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Rubrik: Tagesberichte
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Publiziert: 21.08.2001 06:00

ETH-Politikwissenschaftler Thomas Bernauer zur Bonner Klimakonferenz
"Riesige Schlupflöcher bleiben"

Juli 2001: in Bonn feiern die Politiker einen Durchbruch am Ende der Klimakonferenz. Was haben sie erreicht? Das 1997 in Kyoto verabschiedete Klimaprotokoll wird soweit konkretisiert, dass es für ratifizierbar gehalten wird. - Dies nachdem den Entwicklungsländern durch ein separates Versprechen zusätzliche Gelder versprochen wurden und Japan bei den Regelungen zur Ahndung von Verstössen, der sogenannten "Compliance", eine abgeschwächte Formulierung erreicht hat. ETH Life sprach mit Thomas Bernauer über die Bonner Konferenz. Der ETH-Politikwissenschaftler sieht, dass seine im voraus geäusserten Befürchtungen eingetreten sind und fordert eine Beseitigung der Schlupflöcher im Kyoto-Protokoll, wenn nötig zum Preis einer verzögerten Inkraftsetzung des Abkommens.

Mit Thomas Bernauer sprach Christoph Meier

Vor der Bonner Klima-Konferenz schrieben Sie: "Leider werden die in Bonn versammelten Unterhändler wohl versuchen, sich mittels Erstreckung der Reduktions-Ziele und -Fristen durchzuwursteln und dies vielleicht sogar als Erfolg zu feiern, statt die genannten Schwächen in der Architektur des Kyoto-Protokolls zu bereinigen." (Text von T. Bernauer) Inwiefern sehen Sie sich in Ihrer pessimistischen Prognose bestätigt?

Es ist genau das eingetreten, was ich befürchtet hatte: Keines der riesigen Schlupflöcher im Kyoto-Protokoll wurde in Bonn beseitigt. Und die Mehrheit der anwesenden Regierungen und NGOs hat das Verhandlungsergebnis sogar bejubelt. Statt, wie ursprünglich vorgesehen, aus einer globalen Reduktion der Treibhausgas-Emissionen um fünf Prozent, besteht das de facto Ziel der beteiligten Staaten (ohne die USA) nun aus einer Erhöhung der Emissionen um rund zwei Prozent im Zeitraum 2008-2012 (Basisjahr 1990). Ich kann nicht verstehen, weshalb beispielsweise der WWF von einem "historic victory for the climate and for common sense" sprechen kann.

Können Sie gemäss dem Motto "Besser den Spatz in der Hand als die Taube auf dem Dach" der Konferenz Positives abgewinnen?

Nein. Ich hätte es bevorzugt, wenn die 1997 und danach vor allem auf Drängen der USA und anderer "Umbrella-Group" Staaten (1) geschaffenen Schlupflöcher geschlossen worden wären, bevor das Abkommen in Kraft tritt, zumal die USA und Australien dem Kyoto-Protokoll in absehbarer Zeit ohnehin nicht beizutreten gedenken. Vermutlich hätte ein solcher Schritt die Inkraftsetzung des Protokolls um ein oder zwei Jahre verzögert und im schlimmsten Fall vorderhand zu einem Vertrag ohne Beteiligung der "Umbrella-Group" geführt. Die Herausforderung hätte dann darin bestanden, mit gutem Beispiel voranzugehen und die Aussenseiter mittel- bis längerfristig zum Nachziehen zu bewegen, sei es unilateral, innerhalb eines bereits bestehenden Abkommens oder im Rahmen eines neuen globalen Vertrags. Viele globale Kooperationsprozesse verfolgen diese Strategie - etwa das globale Personenminen-Verbot, nukleare Nonproliferationsmassnahmen oder das Testverbot für Atomwaffen.

Weshalb sollte die von Ihnen propagierte Strategie wirksamer sein?

Das Klimaproblem ist ein Problem mit langem Zeithorizont, sozusagen ein langsam fortschreitender Schwelbrand, dessen Beseitigung sehr schwer abschätzbare Kosten verursacht, gleichzeitig aber auch einen hohen Nutzen verspricht. Die Grundfrage ist, ob man möglichst schnell mit einem Eimer voller Löcher Löschwasser zum Brandherd schaffen oder sich etwas mehr Zeit für die Reparatur des Gefässes nehmen und dann mit einem Eimer ohne Löcher das Problem angehen soll. Ich plädiere für die zweite Strategie. Dass diese Strategie langfristig durchaus wirksamer und effizienter sein kann als die erste Strategie, belegen viele Beispiele aus der internationalen Umweltpolitik - zum Beispiel die Reduktion der weiträumigen Luftverschmutzung in Europa und der Schutz internationaler Fliessgewässer.


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bonner klimakonferenz
Plädiert für eine Beseitigung der Schlupflöcher im Kyoto-Protokoll: der ETH-Politikwissenschaftler Thomas Bernauer.

Besteht bei dieser Strategie nicht das Risiko, dass die "Umbrella-Group" Staaten dem Kooperationsprozess permanent fernbleiben?

Die meisten Befürworter einer forscheren Gangart im Klimaschutz (ich zähle mich dazu!) behaupten, die Grenzkosten von Treibhausgas-Reduktionen seien viel geringer als von den Kyoto-Gegnern behauptet. Wenn dem so ist, sollte es für die progressiveren Staaten kein Problem sein, den Tatbeweis zu erbringen und so die "Umbrella-Group" Staaten zumindest mittelfristig umzustimmen. Natürlich kann niemand genau vorhersehen, welche der beiden Strategien die globalen Treibhausgas-Emissionen langfristig stärker reduzieren kann. Auf jeden Fall machen es sich die Kritiker der von mir befürworteten Strategie aber zu einfach, wenn sie diese entweder als Öko-Fundamentalismus oder als industriefreundliche Verschleppungstaktik oder Vernunft vorschiebende Drückebergerei (welch ein Widerspruch!) brandmarken, die den ganzen Klimaschutz zum Scheitern bringen könnte.

Wie viel Wert hat das Kyoto-Protokoll in der gegenwärtigen Form für Sie noch?

Relativ wenig. Möglicherweise kann das Kyoto-Abkommen, wenn es 2002 tatsächlich in Kraft gesetzt wird, dazu beitragen, die institutionellen Strukturen für weiterreichende Kooperationsschritte zu festigen. Es gilt allerdings zu vermeiden, dass durch eine institutionelle Festigung auch ökologisch unsinnige Lösungsmechanismen wie z.B. derjenige der Treibhausgas-Senken perpetuiert werden. Um noch etwas optimistischer zu sein: Das Inkraftsetzen des Kyoto-Protokolls könnte ein Signal an energieintensive Wirtschaftszweige aussenden, dass strengere staatliche Regulierungen zur Emissionsreduktion bevorstehen. Dadurch würde ein Anreiz für verstärkte Investitionen in energieeffizientere Technologien geschaffen. Das Kyoto-Protokoll könnte zudem den Umweltministerien in Industrieländern Schützenhilfe leisten, wenn es darum geht, Emissionsvorschriften und diesbezügliche Umweltsteuern einzuführen und umzusetzen. Dies sind, es sei betont, lediglich Hoffnungen, die ich mit vielen Umweltschützern voll und ganz teile. Leider verwechseln viele Kyoto-Protokoll Befürworter solche Hoffnungen mit der realen Welt. In der realen Welt werden diese Hoffnungen umso mehr enttäuscht werden, als das Kyoto-Protokoll Schlupflöcher aufweist.

Wie hoch schätzen Sie die Chancen ein, dass es in Marrakesch zu einer endgültigen Verabschiedung des Kyoto-Protokolls kommt?

Die Chancen stehen relativ gut. Allerdings bleiben noch viele Details, z.B. im Bereich der Flexibilitätsmechanismen und Treibhausgas-Senken, zu regeln. Die zu erwarteten Konflikte um diese Details dürften in Marrakesch zu einer noch etwas weitergehenden "Aufweichung" des Protokolls führen. Der Weg zu substantiellen Reduktionen der Treibhausgas-Emissionen ist noch sehr weit. Vorderhand bewegen wir uns noch ausschliesslich im Bereich dessen, was Politikwissenschaftler als "deklaratorische Politik" bezeichnen.


ETH-Professor initiiert Memorandum

Eberhard Jochem, Direktor des CEPE (Centre for Energy Policy and Economics) und Professor für Energiewirtschaft und Nationalökonomie an der ETH Zürich, initiierte im Frühjahr dieses Jahres ein an US-Präsident Bush adressiertes Memorandum, in dem dieser dazu aufgefordert wird, die Klimapolitik der USA neu zu überdenken und nicht von der Ratifizierung des Kyoto-Protokolls durch die USA abzurücken.

Das Memorandum, welches von 125 renommierten europäischen Klimaforschern aus 15 west-, zentral- und osteuropäischen Ländern unterzeichnet wurde (darunter auch 14 Schweizer), wurde Anfang Juli dieses Jahres an Präsident Bush übermittelt.

Professor Jochem ist Mitglied verschiedener nationaler und internationaler wissenschaftlicher Gremien, so unter anderem des "Rates für Nachhaltige Entwicklung" (RNE; seit April 2001), der Enquete-Kommission "Nachhaltige Energieversorgung unter den Bedingungen der Globalisierung und der Liberalisierung" des Deutschen Bundestages (seit 2000) und der Working Group III des Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC; stellvertretender Vorsitzender seit 1997).




Literaturhinweise:
Medienmitteilung des Buwal zur Bonner-Konferenz
Memorandum Europäischer Wissenschaftler

Fussnoten:
(1) Die Umbrella Group, bestehend aus den USA, Japan, Kanada, Neuseeland, Australien, Norwegen, Island, der Russischen Föderation und der Ukraine tritt als Verhandlungsgruppe bei der Vertragsparteienkonferenz zur Umsetzung des Kyoto-Protokolls auf. Sie vertritt aber nicht durchwegs einheitliche Positionen.



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