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ETH - Eidgenoessische Technische Hochschule Zuerich - Swiss Federal Institute of Technology Zurich
Rubrik: Tagesberichte
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Publiziert: 23.05.2001 06:00

Leiden für die Wissenschaft
Albtraum Erholung

Von Christoph Meier

Der Boden gleitet unter den Füssen weg, sodass ich zu rennen beginne, um nicht zu fallen. Doch der Boden bewegt sich immer schneller und der Schweiss dringt mir aus allen Poren. Die Beine schmerzen, der trockene Mund verlangt nach Wasser und die Atmungs-Einschränkung durch eine verstopfte Nase wird beklemmend. Zusätzlich bin ich mit einem Schlauch geknebelt, sozusagen geschlaucht. Nahe am Kollaps bricht jedoch die Tortur plötzlich ab.

Entführung in den Aargau

Eine Woche später beginnt der Spuk von neuem. Drei Personen entführen mich - was für ein Horror für einen in Zürich wohnhaften Menschen - in den Aargau. In irgendeinem entlegenen Tal werde ich auf ein fabrikähnliches Gelände gebracht. Am Gebäude, in das ich mich meine Entführer bringen, kann ich gerade noch den nicht gerade Vertrauen erweckenden Schriftzug "…zur Erforschung der Pionentherapie" erhaschen. In einem ausrangiertem Labor werde ich angehalten, mich umzuziehen. Danach komme ich den nächsten Raum, wo ich, bedroht durch eine Spritze, mich auf eine Holzpritsche lege. Die Entnahme kleiner Portionen Blut erinnert mich an einen Vampir-Apéro. Erniedrigend wirkt die Aufforderung zu speicheln. Doch zum Glück bleibt mir die Spucke nicht weg.

Der gleitende Boden

Das war aber erst die Ouverture, denn jetzt werde ich ein brusthohes, gelbes Metallzelt geführt, und mein rechtes Bein wird in eine Röhre mit einer Teller-grossen Öffnung und einem riesigen Mantel geschoben, bis meine Schambeine anatomische Grenzen setzen. Gespreizt wie auf einem Gynäkologenstuhl liege ich da. Zum Glück bleibt eine Genitalinspektion aus. Nach einer Viertelstunde in der Zwangstellung werde ich in einen weiteren Raum geführt. Doch welch ein Schreck: der Boden bewegt sich. Ich renne gegen eine grüne Wand mit zwei Bullaugen, die sich in der Folge als eine Lifttüre entpuppt. Doch ich erreiche sie eine Stunde lang nicht. Stattdessen glotze ich auf das CD-Cover von "Pulp Fiction" mit der lasziven Uma Thurman und höre solange den entsprechenden Soundtrack, dass ich mich stundenlang nicht mehr auf ein WC traue.

proband ernŠhrung
Die "Folterkammer" mit dem gelben Metallnetz. gross

Spreizen und Schröpfen

Endlich ist es vorbei! Allein, Nadel und Röhre warten schon wieder, wobei zusätzlich noch ein Katheter als Zapfhahn in den linken Arm eingeführt wird. Nach der Schröpfung und der erneuten Spreizsitzung, werde ich mit einer klebrigen süsslichen Flüssigkeit verköstigt - auf dass mein Blut weiterhin munter sprudle. In der Folge wird das Ritual des Schröpfens und Spreizens wiederholt. Dabei nimmt die Frequenz in gleichem Masse ab wie meine Apathie zu. In den Pausen versuchen meine Folterknechte, mich mittels einer netzartigen Maske zu hypnotisieren. Nach einem geschlagenen Tag entdecke ich im Umkleideraum auf einem vergilbten Zettel an einem Brutkasten den Spruch: "Lebendmaterial bitte nur nach Rücksprache bearbeiten". Was für ein Zynismus!

Danse macabre

Wieder eine Woche später: Fast erholt vom Aargau wird meine Strapazierfähigkeit erneut dort getestet. Zuerst verläuft fast alles gleich. Der einzige Unterschied: Statt des Soundtracks zu "Pulp Fiction" ertönt Tom Waits mit "Frank's Wild Years". Doch dann, traumatisiert vom ersten Mal, dreht sich mein Magen bei der Einverleibung des scheusslichen Gesöffs um. Daraufhin schleppen mich meine Entführer an die Aare zu einer einsamen Ruine. Mir schwant schon, dass sie mich nächstens mit einem Stein um den Hals in den Schmelzwasserfluten versenken werden.


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probandenerlebnis
Der "Hypnotiseur". gross

Weil ich aber wieder gewisse Lebenszeichen von mir gebe, verzichten sie auf das Ersäufen und führen mich zurück in die Folterkammer. Als sie feststellen, dass sie mich nochmals schröpfen können, beginnen sie zu tanzen - für mich eine "Danse macabre". Wie durch ein Wunder finde ich mich am Ende des Tages wieder auf den Strassen Zürichs.

Aus wissenschaftlicher Perspektive

Nüchtern betrachtet war ich ein Proband in einer Diplom-Studie bei den Ernährungswissenschaften, welche die Wirkung eines kohlehydrathaltigen Getränkes - einmal mit und einmal ohne Eiweisszusatz - auf den Erholungsstoffwechsel nach einer erschöpfenden Laufband-Belastung untersuchte. Zur Abklärung des Fitnesszustandes wurde vor Beginn der eigentlichen Versuchsphase ein Belastungstest auf dem Laufband durchgeführt. Durch ständige Erhöhung der Laufbandgeschwindigkeit wurde der Zustand erreicht, wo der Sauerstoffverbrauch maximal war. Mein Gasaustausch konnte registriert werden, indem ich via einen Schlauch im Mund mit den Messgeräten verbunden war und meine Nase mit einer Klemme verschlossen wurde.

Der eigentliche Versuch fand am Paul Scherrer Institut in Villigen statt. Am ersten Tag wurde bei mässig bis hoher Intensität gelaufen und anschliessend ein zu testendes Getränk oder ein Placebo eingenommen. Um den Verlauf des Erholungsstoffwechsels zu untersuchen, wurde einmal vor und mehrere Male nach der stündigen Belastung Blut- und Speichelproben genommen. Für die Blutentnahme wurde ein Katheter in die Armvene eingesetzt. Neben den Blutentnahmen wurde mittels Magnetresonanzspektroskopie die Wiederauffüllung der Kohlenhydratspeicher in der Wadenmuskulatur gemessen. Der Magnetresonanzspektrometer wurde ursprünglich für Kleinsäuger konzipiert, doch mit einiger Improvisation können auch Messungen an einem menschlichen Bein vorgenommen werden. Etwa eine Woche später wurde der ganze Versuch mit dem zweiten Getränk wiederholt.

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Die "Entführer": Simon Wrann, Birgit Walter, Thomas Wirth. gross

Übrigens waren die "Entführer" sehr nett und zuvorkommend. Ihre Daten ergaben bei einer ersten Abschätzung, dass sich die Energiespeicher bei beiden Getränken - einmal mit und einmal ohne Eiweisszusatz - vergleichbar schnell regenerierten. Da die Getränke von einer privaten Firma hergestellt wurden, war ich glücklich über dieses Resultat. Denn wer so unerhört garstige Getränke anbietet, der verdient keinen Erfolg mit Neuentwicklungen.




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