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Rubrik: Tagesberichte
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Publiziert: 16.09.2003 06:00

Hoffnung für indische Kinder dank Doktorierenden von Uni und ETH
Helfen als Hobby

Indische Doktoranden an der Uni und der ETH Zürich haben den Bau einer Grundschule in einem Dorf bei Kalkutta ermöglicht. Dieser Tage wurde das Gebäude, das etwa 200 Schulkindern zugute kommt, abgeschlossen. Der Fokus der Gruppe, die dem weltweiten Hochschulnetz Asha (1) – „Hoffnung“ – angehört, ist eine der grössten Herausforderungen für Indien: der Kampf gegen den Analphabetismus.

Von Norbert Staub

„Ja, wir sind privilegiert“, räumen Arvind Rajendran (27) und Chidu Narayanan (29) übereinstimmend ein. Als Angehörige der Mittelschicht Indiens haben sie eine mehr als solide Ausbildung genossen. Sie konnten studieren, ins Ausland gehen, und sie arbeiten jetzt als Forscher an der ETH. Sie gehörten zu den ersten indischen Doktoranden an dieser Hochschule. Indien boomt, zum Beispiel im Bereich Computertechnologie und insbesondere bei der Software-Entwicklung, wo zahlreiche Hochschulabsolventen zu konkurrenzlosen Bedingungen Qualitätsarbeit leisten. Doch über weite Strecken ist der über eine Milliarde Einwohner zählende Koloss ein klassisches Entwicklungsland geblieben. Da kann von Glück reden, wer überhaupt in einer der (mit Englisch) 19 offiziellen Landessprachen lesen, schreiben und etwas rechnen lernt. Wer gar eine höhere Ausbildung geniesst, hat das grosse Los gezogen.

Mit der Bevölkerung wachsende Probleme

„Indiens Regierung unternimmt zwar viel, um die an sich obligatorische Primarschulausbildung zu ermöglichen, aber sie schafft es nicht, mit dem Bevölkerungswachstum Schritt zu halten“, sagt Chidu Narayanan, aufgewachsen in Bombay. Er schliesst derzeit sein Doktorat bei Professor George Yadigaroglu am ETH-Institut für Energietechnik ab. Zwar sei heute eine Mehrheit – 55 Prozent der Inderinnen und Inder – in der Lage zu lesen und zu schreiben. Doch die absolute Anzahl der Analphabeten wachse stetig an: Es seien heute über 300 Millionen Menschen. Das entsprach vor 50 Jahren noch der Gesamtbevölkerung.

Ein intaktes Schulhaus ist in Indien längst keine Selbstverständlichkeit: Arvind Rajendran mit Schulkindern bei einer Besichtigungsreise in Adisaptagram. gross

„Fehlende Bildung ist die Ursache der meisten sozialen Gräben, die Indien spalten: zwischen Stadt und Land, Arm und Begütert, Mächtigen und Ausgebeuteten, zwischen Frauen und Männern“, so Arvind Rajendran, der aus der Nähe von Madras stammt und bei Professor Marco Mazzotti am ETH-Institut für Verfahrenstechnik doktoriert. Wer keine Ausbildung hat, gerate unversehens in Generationen-übergreifende Teufelskreise wie Schuldknechtschaft oder Kinderarbeit und entwickle kein Bewusstsein für die allen zustehenden politischen Rechte.

Hilfs-Netzwerk von Studierenden

Narayanan und Rajendran könnten sich auf ihren westlich geprägten Lebensweg konzentrieren. Sie tuns nicht, sondern haben sich entschlossen, für ihr Herkunftsland etwas zu unternehmen. Sie haben 2002 auf dem Hochschulplatz Zürich den Ableger einer studentischen Hilfsorganisation namens Asha ("Hoffnung") mit gegründet. Die Asha-Urzelle entstand 1992 im kalifornischen Berkeley; mittlerweile besteht ein weltweites Netzwerk von etwa 60 Gruppen mit Studierenden meist indischer Herkunft.

Erstes Projekt der Zürcher Gruppe war eine Primarschule für das Dorf Adisaptagram bei Kalkutta. „Asha“ Zürich hat nach eingehender Prüfung des Projekts 14'000 Franken für den Neubau eines Schulhauses für maximal 200 Schüler zur Verfügung gestellt und den Fortgang der Arbeiten über lokale Helfer mit wachsamem Auge begleitet.

Discos für den guten Zweck

Das klingt bewundernswert, aber gibt es nicht bereits genügend professionelle Organisationen, die solche Entwicklungsarbeit leisten, etwa die Welt-Bildungsorganisation UNESCO?


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Unterstützen aus Zürich Bildungsprojekte in ihrer Heimat: ETH-Doktoranden Arvind Rajendran (l.) und Chidu Narayanan. gross

„Sicher. Aber das kann man nicht vergleichen. Die UNESCO ist weltumspannend und hat einen viel breiteren Fokus als die Grundausbildung“, hält Arvind Rajendran fest. Komme hinzu, meint Chidu Narayanan, dass „Asha“ als studentische, auf Indien bezogene und aus Indern bestehende Gruppe viel unbezahlten Idealismus und spezifische lokale Kenntnisse in die Waagschale werfen könne, was die Kosten minimal halte und garantiere, dass praktisch alles gespendete Geld direkt in die Projekte fliesse. Im ersten Jahr sind mit dem Erlös aus einem Musical, indischen Disco-Abenden und anderen Events 16'000 Franken zusammengekommen.

„Wenn ich auf mein Leben zurückblicke, sehe ich, wie zentral die ersten Schuljahre sind, um eine Chance zu erhalten“, sagt Arvind Rajendran. „Meine Grosseltern, die arme Bauern waren, haben meinem Vater eine Ausbildung ermöglicht. Das war Beste, was sie tun konnten. Mein Vater hat dasselbe für mich getan. Meine Schulbildung ist die Basis dafür, dass ich heute an der ETH bin. Das ist einer der Gründe, warum ich bei ‚Asha’ mitmache: Ich weiss nur zu gut, worum es geht.“

Nachhaltiger Tropfen

ETH – Indien: das ist eine grosse Distanz, wenn sichergestellt sein soll, dass ein Bauprojekt auch wirklich die erwarteten konkreten Formen annimmt. „Wir hatten Kommunikationsprobleme“, räumen die ETH-Doktoranden ein. So sprach der örtliche Projektkoordinator einzig Bengali – eine Sprache, welche die Initianten in Zürich nicht beherrschen. Am Ende aber waren alle Hürden übersprungen. In diesen Tagen wird das neue Schulhaus fertiggestellt. Ein Augenschein von Arvind Rajendran im Februar vor Ort hat die Hoffnungs-Bringer von der Richtigkeit ihres Vorgehens überzeugt. Neben dem grossartigen Gefühl, etwas Gutes, Konkretes zu schaffen, habe man gründliche Erfahrung im Projektmanagement und in der Auswahl der Kooperationspartner gewonnen, sagen die ETH-Doktoranden.

Aber Hand aufs Herz: Ist es nicht frustrierend, dass alle Mühe für ein solches Projekt wohl doch nur den berühmten Tropfen auf den heissen Stein bedeutet? Chidu Narayanan entgegnet mit einem Vergleich. „Es kommt vor, dass Wasserschildkröten zu Hunderten stranden und langsam sterben. Da kann man sich fragen: Was bringt es, wenn man eine einzige wieder ins Wasser setzt?“ Die Antwort liefert er gleich selbst: „Es bringt alles für dieses eine Tier.“


Ein Dach über den Schülerköpfen

Laut den Zürcher „Asha“-Aktivisten verfügen in Indien ganze zehn bis 15 Prozent der Primarschul-Gebäude über ein schützendes Dach, die anderen haben keines oder ein nur sehr unzulängliches. Bei fast 90 Prozent der Schulen existiert keine Toilette. Als nächstes wird „Asha“ Zürich zehn Schulen in den Slums von Poona bei Bombay während eines Jahres mit dem nötigen Material ausrüsten. Diese Unterstützung beläuft sich auf rund 8'000 Franken. Asha betreibt Fundraising vor allem mit kulturellen und sozialen Anlässen. Zu diesem Zweck wird für den kommenden November in Zürich ein Konzert mit klassischer indischer Musik organisiert. Angesprochen sind nicht nur indische, sondern ebenso alle anderen Interessierten.




Fussnoten:
(1) ASHA-Projekt: www.ashanet.org/zurich/



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