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Rubrik: Science Life
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Publiziert: 23.06.2006 06:00

Risiken der Nanotechnologie
Nanopartikel wie Asbest behandeln?

Heute Freitag treffen sich Fachleute zur „Nano Convention“ (1) in Bern. Organisatorin des Kongresses ist die EMPA. In einem der Workshops diskutiert die ETH-Professorin für biologisch-orientierte Materialwissenschaften, Viola Vogel, über die Risiken von Nanopartikeln für Umwelt und Mensch. In einem Interview mit „ETH Life“ betont sie, dass darüber noch viel zu wenig bekannt ist. Sie fordert deshalb viel mehr Mittel für die Risikoforschung, warnt aber davor, aus Angst die nächste industrielle Revolution zu verpassen.

Interview: Peter Rüegg

ETH Life: Was würden Sie jemandem sagen, der ein Verbot der Nanotechnologie fordert, weil deren Risiken zu wenig bekannt sind?

Viola Vogel: Wir brauchen Nanotechnologie, um dringend notwendige Fortschritte in der Medizin erzielen zu können. Während oral eingenommene Medikamente gleichmässig im Körper verteilt werden, oft mit entsprechender Schädigung von gesundem Gewebe, können Nanocarriers spezifisch erkranktes Gewebe erkennen und dort gezielt ihre Medikamente entlassen, Stichwort "drug delivery systems". Viele der medizinischen Anwendungen, welche die Nanotechnologie ermöglicht, führen erst zur Erforschung allfälliger Risiken. Ein Moratorium zu fordern und Nanotechnologie und deren Einsatz zu verbieten, ist nicht der richtige Weg. Wichtiger ist mehr Geld zu fordern, um die mögliche Toxizität von Nanopartikeln auf den menschlichen Körper zu untersuchen.

Weshalb wissen wir bisher sehr wenig über das, was Nanopartikel im menschlichen Körper bewirken?

Ein Grund ist, dass wir bisher nicht einmal die Werkzeuge hatten, um einzelne Nanopartikel im menschlichen Körper zu verfolgen. Wir wissen demnach sehr wenig darüber, auf welchen Wegen Nanopartikel in den Körper gelangen, wie die Zellen sie aufnehmen und abbauen, oder unter welchen Umständen sie zum Beispiel über das Lungenepithel in die Blutbahnen gelangen. Wir wissen nicht, ob und welche Nanopartikel sich in den Blutbahnen ablagern, wenn sie dort hin gelangen; ob sie das Gehirn und andere Organe erreichen und was mit ihnen letzten Endes geschieht. Das grosse Problem ist, dass die zu untersuchenden Teilchen im Nanometer-Bereich liegen und nicht mit Lichtmikroskopen nachweisbar sind. Aber ohne medizinisch getriebene Forschung würden wir weiterhin sehr wenig über Nanopartikel wissen.

Künstlich erzeugte Kohlenstoff-Nanoröhrchen führen zu Schlagzeilen wie: „Nanopartikel, der neue Asbest“. Was halten Sie davon?

Schlagworte sind wirksam. Niemand weiss, was mit den Carbon Nanotubes (CNT) im Körper geschieht. Das Problem ist, das CNT aus Kohlenstoff bestehen und deswegen im Körper kaum nachweisbar sind. Deshalb sind extrem wenige Informationen vorhanden, wie sie mit Zellen wechselwirken, ob und wie sie langfristig abgebaut werden können. Unbekannt ist, wie sie allenfalls Tumore erzeugen und wie das Körpergewebe mit den CNT umgeht. Aber das Hauptproblem ist wirklich der Nachweis dieser Stoffe.

Weil sie nicht metallisch sind?

Genau. Wichtig scheint mir aber auch, dass wir mit CNT und mit metallischen anorganischen Nanopartikeln, für die die Zellen keine Abbau-Mechanismen entwickelt haben, extrem vorsichtig umgehen. Die Freisetzung und das Einatmen dieser Teilchen sind zu minimieren. In der Industrie, die Nanopartikel in grossen Mengen herstellt, sollten ihnen die Arbeiter nicht ausgesetzt werden. Auch im Labor sollten Nanopartikel sehr vorsichtig behandelt werden.

Sie haben die Tumorbildung angesprochen. Welche weiteren Risiken für die Gesundheit befürchten Sie?

Diese sind kaum zu benennen. Es ist noch sehr wenig darüber bekannt, welche Stoffwechselvorgänge die Nanopartikel, wenn sie einmal in die Zelle gelangen, beeinflussen. Und das müsste man wissen, um diese Frage zu beantworten.

Was könnte Nanopartikel allenfalls gefährlich machen?

Besonders kritisch ist die Aufnahme von Nanopartikeln über die Luft oder über Nahrungsmittel. Der Effekt von Nanopartikeln hängt drastisch davon ab, ob sie als einzelne Partikel oder als Aggregate aufgenommen werden. Die Aggregation von Nanopartikeln ist abhängig von den Oberflächeneigenschaften des Einzelpartikels, was häufig dann, wenn Biologen Protokolle entwickeln, nicht voll erkannt wird. Erschwerend ist, dass es bisher keine guten Protokolle gibt, die von allen Labors weltweit benutzt werden, um toxische Effekte zu untersuchen. Das erschwert es, die Resultate von verschiedenen Labors zu vergleichen, weil Biologen häufig nicht gut genug festhalten, wie sie Nanopartikel für die Experimente präpariert haben, und die Ingenieure dieser Partikel häufig zu wenige biologische Kenntnisse haben.

Wer ist für die Risikoabklärung verantwortlich?

Nanopartikel werden meist von Physikern oder Chemikern entwickelt, die deren neue physikalische und chemische Eigenschaften nutzen und anwenden möchten. Es braucht auch Biologen, die Interesse an diesen Fragestellungen haben, die testen, inwieweit diese Nanopartikel mit Zellen wechselwirken und wie Zellen die Partikel aufnehmen und abbauen. Dann braucht es die klinische Seite. Sie untersucht, wie sich die Partikel im Körper verhalten und wie sie der Körper aufnimmt, wie er sie verarbeitet, welche Nanopartikel er total abbaut und welche er wieder ausscheidet.


Viola Vogel, Professorin für biologisch-orientierte Materialwissenschaften: "Ohne medizinisch getriebene Forschung würden wir weiterhin sehr wenig über Nanopartikel wissen." gross

Wie schützen Sie sich selbst, wenn Sie mit Nanopartikeln experimentieren?

In meinem Labor versuchen wir zu verstehen, wie biologische Nanosysteme funktionieren und wie wir diese Erkenntnisse nutzen können, um neue Implantatmaterialen zu entwickeln. Wir arbeiten also nicht primär mit Nanopartikeln, setzen sie aber in kleinen Mengen und in Wasser gelöst ein, um sie als Markiersubstanzen zu nutzen.

Und in anderen Labors der ETH?

Von Labor zu Labor ist verschieden, wie mit Nanopartikeln hantiert wird.

Gibt es keine allgemein gültigen Vorschriften?

Weil man so wenig über die Folgen der Nanopartikel weiss, gibt es noch keine Direktiven über den Umgang mit ihnen. Es wäre allerdings gut, Nanopartikel mit der gleichen Vorsicht zu behandeln, wie man vor 30 Jahren Asbest hätte behandeln müssen – und es damals nicht getan hat.

Braucht es Normen, wie etwa eine DIN-Norm, für die Beschreibung der Teilchen?

Das Problem ist viel zu komplex , als dass man es mit DIN-Normen adressieren könnte. Die möglichen gesundheitlichen Folgen hängen davon ab, wo die Partikel hergestellt werden, wie sie mit anderen Gasen und Molekülen wechselwirken und damit ihre Eigenschaften verändern, und wie die Partikel schliesslich über die Luft in die Lunge gelangen. Das kann man nicht mit Normen regeln. Es braucht aber in jedem Stadium des Lebenszyklus' von Nanopartikeln, von der Herstellung bis zum Abbau, eine detailierte Charakterisierung. Dazu ist ein intensiver Dialog zwischen den verschiedenen Wissenschaftlern nötig, die zum Teil nicht einmal das Fachvokabular der anderen verstehen. Es braucht deshalb Studierende, die entsprechend ausgebildet werden, die das Vokabular der anderen Disziplinen verstehen, die auch die Fachliteratur der anderen lesen und in ihre eigene Forschung einbeziehen können

Wie viel Risikoforschung wird heute betrieben?

In den USA wurde im Jahr 2000 eine grosse Nanotechnologie-Initiative gestartet. In die Nanotechnologie-Forschung fliessen rund 900 Mio. Dollars pro Jahr, in die Risikoforschung hat die Environmental Protection Agency der USA bisher nur insgesamt 27 Mio. Dollars an Centergrants investiert, was eigentlich ein Kleckerbetrag ist. Die EU hat nun in ihrem 7. Rahmenprogramm viel Geld für Risikoforschung zur Verfügung gestellt. Die Schweiz hat bisher kein grosses Programm gestartet. An der EMPA und an der ETH gibt es Ansätze, aber die Zahl der Forschungsgruppen in der Schweiz ist viel zu klein. Dann gibt es etliche Gruppen, die sich mit medizinischen Anwendungen beschäftigen. Wichtig ist, dass man Nanotech-Forschung und Risikoforschung nicht künstlich isoliert, sondern integriert.

Eine Fallstudie von ETH-Studierenden (2) fand heraus, dass Nanotechnologie bei Laien ein schlechtes Image hat, das bei gewissen Produkten vergleichbar ist mit dem der grünen Gentechnologie.

Das scheint nicht der allgemeinen Wahrnehmung zu entsprechen. Wichtig ist in dieser Diskussion, dass die Nanotechnologie nicht aus einer Kerntechnologie besteht, sondern ein Überbegriff für viele Technologien ist, die auf der Nanoskala entweder Materialien herstellen, oder Objekte untersuchen oder manipulieren können. Nanotechnologien haben den Einzug in unser tägliches Leben schon längst gefunden als Bestandteil von neuen Materialien und Geräten. Zudem benutzen Firmen das Label Nanotechnologie weiterhin im grossen Massstab, oft sogar ohne ein „Nanoprodukt“ zu enthalten, um für sich Werbung zu machen. Wenn "Nano" zu negativ belastet wäre, würde der Begriff nicht mehr benutzt.

Wie sehen Sie Zukunft der Nanotechnologien?

Die Gesellschaft muss sich vor einer Schwarz-Weiss-Malerei hüten, denn Nanotechnologien werden auch grosse Vorteile für die Menschheit bringen. Wir müssen viele grosse technische Herausforderungen lösen, zum Beispiel die Wasserversorgung für die wachsende Weltbevölkerung. Viele dieser Lösungen liegen im Nanobereich, wie innovative Wasserreinigungsverfahren. Auch für die wirtschaftliche Nutzung von Solartechnologie brauchen wir Nanotechnologien. Ohne sie können wir keine effizienten Alternativen zum Verbrauch von fossilen Brennstoffen entwickeln. Die Luftqualität in den Städten hat sich tiefgreifend durch die Einführung von Katalysatoren verbessert, deren Oberflächen mit Nanopartikeln beschichtet sind. Viele Farben, Anstriche und Oberflächenbehandlungen, die Materialien feuerresistenter, weniger anfällig für Schmutz, Dreck und Bakterienbefall machen, sparen uns langfristig grosse Kosten. Und letztendlich brauchen wir neue Verfahren, um die Kosten im Gesundheitswesen zu drücken. Eine effektive Diskussion über Nanopartikel und Risikoeinschätzungen muss also vor diesem Hintergrund geführt werden. Wir können es uns nicht leisten, aus Angst die nächste industrielle Revolution zu verpassen.


Fussnoten:
(1) Mehr Informationen: www.nanoconvention.ch
(2) vgl. ETH Life-Bericht "Nachlässige Nano-Industrie": www.ethlife.ethz.ch/articles/tages/nanorisiken.html



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