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Rubrik: Tagesberichte
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Publiziert: 28.01.2004 06:00

Eine ETH-Studie erforscht die Wirkung von Arbeitsstress auf die Gesundheit
Wenn die Arbeit stresst...

Die Schweiz verliert jährlich 4,2 Milliarden Franken durch stressbedingte Erkrankungen. Obwohl die Grundlagenforschung die biologische Stressreaktion im Laborexperiment gut erforscht hat, sind die Wechselwirkungen zwischen Alltagsbelastung und Gesundheit noch weitgehend unergründet. Mittels einer gross angelegten Langzeit-Studie versucht eine ETH-Forschungsgruppe diesen Zusammenhang aufzuklären. Untersucht werden dabei auch einige hundert Mitarbeitende der ETH.

Von Jakob Lindenmeyer

Alle reden vom Stress, wir messen» steht auf einer Ampullenschachtel. Darin finden sich acht Röhrchen sowie eine detaillierte Anleitung, wie über den Tag verteilt Speichelproben zur Messung des Stresshormons Cortisol abzunehmen sind. Die Analyse ist Teil eines ETH-Forschungsprojektes, um den Zusammenhang zwischen psychosozialen Belastungsfaktoren am Arbeitsplatz und deren biologischen Folgen aufzuklären.

Die ETH-Forscher Joachim Fischer (links) und Adrian Urwyler untersuchen mittels Laser die Blut-Proben der ETH-Mitarbeiter im 150’000-fränkigen Durchfluss-Zytometer (rechts) auf biologische Zeichen der Stressreaktion. gross

Die Forschungsgruppe um die Mediziner Joachim Fischer und Roland von Känel vom Institut für Verhaltenswissenschaft der ETH Zürich untersucht in einer breit angelegten Langzeitstudie mit 2500 Teilnehmenden, unter welchen Bedingungen und auf welche Weise sich zunächst rein psychisch erlebte Belastungen in messbaren Veränderungen niederschlagen. Ziel der Studie ist, herauszufinden, welche Faktoren dazu beitragen, dass Menschen lange gesund und leistungsfähig bleiben und auf welche Weise chronischer Stress das Altern beschleunigt.

ETH-Mitarbeiter als Probanden

Im letzten Sommer dehnten die beiden Verhaltens-Forscher die Untersuchungspopulation auf alle fest angestellten ETH-Mitarbeiter ab 35 aus. 355 ETH-Mitarbeitende sandten die Fragebögen zurück, 280 liessen sich auf den kostenlosen Gesundheits-Check ein. Die ersten Resultate dieser Untersuchung werden nächste Woche, am 10. Februar um 18.15 Uhr im Audimax präsentiert.

Schutz vor Stress-Folgen

145 ETH-Mitarbeiter haben sich zudem freiwillig für eine zusätzliche, vom Nationalfonds finanzierte Studie angemeldet. Darin fokussieren sich die ETH-Forscher auf zwei der Hauptakteure der Arteriosklerose, das Blutgerinnungssystem und eine Subklasse der weissen Blutkörperchen, genannt Monozyten. Einerseits untersucht die Forschungsgruppe, wie weisse Blutkörperchen und Blutgerinnung auf wiederholten psychischen Stress reagieren. Anderseits wird abgeklärt, ob Medikamente wie Aspirin und Beta-Blocker den Einfluss von akutem psychischen Stress auf diese Systeme hemmen. Bereits haben sich die ersten 25 ETH-Mitarbeitenden dreimal im Abstand von einer Woche im Labor «stressen» lassen. (1)

Solche Forschung am Menschen überprüft die Ergebnisse aus Tierversuchen. Letztere tragen zwar zur Aufklärung der biologischen Wirkmechanismen bei – können aber nicht den Einfluss von chronischem Termindruck, Angst um den Arbeitsplatz, geringer Entscheidungsfreiheit und einem «diktatorischen» Vorgesetzten auf das Herz-Kreislaufrisiko beim Menschen abschätzen. «Diese Daten lassen sich nur aus prospektiven Langzeitstudien mit grossen Teilnehmerzahlen gewinnen», begründet Forschungsleiter Fischer den aufwändigen Ansatz. Die Langzeitstudie der ETH unterscheidet sich von den bereits vorliegenden Studien einerseits durch die umfassendere Abklärung psychosozialer Faktoren, vor allem aber durch die vertieftere Untersuchung möglicher biologischer Wirkmechanismen.

Dreifache Stressreaktion

«Wir kennen eine Vielzahl von Einzelfaktoren, die sich unter akuter oder chronischer psychischer Belastung verändern», erklärt Studienleiter Fischer. Angefangen vom Herzschlag über die Ausschüttung des Stresshormons Cortisol bis hin zu Faktoren der Blutgerinnung. Doch Fischer gesteht: «Wir verstehen aber erst sehr wenig über die Wechselwirkung der drei hauptsächlich an der Stressreaktion beteiligten Systeme.»

Im Ruhezustand «bremst» das erste System, der Parasympathikus, unter anderem den Herzschlag und die Entzündungsaktivierung im Gewebe. Bei Gefahr oder starker Anstrengung lockert der Organismus diese «Stressbremse». Dann überwiegt das zweite System, der Sympathikus. Die spürbare Folge: der Herzschlag steigt. Bei besonderer Gefahr wird zusätzlich ein drittes System aktiviert: Die Hirnanhangsdrüse bewirkt, dass über die Nebennieren das Stresshormon Cortisol ausgeschüttet wird. Sobald die Gefahr vorüber ist, wird der Ausgangszustand wieder hergestellt.

Gefechtsbereitschaft

Die fein regulierte Stressreaktion bietet einen Evolutionsvorteil, indem sie den Organismus sehr effektiv auf Kampf und Flucht einstellt. Sie steigert die Herzfrequenz und die Schlagkraft des Herzmuskels, erweitert die Bronchien, und bereitet den Körper auf allfällige Verletzungen vor.

Das alles ist ein biologisch sehr sinnvoller Mechanismus. Beispielsweise wenn sich eine Maus auf der Flucht vor der Katze gerade noch ins Mauseloch rettet. Höher entwickelte Säugetiere können solche biologischen Stressreaktionen sogar bereits durch die Vorstellung von Gefahr auslösen. Etwa wenn sich zwei Affen zum Kampf um die Rangordnung posieren, oder wenn der Pilot eines Kampf-Jets bei Nacht zur Landung auf einem Flugzeugträger ansetzt. Wie aber ist es im Alltag berufstätiger Menschen? Was nützen vorbereitende Stressreaktionen, wenn ein autoritärer Chef seinem Angestellten pausenlos unlösbare Aufgaben zuteilt?


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Termindruck, Ärger mit dem Chef oder Angst vor Entlassung: Stress am Arbeitsplatz kann das Herz schädigen. gross

Ärger schädigt Herz

Dass Mini-Stressoren bei entsprechender Veranlagung durchaus folgenreich sein können, zeigten schwedische Forscher: Sie fanden bei Patienten mit Herzinfarkt, dass der Infarkt dreimal häufiger nach heftigem Ärger auftrat. Aspirin reduzierte das Risiko für einen ärgerbedingten Herzinfarkt. Britische Forscher wiesen bei Personen mit einfachen Aufgaben und wenig Entscheidungsspielraum ein vierfach höheres Risiko für Herzinfarkt nach als bei leitenden Angestellten.

In einer ETH-Studie über das Personal einer Intensivpflegestation (2) zeigte sich eine Besonderheit: Wer eine Situation bewusst als belastend erlebt, reagiert noch lange nicht mit einer biologischen Stressreaktion – und umgekehrt. Insgesamt blieben zwei Drittel der objektiv starken Anstiege von Cortisol unbemerkt, die Teilnehmer fühlten sich subjektiv nicht besonders gestresst.

Biologischer Verschleiss

Wer sein Auto hektisch im Verkehr bewegt, ständig Gas gibt und heftig bremst, braucht sich über den erhöhten Verschleiss nicht zu wundern. Wie aber ist es, wenn Alltagsbelastungen die biologische Stressreaktion ständig aktivieren – möglicherweise über Jahre? Der amerikanische Neurowissenschaftler Bruce McEwen hat für die biologischen Folgen chronisch fehlregulierter Stressreaktionen den Begriff «allostatische Last» geprägt. Er fand bei chronischem Stress bereits früh messbare funktionelle Veränderungen – lange vor irreversiblen Schäden. Eine amerikanische Langzeitstudie zeigte: Wer mit 70 einen hohen Wert für «allostatische Last» aufweist, stirbt bei gleichem Ausgangszustand früher oder ist ein Jahrzehnt später sowohl psychisch wie physisch weniger leistungsfähig.

Die ETH-Stressforscher erweitern das Konzept der «allostatische Last» derzeit auf das Gebiet der möglichen Wechselwirkung von Arbeitsplatzfaktoren und Gesundheit. (3) Letzten Sommer analysierte die Forschungsgruppe erstmals weltweit bei einer grossen Personengruppe von über 650 Mitarbeitenden einer Flugzeugbaufirma während eines ganzen Tages parallel die Aktivität aller drei an der Stressreaktion beteiligten Systeme. Die Teilnehmer notierten über vier Tage ihre subjektive Belastung, sammelten ihren Speichel zur Messung der Ausschüttung des Stresshormons Cortisol und trugen am letzten Tag ein Gerät zur Aufzeichnung von Herzfrequenz und Bewegungsaktivität.

Forschung für Geduldige

«Ob die beobachteten Zusammenhänge wirklich bedeutsam sind, werden wir erst in 10 bis 15 Jahren wissen, wenn wir die über 2500 Teilnehmenden der ETH, von Airbus und vom Eurofighter-Werk nachverfolgt und verglichen haben. Das braucht einen langen Atem» so Fischer. Ebenfalls nötig wären langfristige Forschungsstellen, doch die sind heute spärlich gesät. Da die Emeritierung von Professor Karl Frey am Institut für Verhaltenswissenschaft im Jahr 2007 die ETH-Langzeitstudie zu früh abgebrochen hätte, haben sich die beiden Studienleiter bereits jetzt nach anderen Möglichkeiten umgesehen, ihre Arbeit fortzuführen.

Roland von Känel ist seit Jahresbeginn Professor für Psychosomatik an der Universität Bern. (4) Der Leiter der Forschungsgruppe, Joachim Fischer, hat auf Ende 2004 eine Berufung an das ebenfalls an der Studie beteiligte US National Institute for Ageing erhalten. (5) Seine zukünftige Arbeitsgruppe untersucht unter anderem den Einfluss der Architektur von Bürogebäuden auf die Variabilität der Herzschlagzahl.

Die weitere Erforschung der gesundheits-relevanten Faktoren in einer von Termindruck und Angst um den Arbeitsplatz geprägten Berufswelt ist höchst aktuell. Wenn Menschen aufgrund gekürzter Altersvorsorge schon bald bis gegen 70 arbeiten müssen, dann braucht es eine Arbeitskultur, die einen gesund älter werden lässt.


5 Tipps gegen Stress

1. Planung: Beginnen Sie den Tag mit einem Plan, was es heute alles zu tun gibt.

2. Kurze Pausen: Als Belohnung, nachdem etwas erledigt oder ein Ziel erreicht ist.

3. Soziale Unterstützung: Kollegiales Team und mitarbeiterorientierte Vorgesetzte.

4. Abschalten: Nach Feierabend ist Arbeitsschluss. Unerledigtes folgt am nächsten Tag.

5. Ausgleich: Suchen Sie sich aktive Freizeitbeschäftigungen, die Spass machen.




Fussnoten:
(1) ETH-Studie zur Erschöpfung: "Reduced glucocorticoid sensitivity of monocyte interleukin-6 production in male industrial employees who are vitally exhausted". Psychosom Med. 2003 Jul-Aug; 65(4): 672-8. www.ncbi.nlm.nih.gov
(2) ETH-Studie übers Intensivpersonal: "Experience and endocrine stress responses in neonatal and pediatric critical care nurses and physicians". Crit Care Med. 2000 Sep; 28(9): 3281-8. www.ncbi.nlm.nih.gov
(3) ETH-Studie zur "Allostatischen Last": "Allostatic load and work conditions". Soc Sci Med. 2003 Aug; 57(4): 647-56. www.ncbi.nlm.nih.gov
(4) Mitteilung der Universität Bern zur neuen Professor für Psychosomatik: http://publicrelations.unibe.ch/communiques/2003/031022_kaenel.html
(5) Website des Intramural Research Programs des amerikanischen National Institute of Ageing/NIH: www.grc.nia.nih.gov



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