringt's

Wie sieht lernwirksamer Unterricht aus? „Weg von der Methodenorientierung“, forderte sie. Die Lernumgebung müsse am Schülerwissen ausgerichtet werden. „Gute Lehrer nutzen in ihrem Unterricht verschiedene Methoden, also auch Frontalunterricht“, sagte die Wissenschaftlerin. Selbstgesteuertes, entdeckendes Lernen könne für einige Schüler unter bestimmten Voraussetzungen problematisch sein. „Die Methoden müssen auf das Vorwissen abgestimmt sein.“ Lehrer müssten am Wissen arbeiten, damit es flexibel werde. Stern wies zudem auf die Bedeutung des Fachwissens von Lehrpersonen hin und plädierte dafür, selbst auf Primarschulniveau Fachlehrkräfte einzusetzen. Lehrer müssten selbst ein grosses Fachwissen haben, um intelligente Fragen und Aufgaben formulieren zu können. Zudem stelle eine gute Lehrperson Aufgaben, an denen die Schüler etwas ausprobieren können. Die Gefahr bei solch handlungsorientiertem Unterricht sei jedoch, es zu „hands on, minds off“ käme, weil die Schüler nicht wirklich wissen, was sie tun. Deshalb seien gerade in offenen Lernsituationen Lehrer unverzichtbar, damit sie die Schüler zu sinnstiftenden Aktivitäten anhalten.

In den Kopf der Schüler schauen

Überhaupt stellte Elsbeth Stern hohe Anforderungen an die Lehrpersonen: „Eine gute Lehrkraft erkennt, was in den Köpfen der Schüler vorgeht.“ Sie müsse das Vorwissen erfassen und Misskonzepte erkennen. Zudem müsse sie die Effekte der Informationsdarbietung kennen und ein grosses Repertoire an kognitiv aktivierenden Aufgaben für die Schüler bereitstellen und Möglichkeiten zur Förderung von fächerübergreifenden Kompetenzen erkennen. Stern: „Das braucht eine systematische Beobachtung der Schüler und Schülerinnen bei ihrem Lernverhalten.“


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