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Rubrik: Tagesberichte
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Publiziert: 02.03.2006 06:00

Wohnforum an der ETH Zürich
Der Alltag als Forschungsfeld

Wohnen gehört zum Alltag und ist gerade deshalb ein interessantes Forschungsfeld. Am Wohnforum der ETH Zürich untersucht ein interdisziplinäres Team, wie alte Menschen künftig leben, was es bedeutet, an mehreren Orten zu wohnen, was einen qualitativ guten Bau ausmacht und wie unsere Gesellschaft mit den Bauten der Vergangenheit umgeht.

Felix Würsten

Die Situation ist paradox: Seit Jahren herrscht in Zürich ein ausgewiesener Mangel an Wohnungen. Und doch stehen in den neuen Überbauungen Andreaspark und Am Eschenpark in Oerlikon seit Monaten grosse, helle Wohnungen leer und finden keine Abnehmer. Dabei haben sich die Bauherren und Architekten durchaus bemüht, attraktive Lebensräume zu gestalten. Auch wenn die genauen Gründe für die überraschende Situation nicht ganz klar sind, so zeigt das Beispiel doch, dass bedürfnisgerechtes Bauen offenbar nach wie vor ein heikles Unterfangen ist. Die fehlende Akzeptanz der Neubauwohnungen ist jedoch nicht nur ein Problem für die Investoren. Ein Vertreter der städtischen Fachstelle für Stadtentwicklung zeigte sich in einem Artikel des Tagesanzeigers besorgt, dass die vielen leer stehenden Wohnungen eine ungünstige Signalwirkung für ganz Oerlikon haben könnten.

Sprung in die Agglomerationen

"Wohnen prägt die Stadtentwicklung", bestätigt Johanna Rolshoven vom Wohnforum der ETH Zürich. (1) "Genau deshalb befasst sich unser Team auch intensiv mit diesem Themenfeld." Seit dem letztem Jahr leitet die Kulturwissenschafterin zusammen mit der Biologin und Anthropologin Thea Rauch-Schwegler das vor gut 15 Jahren gegründete Wohnforum. Ursprünglich als kleine, primär sozial-wissenschaftlich orientierte Gruppe gegründet, gehören dem Team heute rund 17 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus den unterschiedlichsten Fachbereichen an.

Wie es der Name bereits andeutet, versteht sich das Wohnforum als Institution, welche den Dialog zwischen den verschiedenen Akteuren fördern will. Das Team organisiert unter anderem regelmässig Tagungen, an denen sich Bauherren, Architekten, Mietervertreter und Städteplaner austauschen. Am 6. April etwa werden sich Experten aus dem In- und Ausland zum Thema "Für wen bauen?" äussern. Ein weiteres Element ist die bereits seit längerem bestehende Reihe "Stand der Dinge in…" Das Wohnforum organisiert dabei zusammen mit lokalen Partnern in einer bestimmten Stadt an einem ungewöhnlichen Ort Ausstellungen und kulturelle Anlässe und bringt so die Wohnsituation der dort lebenden Menschen zur Sprache. Rolshoven und Rauch möchten mit der Reihe nun auch den Sprung in die Agglomerationen wagen. Vorgesehen ist, demnächst die Entwicklung entlang der S-Bahn-Linie 5 nachzuzeichnen.

Den ganzen Kreislauf betrachten

Das Wohnforum ist aber auch eine anerkannte Forschungsinstitution. Die englische Bezeichnung "Centre for Cultural Studies in Architecture" zeigt, in welche Richtung Rolshoven und Rauch die Gruppe führen wollen. "Um den aktuellen Fragen gerecht zu werden, benötigt man immer häufiger grenzüberschreitendes Wissen", erklärt Rolshoven. "Das Wissen der einzelnen historisch gewachsenen Disziplinen reicht dazu nicht mehr aus." Wie ein solcher Ansatz konkret funktioniert, zeigt sich etwa am Thema Bauen und Wohnen mit Holz. "Wir haben den ganzen Kreislauf vom Holzschlag bis zur Abfallverwertung untersucht", erklärt Rauch. "Dabei haben wir nicht nur die drei klassischen Achsen Ökologie, soziale Verträglichkeit und Ökonomie angeschaut, sondern auch die Werthaltungen der Menschen und die Bedürfnisse der Individuen berücksichtigt."


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Im ehemaligen Industriequartier von Zürich entstanden in den letzten Jahren verschiedene neue Wohnsiedlungen, so etwa das genossenschaftlich organisierte KraftWerk1 im Kreis 5. (Bild: Wohnforum ETH Zürich) gross

Warum fühlen sich Menschen wohl?

Als vorwiegend geisteswissenschaftliche Gruppe bildet das Wohnforum gewissermassen eine Enklave in der ETH. "Das ist auf der einen Seite schwierig, auf der anderen Seite aber auch eine grosse Chance", meinen Rolshoven und Rauch übereinstimmend. Durchaus mit Stolz weisen die beiden Leiterinnen darauf hin, dass sich das Wohnforum zu zwei Dritteln mit Fremdaufträgen finanziert. "Konkrete Forschung wie etwas die Evaluation einer neuen Wohnsiedlung ist auf dem Markt sehr gefragt", erklärt Rolshoven. "Wir möchten aber künftig vermehrt auch Grundlagenforschung betreiben. Warum fühlen sich Menschen an den Orten, an denen sie leben, eigentlich wohl? Um das zu verstehen, ist eine tiefer gehende und an Komplexität orientierte Auseinandersetzung notwendig."

An grundsätzlichen Fragen fehlt es dabei nicht. Wohnen im Alter ist beispielsweise ein Schwerpunkt, mit dem sich das Wohnforum auf verschiedenen Ebenen auseinandersetzt. "Heute kennt man vor allem zwei Ansätze: das Altersheim, das von vielen gefürchtet wird, und die privat finanzierte, meist teure Altersresidenz", erklärt Rauch. "Daneben braucht es aber auch noch andere Ansätze, die irgendwo dazwischen liegen." Vorstellbar wäre etwa, dass alte Menschen gezielt Dienstleistungen im Quartier beziehen können. Gerade in der Schweiz, so ist Rolshoven überzeugt, gibt es in diesem Bereich viele interessante Ansätze. "Aber diese neuen Wohnformen sind noch kaum dokumentiert. Wir wollen nun zehn Projekte herausgreifen und vertieft evaluieren."

Belastende Vergangenheit

Die Wohnsituation in der Schweiz beurteilt Rolshoven durchaus positiv. "Den Leuten hier geht es gut." Erkennbar sei dies unter anderem am Boom, den die Möbelbranche zur Zeit erlebe. "Wohnen nimmt im Leben der Menschen einen grossen Stellenwert ein." Sorgen bereitet eher die Vergangenheit. 60 Prozent der Bausubstanz in der Schweiz wurden in den letzten 40 Jahren gebaut – oftmals mit zweifelhafter Qualität. "Bereits heute produziert die Bauindustrie zwei Drittel aller Abfälle, und dieser Anteil wird noch weiter zunehmen, weil viele Bauten saniert werden müssen", erklärt Rauch. "Qualität im Bau ist deshalb auch für uns ein wichtiges Thema." Dabei geht es nicht nur darum, wie die Vergangenheit technisch bewältigt werden kann, ergänzt Rolshoven: "Die Frage ist doch: Wie gehen wir mit all den Bauten um, die in den Boomjahren schnell und schlecht erstellt wurden und die wir heute so nie gewollt haben wollen. Diesen Teil unserer Geschichte spalten wir gerne ab."


Fussnoten:
(1) Homepage des Wohnforums: www.arch.ethz.ch/wohnforum



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