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Rubrik: Tagesberichte
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Publiziert: 26.11.2001 06:00

Neue Ehrendoktorin bekämpft Antibiotikaresistenzen
"Aufklärung ist die beste Waffe!"

Mit der am ETH-Tag ausgezeichneten Mikrobiologin Abigail Salyers hat die ETH wieder eine Ehrendoktorin. Mit Aufklärung engagiert sich Salyers im Kampf gegen die Verbreitung von Antibiotikaresistenzen. Obwohl sie damit Bauern und Gentech-Industrie verärgerte, behält sie meistens recht.

Von Jakob Lindenmeyer

Das 20. Jahrhundert gehört dem Computer, das 21. hingegen der Biologe, las die heute 57-jährige Abigail A. Salyers vor zwei Jahren in "Business Weekly". Dies war einer der Gründe, warum sie vor rund 28 Jahren "umsattelte".

Ihre akademische Karriere begann Salyers mit dem Studium von Mathematik und Physik. Als sie 29-jährig bereits Professorin für Teilchenphysik war, packte sie die Lust auf Biologie. Warum? "Zu dieser Zeit bauten Physiker hauptsächlich Bomben. Als Mikrobiologin hingegen konnte ich für die Menschheit mehr tun", ist sie überzeugt.

Leichengestank

Als ob dieser Umstieg nicht schon exotisch genug war, spezialisierte sich Salyers zusätzlich noch auf das damals weitgehend unerforschte Gebiet der anaeroben Bakterien in der menschlichen Darmflora. "Leider stinken die Keime wie verweste Leichen", kommentiert Salyers ihr Spezialgebiet. Doch ihre Haustierchen behält sie meistens in luftdichten Containern, um sie vor Sauerstoff zu schützen - und sich selbst vor dem Leichengestank.

"Springende Gene"

Erschwerend zum Umstieg kam hinzu, dass es damals erst wenige Untersuchungsmethoden für diese Keime gab. "Es war ein harter Kampf!", seufzt Salyers, wenn sie sich an die Zeiten zurück erinnert, als praktisch jedes Experiment fehlschlug. "Einmal war ich sogar so verzweifelt, dass ich einen meiner Labormitarbeiter - ein Pfarrer - darum bat, unser neues Gentransfer-System in sein Gebet einzuschliessen", schmunzelt Salyers. Die Gebete zeigten Wirkung: Das auf Basis der "springenden Gene" von Salyers entwickelte Gentransfer-System entpuppte sich als Schlüsseltechnologie für ihre zukünftige Erforschung zweier für die menschliche Gesundheit essentieller Gebiete: Den Abbaumechanismus von Stärke im menschlichen Darm und die Übertragung von Resistenzen gegen Antibiotika. Dafür erhielt sie jetzt den ETH-Ehrendoktortitel.

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Die neue ETH-Ehrendoktorin Abigail A. Salyers: "People just think, antibiotics are magic!" gross

Salyers Resultate waren Ausgangspunkt grundlegender Konzepte, um die Verbreitung von Resistenzgenen einzuschränken, beispielsweise durch Zurücknahme des Selektionsdrucks dank des Verzichts auf unnötige Anwendungen von Antibiotika. "Die Leute denken, Antibiotika seien Wundermittel", empört sich Salyers. Darum startete sie unter dem Dach der "Alliance for the Prudent Use of Antibiotics" (APUA) eine gross angelegte Aufklärungs-Kampagne. "Aufklärung ist die beste Waffe gegen den Missbrauch von Antibiotika", ist Salyers überzeugt.

Anthrax-Beratung für Pöstler

In ihrer Aufklärungsarbeit arbeitet die neue Ehrendoktorin praxisnah: Während der Anthrax-Bedrohung der letzten Wochen instruierte sie in den Poststellen persönlich die Briefträger ihrer Stadt. Einerseits informierte sie, wie man sich nach einer vermuteten Milzbrand-Infektion verhalten soll. Andererseits will Salyers aber auch verhindern, dass völlig gesunde Leute aus reiner Vorsicht - jedoch ohne medizinische Notwendigkeit - illegal übers Internet gekaufte oder aus Mexico importierte Antibiotika konsumieren. "Denn damit fördern sie Resistenzen und gefährden so die Bekämpfung wirklich schwerer Infektionen."

Bei der Bekämpfung antibiotikaresistenter Keime arbeitet Salyers eng mit der ETH zusammen: Während ihre Gruppe die resistenten Bakterien in der Darmflora erforscht, kümmert sich das Labor für Lebensmittelmikrobiologie von ETH-Professor Michael Teuber um die Keime in Lebensmitteln. Beiden gemeinsam ist die ökologische Gesamtsicht auf resistente Bakterien auch ausserhalb der Medizin. "Die Antibiotikaresistenzen lassen sich nicht auf die Klinik beschränken, sondern schleichen sich von der Landwirtschaft über die Lebensmittel in die Bevölkerung", erklärt Teuber, der resistente Keime auch schon in Käse und Rohwürsten entdeckte. Auch in den Gewässern fänden sich antibiotikaresistente Bakterien, ergänzt Salyers.

Drohung mit Sammelklagen

In ihrem Kampf gegen die Ausbreitung der Antibiotikaresistenzen stösst die Mikrobiologin aber auch auf Ablehnung. Als sie die Verwendung von Antibiotika als Wachstumsförderer in der Tierzucht anprangerte, wurde sie von Bauernvertretern aufgefordert, zuerst einmal zu beweisen, dass dies einen Einfluss auf die menschliche Gesundheit habe. "Da sie sich nicht gesprächsbereit zeigten, erwähnte ich mögliche Sammelklagen aufgrund fahrlässigen Umgangs mit Antibiotika", erzählt Salyers. Das wirkte - besser als jeder wissenschaftliche Beweis: Heute finanzieren dieselben Leute sogar einige ihrer Studien.


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Die vier neuen EhrendoktorInnen der ETH. (v.l. oben: Abigail A. Salyers und Rolf K. Thauer, unten: Jeremy R. Knowles und Günter E. Petzow). gross

Gentech-Diskussion lenkt ab

Auch die Biotech-Industrie wollte zuerst nicht auf die angefragte Beraterin hören. Zwar freuten sich die Entwickler von gentechnisch veränderten Pflanzen (GVP) über Salyers Hypothese, dass die in GVP zur Selektion verwendeten Antibiotikaresistenzen kaum ein Risiko für Mensch und Umwelt darstellten. Doch ihre Warnung, dies sei zwar kein medizinisches, aber ein politisches Problem, stiess in der Industrie auf taube Ohren. Es folgten heftige Diskussionen in der Bevölkerung. "Mittlerweile hat sich herausgestellt, dass ich recht hatte und die Industrie hat dies auch zugegeben", kommentiert Salyers stolz. Heute gälten Antibiotikaresistenzen in Gentech-Pflanzen als veraltet, denn es gehe auch ohne.

Problematisch findet die Mikrobiologin aber, dass die ganze Diskussion um Gentech-Pflanzen nur von der eigentlichen Gefahr ablenke: Die immer stärkere Verbreitung von Antibiotikaresistenzen in unserer Umwelt. Dagegen engagiert sie sich seit diesem Jahr auch als Präsidentin der "American Society of Microbiology", der mit 43'000 Mitgliedern grössten wissenschaftlichen Gesellschaft einer biologischen Einzeldisziplin.

Kampf um Kinderkrippen

Als Frau mit Einfluss ist die neue Ehrendoktorin aber auch auf einem ganz anderen Gebiet aktiv: Im Kampf um Chancengleichheit. "In der Forschung ist es schwierig, eine Familie zu haben und das ist nicht gut!", empört sich Salyers, die selbst Mutter ist.

"Obwohl ich das keinem Mädchen empfehlen würde, aber wenn ich in der High School nicht Mutter geworden wäre, hätte ich in meiner Forschungslaufbahn nie mehr die Zeit dazu gehabt." Primär fehle es an Unterstützung für junge Familien. Darum engagiert sich Salyers an der University of Illinois in Urbana (UIUC), wo sie seit 22 Jahren als Mikrobiologie-Professorin arbeitet, für die Einrichtung von Kinderkrippen.

Einzige Lebende Ehrendoktorin

Mit Abigail Salyers erhielt erst zum zweiten Mal eine Frau den Ehrendoktortitel der ETH. 1992 wurde die Biophysikerin und Umweltwissenschaftlerin Donella Meadows für ihren Kampf um Nachhaltigkeit und die "Grenzen des Wachstums" geehrt. Leider verstarb sie Mitte Februar dieses Jahres (ETH Life berichtete). "Die ETH ist nun wieder eine universitäre Hochschule ohne eigene Ehrendoktorin und das ist beschämend", schrieb damals die kürzlich pensionierte ETH-Professorin Katharina von Salis in einem "Leserinnenbrief" an ETH Life. Doch jetzt wird alles gut: "Das ist aber flott!", freut sich von Salis über die neue Ehrendoktorin. "Das wäre grad ein Grund, um am ETH-Tag teilzunehmen."

"Wichtig ist, dass man sucht!"

Seit dem Frauenstreik 1991 befasste sich von Salis mit der Besserstellung der Frauen an der ETH, zuletzt als Beraterin der Stelle für Chancengleichheit. "Aufgrund des geringen Frauenanteils in den ETH-Fächern vor 30 Jahren ist es klar, dass es immer noch schwierig ist, Ehrendoktorinnen zu finden", sieht auch von Salis ein. Trotzdem fordert sie: "Wichtig ist, dass man sucht!" Denn: "Hin und wieder sollte auch an der ETH eine Frau geehrt werden." Dass Letztere nun vom D-AGRL vorgeschlagen wurde, passt gut zu den knapp 50 Prozent weiblichen Studierenden und den zwei Professorinnen des Departements. Doch zu den entscheidenden Kriterien für die Wahl erklärt Departements-Vorsteher Felix Escher: "Wir haben Frau Salyers ganz einfach deshalb vorgeschlagen, weil sie eine hervorragende Wissenschaftlerin mit Weitblick ist. Weitblick darum, weil sie schon vor 20 Jahren Probleme angepackt hat, die heute brandaktuell sind."


Die neuen Ehrendoktoren der ETH
Rolf K. Thauer ist Professor für Mikrobiologie der Universität Marburg und Direktor des Max-Planck-Instituts für terrestrische Mikrobiologie. Geehrt wird er auf Vorschlag des Departements Biologie für seine wissenschaftlichen Arbeiten zur Erforschung der Energiegewinnung bei anaeroben Bakterien. Die von ihm untersuchten Mikroorganismen bilden als Endprodukt ihres Energiestoffwechels Methan und spielen bei vielen Prozessen in der Biosphöre eine Schlüsselrolle. Seine Forschungen zur Methanogenese haben ein völlig neues Gebiet der Biochemie erschlossen. Laudatio.Jeremy R. Knowles ist Professor für Chemie und Biochemie der Harvard University. Er wird geehrt als führender Denker und Innovator auf dem Gebiet der modernen bioorganischen Chemie. So hat er unter anderem als Erster ein komplettes energetisches Profil für einen enzymatischen Prozess erstellt. Seine Arbeiten führten zur Aufklärung der Reaktionsmechanismen zahlreicher Enzyme. Damit hat er das Zusammenwachsen von Chemie und Biologie entscheidend gefördert. Vorgeschlagen hat ihn das Departement Chemie. Laudatio.Günter E. Petzow ist emeritierter Professor der Universität Stuttgart und emeritierter Direktor am Max-Planck-Institut für Metallforschung. Seine besondere Aufmerksamkeit galt der Erforschung neuartiger Hochleistungskeramiken und Hochtemperaturwerkstoffe, wie sie zum Beispiel für eine effiziente Energieumwandlung in Wärmekraftmaschinen unerlässlich sind. Das Departement Werkstoffe ehrt ihn als herausragende Forscherpersönlichkeit, die als Vorreiter den Wandel der klassischen Materialkunde zu modernen Werkstoffwissenschaften in Europa mit eingeleitet hat. Laudatio. Sowie Abigail A. Salyers => siehe Hauptbericht. Laudatio.



Literaturhinweise:
ETH Life-Bericht über den ETH-Tag: http://www.ethlife.ethz.ch/tages/show/ETHTag2.html



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