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Rubrik: Science Life
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Publiziert: 14.10.2005 06:00

Neue Erkenntnisse über Entwicklung der Orchideen-Vielfalt
Richtiges Abgrenzen erhält Orchideen-Arten

Eine Orchideenart - ein Insekt, das diese bestäuben kann: Das, so die gängige Meinung, ist die Triebfeder für die Diversifizierung der Orchideen in eine riesige Artenvielfalt. ETH-Forscher zeigen auf, dass diese Gleichung im Mittelmeergebiet nicht aufgeht.

Peter Rüegg

Das Zusammenspiel zwischen Orchideen und ihren Bestäubern ist oft hoch spezifisch. In vielen Fällen ist nur gerade ein bestimmtes Insekt in der Lage, eine Orchideenart zu bestäuben. Berühmt für ihre ausgefeilten Bestäubungsmechanismen sind die Ragwurz-Arten der Gattung Ophrys. Die Blüten, sogenannte Sexualtäuschblumen (1), ähneln dem Weibchen von bestimmten Wildbienen oder Wespen und betören mit ihrem Duft die Männchen. Diese versuchen, sich mit dem vermeintlichen Weibchen zu paaren und bestäuben dabei die Pflanze.

Neben ihren engen Beziehungen mit bestäubenden Insekten sind Orchideen dafür bekannt, dass sie sich leicht künstlich kreuzen lassen. Die grossen und farbenprächtigen Zuchtorchideen zeugen eindrücklich davon. In der Natur jedoch sind Kreuzungen zwischen verschiedenen Orchideenarten selten. Wissenschaftler vermuteten deshalb lange, dass die hohe Vielfalt der Orchideen eine Folge des artspezifischen Zusammenspiels zwischen Orchideen und Bestäubern ist, so dass selbst nahe verwandte Arten nebeneinander leben können, ohne dass sich die Arten miteinander kreuzen und die Artgrenzen verschwinden.

Pollenpaket statt Nektar

Eine neue Studie von Forschern der ETH und der Universität Neapel (2) hingegen zeigt, dass im Mittelmeergebiet nicht alle Orchideen über solch spezifische Bestäubungsvorgänge verfügen und sich trotzdem als eigenständige Arten behaupten. Untersucht haben dies die Wissenschaftler in einem Gebiet, in welchem 21 Orchideenarten vorkommen, die gleichzeitig blühen. Die Blüten der untersuchten Orchideen, darunter vor allem verschiedene Knabenkräuter, ähneln nektarreichen Pflanzen, halten aber keinen Nektar bereit. In diesen sogenannten Nahrungstäuschblumen wartet auf die hungrigen Insekten lediglich ein Pollenpaket, das Pollinarium, das ihnen beim Blütenbesuch am Kopf kleben bleibt. Die getäuschten Insekten fliegen in der Hoffnung auf Nektar zur nächsten Orchidee, wo sie die Pollenpakete an der Narbe wieder abstreifen und so die Blüten bestäuben.

Um mehr über die Spezifität der Nahrungstäuschblumen zu erfahren, fingen die Wissenschaftler verschiedene Bienen-, Wespen- und Fliegenarten und sammelten die Pollinarien, die an deren Köpfen klebten. Mit molekulargenetischen Methoden konnten sie die Pollenpakete den entsprechenden Orchideenarten zuordnen.

Mehrere Bestäuber pro Art gefunden

Die Resultate zeigen ein erstaunliches Bild: Orchideen mit Nahrungstäuschblumen haben nicht nur einen, sondern verschiedene Bestäuber und teilen sich diese mit anderen Orchideenarten des Untersuchungsgebiets. Selbst nah verwandte Orchideen nützen die Dienste derselben Insektenarten. Dazu zählen am häufigsten Hummeln und solitär lebende Wildbienen. Allerdings lassen sich nicht alle der 21 untersuchten Orchideenarten über eine Leiste schlagen. 15 verschiedene Insektenarten trugen die Pollinarien des Kleinen Knabenkrauts (Orchis morio) mit sich.


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Orchideen wie das Männliche Knabenkraut (Orchis mascula) täuschen mit ihrem Blüten eine reiche Nahrungsquelle vor. Hummeln fallen darauf herein und sammeln mit dem Kopf beim Blütenbesuch die gestielten Pollenpakete (Bilder: S. Cozzolino, Universität Neapel). gross

Die Pollenpakete von dessen Schwesterart, dem Schmetterlings-Knabenkraut (O. papilionacea), konnten die Forscher hingegen nur an den Köpfen der Männchen der Wildbienengattung Eucera nachweisen.

Erstaunlich wenige Hybriden

Bei den Nahrungstäusch-Orchideen handelt es sich also um einen unspezifischen Bestäubungsmechamismus, bei dem die Möglichkeit besteht, dass sich verschiedene Orchideenarten kreuzen können und die Artgrenzen fallen. Trotzdem stiessen die Forscher in ihrem Untersuchungsgebiet in Süditalien auf erstaunlich wenige Hybriden. Der Mitautor der Studie, ETH-Professor Alex Widmer vermutet, dass die Artgrenzen deshalb nicht wie bei den Ophrys-Arten durch die bestäubenden Insekten aufrecht erhalten werden, sondern durch „interne“ Vorgänge vor, während oder nach der Befruchtung. „Orchideen, die unspezifische Bestäuber haben, verfügen über andere Mechanismen, um sich als Arten zu behaupten und abzugrenzen“, sagt Widmer. Welche das sind, wissen die Forscher noch nicht im Detail.

Herausgefunden haben sie bisher, dass sich die Karyotypen von verschiedenen Orchideen mit denselben Bestäubern stärker unterscheiden als diejenigen von Arten mit spezifischen Bestäubern. Der Karyotyp beschreibt die Anzahl, Grösse und Form der Chromosomen einer Pflanzenart. Widmer könnte sich deshalb gut vorstellen, dass die Orchideen-Arten geographisch isoliert voneinander entstanden sind. Mit zunehmender Ausbreitung begannen sich ihre Vorkommen zu überlappen. Orchideen, welche die Bestäuber teilten, konnten sich in gemeinsamen Vorkommen nur dann halten, wenn ihre Karyotypenunterschiede für eine genetische Isolation ausreichten. "Arten, bei denen dies nicht der Fall war, haben wohl hybridisiert und sind verloren gegangen", vermutet Widmer.


Fussnoten:
(1) ETH Life-Bericht "Perfekt getäuscht": www.ethlife.ethz.ch/articles/tages/chiloglottonschiestl.html
(2) Salvatore Cozzolino et al. (2005): Evidence for pollinator sharing in Mediterranean nectar-mimic orchids: absence of premating barriers? Proc. R. Soc. B 3069: http://www.journals.royalsoc.ac.uk



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