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Rubrik: Tagesberichte
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Publiziert: 03.09.2002 06:00

Biochemische Grenzen des Lernens und Erinnerns
Ein Eiweiss zum Vergessen

Üben ist der Schlüssel zum erfolgreichen Lernen und Erinnern. Nur teilweise entschlüsselt bei diesem Prozess ist aber, was auf molekularer Ebene abläuft. Eine ETH-Studie an Mäusen zeigt nun, dass ein bestimmtes Eiweiss sowohl beim Lernen wie auch beim Gedächtnis Grenzen setzt.

Von Christoph Meier

Übung macht den Meister. Das Sprichwort kennt jeder aus eigener Erfahrung, sei es am Computer mit den verschieden häufig benutzen Programmen, beim Sport oder beim Musizieren. Zudem können verschiedene Zeitpläne die Effizienz des Lernens beeinflussen. Intuitiv wende sie dieses Wissen auch an, sagt Isabelle Mansuy, ETH-Professorin für Zellbiologie (1) : "Wenn ich ein Paper schreibe, mache ich einen Entwurf, lege ihn weg und beginne nochmals." Ein Produkt dieses Verfahrens ist ihr aktuelles Paper, das in der neusten Ausgabe des Wissenschaftsmagazin "Nature" vom 29 August erschienen ist (2) . Darin zeigt sie bei Mäusen auf, wie ein bestimmtes Eiweiss die Lernfähigkeit einschränkt und zum Verlust des Gelernten beiträgt.

Bei diesem Eiweiss handelt es sich um die Protein Phosphatase 1 (PP1). Es gehört zu einer Gruppe von Molekülen, die aufgrund früherer Untersuchungen als Kontrollinstanz für Lernen und Erinnern vorgeschlagen wurden. Als Modelltier verwendeten die Biologin und ihre Mitarbeitenden Mäuse, die gentechnisch so verändert sind, dass PP1 ein- und ausgeschaltet werden kann, und verglichen deren Leistungen mit Kontrolltieren vom selben Mäusestamm.

Erforscht die molekularbiologischen Grundlagen des Lernens und Erinnerns im Mausmodell: ETH-Professorin Isabelle Mansuy.

Lernen leichtgemacht ohne PP1

Als erstes wurde der Effekt von PP1 auf das Lernverhalten getestet. Die Mäuse konnten nach verschiedenen Zeitplänen drei Gegenstände in einer Kiste kennen lernen: 25 Minuten ohne Unterbruch, fünf mal fünf Minuten mit fünfminütigen Unterbrüchen oder fünf mal fünf Minuten mit 15-minütigen Unterbrüchen. Damit die Gegenstände möglichst interessant für die Mäuse waren, bastelten die Forschenden sie gleich selbst. Um zu prüfen, wie gut sich die Mäuse die Gegenstände gemerkt hatten, wurden sie entweder nach fünf Minuten, drei Stunden oder einem Tag wieder in die Kiste gesetzt, wo ein Objekt ausgetauscht worden war. Verweilten die neugierigen Mäuse länger beim neuen Gegenstand, war das ein Indiz für das Unterscheidungsvermögen der kleinen Nager.

"Gut Ding will Weile haben" scheint auch auf Mäuse zuzutreffen, denn die besten Resultate erzielten sie, wenn sie das Training mit den langen Unterbrüchen absolviert hatten. Dies galt sowohl für die Mäuse, die mit aktiven als auch für die, die mit inaktivem PP1 gelernt hatten. Interessanterweise erreichten aber auch Mäuse mit inaktivem PP1 und kurzen fünfminütigen Lernunterbrüchen eine vergleichbare Leistung, wohingegen die Kontrollmäuse mit dem gleichen Lernprogramm und alle Mäuse mit dem Lernblock ohne Pause wesentlich schlechter abschnitten. Angesprochen darauf, was diese Resultate bedeuten, meint Isabelle Mansuy: "PP1 stellt eine notwendige Kontrolle dar, damit wir nicht zuviel Information verarbeiten." Denn die Kapazität des Hirns sei beschränkt, sodass es ein aktives Schutzsystem brauche.

"Gelernt" ist nicht gelernt

Um heraus zu finden, ob PP1 seine Wirkung allgemein beim Lernen entfalte, setzte die Biologin die Mäuse in ein sogenanntes Wasserlabyrinth, im dem die Orientierung im Raum getestet wird. Dieser für die Mäuse anspruchsvollere Versuch besteht aus einer Wanne, gefüllt mit opakem Wasser, in der es eine kleine, für die Mäuse unsichtbare Plattform knapp unter dem Wasserspiegel gibt. Die Mäuse lernen bei gleichbleibender Anordnung sich im Versuchsraum zu orientieren und können die Plattform direkt anschwimmen.


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Forschungsobjekte für Forschungsobjekte: ETH Forschende bastelten diese Gegenstände für ihre Versuchsmäuse. (Bild: I. Mansuy)

Als die besten Schüler im Wasser erwiesen sich die Mäuse, bei denen die PP1-Hürde biochemisch beseitigt wurde. Sie brauchten am wenigsten Trainingseinheiten, bis sie gezielt zur Plattform schwammen. Wurden aber die einzelnen Trainingseinheiten intensiviert, erreichten auch die Mäuse mit aktivem PP1 vergleichbare Ergebnisse. Doch "gelernt" ist nicht gelernt. Denn testete man im Nachhinein das Gedächtnis der beiden intensiv geschulten Nager, dann fanden schon zwei Wochen nach dem Einstudieren die Mäuse mit normaler PP1-Funktion den Ort der Plattform schlechter. Dagegen erinnerten sich die Mäuse, deren PP1-Funktion unterdrückt wurde, bis zu acht Wochen danach erstaunlich gut an die Lage der Plattform. Ein vergleichbares Erinnerungsvermögen wiesen auch Tiere auf, bei denen PP1 erst nach dem Training unterdrückt worden war. Das spricht dafür, dass PP1 nicht nur das Lernen erschwert, sondern auch das Vergessen aktiv beschleunigt.

Bald eine Kognitionspille?

Die Möglichkeit für das Ein- und Ausschalten von PP1 nützte Mansuy noch für ein weiteres Experiment. Sie testete im Wasserlabyrinth Tiere im stattlichen Mäusealter von 15-18 Monaten. Bei den greisen Mäusen lernten die biochemisch Privilegierten erneut etwas besser. Für Mansuy speziell bedeutend waren aber die Unterschiede beim räumlichen Erinnern. Die Daten dabei legen nahe, dass eine PP1-Unterdrückung vor Gedächtniszerfall schützt, indem die entsprechenden Mäuse noch längere Zeit die Plattform im Wasser schneller fanden.

"Die Versuche mit den alten Mäusen zeigen, dass kognitive Fähigkeiten gerettet werden können", kommentiert die Wissenschaftlerin. Besonders interessant sei dies auch, da man bereits vorher wusste, dass alte Mäuse über mehr PP1 verfügen. Die Befunde sprechen somit dafür, dass erschwertes Lernen und Gedächtniszerfall im Alter nicht unbedingt einen unabwendbaren, irreversiblen Prozess darstellen. Obwohl Mansuy zur Vorsicht mahnt, ist sie doch der Ansicht, dass auch unterschiedliche Lern- und Erinnerungsleistungen auch beim Menschen zumindest zum Teil einfach auf kleine biochemische Unterschiede zurückzuführen sind. Gibt es also bald eine Pille für besseres Lernen und Erinnern? Die Biologin schliesst das nicht aus. Am meisten schätzen würde sie, wenn ihre Forschung am Ende Leuten mit Lern- oder Gedächtnisstörungen zugute käme und nicht für "Lernkosmetika" missbraucht würde.

"Denke nicht jeden Tag an Darwin"

Als Isabelle Mansuy aufgrund des diesjährigen 120. Todestag von Charles Darwin gefragt wird, wie stark sie ihre Forschung aus der Sicht der Evolutionstheorie betrachte, antwortet die Biologin: "Ich denke nicht jeden Tag an Darwin." Doch wenn man sich überlege, wie sich die menschlichen kognitiven Funktionen im Laufe der Evolution entwickelt haben, so könnte ein Szenario sein, dass PP1 ursprünglich im Hirn des Menschen sehr aktiv war, in der Entwicklung zum modernen Menschen hin aber reduziert wurde.


Literaturhinweise:
Kommentar zum Nature-Paper: Nature 418, 929-930, The molecules of forgetfulness

Fussnoten:
(1) Forschungsgruppe von Isabelle Mansuy: www.cell.biol.ethz.ch/structure/mansuy/mansuy.html
(2) Genoux, D. et al. Protein phosphatase 1is a molecular constraint on learning and memory Nature 418, (2002)



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