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Rubrik: Tagesberichte
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Publiziert: 21.11.2000 06:00

Motoren-Guru an der ETH
Meister aller Pferdestarken

Vor praktisch vollen Rangen im Paul-Scherrer-Horsaal gab gestern Mario Illien, geburtiger Churer und international renommierter Rennmotorenentwickler, Einblicke in seine Arbeit. Das Laboratorium fur Verbrennungsmotoren und Verbrennungstechnik hatte ihn als Gastreferent gewinnen konnen. Der geniale Tuftler gab Einblicke in seine Arbeit fur den Formel-1-Rennstall McLaren-Mercedes und die amerikanische IndyCar-Serie.

Sein Name hat in der Branche einen so guten Klang wie die Motoren, die er konstruiert. Beim Bergrennen uber den Kerenzerberg erwachte Mario Illiens Begeisterung fur den Rennsport. Dem Vernehmen nach soll der kleine Mario bald die Marke der am Haus seiner Eltern in Chur vorbeibrausenden Autos erkannt haben – allein aufgrund des Motorengerauschs. Bei Schulkollegen erwarb er sich schnell den Ruf eines begnadeten Toffli-Frisierers.

Illien ging den logischen Weg, studierte Maschinenbau an der Ingenieurschule Biel, ging 1977 zur Mowag in Kreuzlingen, wo er Dieselantriebe fur Panzerfahrzeuge entwarf. Auch das ein konsequenter Schritt: „Man kann eigentlich nur in der Rustungsindustrie arbeiten – oder eben im Rennsport“, meint Illien heute, denn „nirgends ist so viel Geld vorhanden, nirgends geniesst ein Entwickler so grosse Freiheiten.“ Die bedachtige Mowag darf sich also ruhmen, einmal einen fuhrenden Formel-1-Konstrukteur in ihren Reihen gehabt zu haben ...

Ein Europaer beherrscht Indianapolis

Dann aber ging Illien dorthin, wo es ihn hinzog: bei Cosworth im englischen Northampton kam der Tuftler Anfang der achtziger Jahre erstmals mit der Formel 1 in Kontakt. Mit Cosworth-Mitarbeiter Paul Morgan grundete Illien 1984 seine eigene Firma Ilmor. Die beiden holten den schwerreichen Financier und Motorsport-Enthusiasten Roger Penske zu sich ins Boot und machten sich umgehend daran, die von Cosworth beherrschte Indy-Szene das Furchten zu lehren. „Uns reizte es, als Newcomer hier etwas zu bewegen“, sagt Illien. - Ein voller Erfolg: Der Ilmor-Chevrolet gewann zwischen 1987 und 1993 insgesamt 86 IndyCar-Rennen, sechsmal Indianapolis und funf IndyCar-Titel.

Illien schilderte auch anschaulich die Hindernisse, mit denen gerade Erfolgreiche im Rennsportzirkus zu kampfen haben. Denn dass ein „kleiner“ Europaer die IndyCar-Serie durcheinanderwirbelt, irritierte die Verantwortlichen in den USA offensichtlich nachhaltig: fur das Jahr 1994 waren nur noch Motoren mit der uramerikanischen, im Prinzip veralteten Stossstangenkonstruktion zugelassen. Dieses Aggregat verfugt nur uber eine einzige, unten liegenden Nockenwelle, von der aus die Ventile mit langen Stosselstangen bewegt werden. Man hoffte auf diese Weise, Illien aus dem IndyCar-Geschaft drangen zu konnen.

Motor fur ein einziges Rennen

Fast aus Trotz, so will es scheinen, nahm der Churer die Herausforderung an. Er entwickelte in Rekordzeit und unter grosster Geheimhaltung seine Version des Stossstangen-Motors. Er habe, so Illien, auf den Gesichtern seiner Piloten Al Unser Jr. und Emerson Fittipaldi damals nach den ersten Tests „ein Lachlen von Ohr zu Ohr“ festgestellt. Das sei eher selten. Kein Wunder, bei einer Kraftentfaltung von 1025 PS und Hochstgeschwindigkeiten von weit uber 400 km/h... Al Unser gewann daraufhin die legendaren 500 Meilen von Indianapolis vor uber einer halben Million Zuschauern mit Leichtigkeit. Und Mario Illien hatte den IndyCar-Funktionaren einen dicken Strich durch die Rechnung gemacht. Diese anderten das Reglement daraufhin erneut – und der siegreiche Stossstangen-Motor, der fur nur ein Rennen gebaut wurde, wanderte ins Museum.


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Illien PortrŠt
Weltweit begehrt: Motorenentwickler Mario Illien

Aus dem US-Rennsport zog sich Ilmor allmahlich zuruck; dafur warteten neue Herausforderungen in der Formel 1 auf das Unternehmen. Erst profitierten kleinere Rennstalle wie Sauber von Illiens Motorenbaukunst. 1993 dann der Quantensprung: Mercedes stieg bei Ilmor ein und band die Firma langfristig an sich. Seit 1995 beliefert Mario Illien nun Mercedes-Benz mit seinen Aggregaten – und der Erfolg liess auch hier nicht lange auf sich warten: Zweimal, 1998 und 1999, errang der Finne Mika Hakkinen im Mercedes-„Silberpfeil“ bekanntlich den Weltmeistertitel. Auch der Konstrukteurstitel ging an McLaren – und damit indirekt an Illien, den „Vater“ des Siegermotors.

Zu schwerfallige Forschung?

Was im Ruckblick auf seine beeindruckende Karriere sein Erfolgsgeheimnis sei, wollte ein Zuhorer wissen. „Viel und intensiv arbeiten“, lautete die lapidare Antwort, erganzt mit dem Zusatz: „In unserem Betrieb gibt es keine Demokratie, denn die Entscheidungen im Formel-1-Bereich mussen sehr schnell gefallt werden.“ Mercedes lasst Illien weitgehend freie Hand - zu weit ist der Serienbau von der Rennwagenkonstruktion entfernt. Dennoch, es liesse sich einiges aus der Rennerfahrung in die Serie ubertragen, gibt Illien zu bedenken: „Leichtbau, geringe Reibung, spezifischer Verbrauch – das sind Dinge, die wir im Rennsektor laufend optimieren.“

Ob er, der kurzlich von einer englischen Universitat eben zum Ehrendoktor Ernannte, mit der Forschung zusammenarbeite, wurde Illien gefragt. „Nur am Rande“; kam die fur manchen im Plenum vielleicht enttauschende Antwort. Die Forschung halte leider oft mit dem erforderlichen Entwicklungstempo nicht Schritt.

Entsprechend auch Mario Illiens Rat an junge Ingenieure, die in die Motorenentwicklung einsteigen wollen: „Ganz klein anfangen, viel Praxiswissen sammeln und vor allem nicht alles mit dem Computer losen wollen“. Ein Hochschulabsolvent, der sich bei ihm einmal um eine Stelle bewarb, sei zwar ein schlauer Fuchs in Sachen Informatik gewesen, aber leider nicht in der Lage, ein Stuck Stahl von einem Stuck Aluminium zu unterscheiden.




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