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Rubrik: Tagesberichte
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Publiziert: 11.10.2004 06:00

Computerprogramm zu Touristenbedürfnissen entwickelt
Agenten auf Wanderschaft

Zwei ETH-Doktoranden haben ein neues Computer-Programm zur Tourismusförderung entwickelt. Sie wollen herausfinden, unter welchen Bedingungen Bergregionen auch im Sommer attraktive Ferienorte darstellen. Dafür lassen sie Cyber-Touristen durch virtuelle Landschaften wandern.

Von Claudia Naegeli

Das Berner Oberland hat eine besondere Beziehung zu Agenten. Selbst James Bond hat auf dem Schilthorn schon den einen oder anderen Wodka-Martini getrunken. Denn das drehbare Panoramarestaurant auf dem Berggipfel diente ihm „Im Auftrag ihrer Majestät“ als Schaltzentrale. Auch sein Landsmann Sherlock Holmes hat es schon in das Berner Oberland verschlagen: Er ging in Meiringen auf Verbrecherjagd. Seit geraumer Zeit sind nun auch Agenten der ETH in der Bergregion unterwegs. Sie klären keine Verbrechen auf, sondern gehen in Schönried auf Wanderschaft. Ihre Mission: Sie wollen herausfinden, was Touristen im Sommer an Bergregionen besonders schätzen. Besonders unheimlich daran ist, dass man die Agenten nicht sieht. Sie sind nämlich virtueller Natur.

Bedürfnisse von Sommer-Touristen

Aufgrund von Klimaveränderungen verzeichnen tiefer gelegene Bergregionen in den letzten Jahren finanzielle Einbussen in der Wintersaison. Mit dem Schnee bleiben häufig auch die Feriengäste aus. Deshalb müssen Tourismus- und Hotelierverbände zunehmend auf den Sommertourismus setzen. Eine dieser betroffenen Regionen stellt das Berner Oberland dar. Für das Gebiet um Schönried haben Christian Gloor, Doktorand von Professor Kai Nagel am Institut für Computational Science (D-INFK) (1) und Duncan Cavens, Doktorand von Professor Eckart Lange und Professor Willy Schmid am Netzwerk Stadt und Landschaft (2) ein Computerprogramm (3) entwickelt, das die Bedürfnisse von Sommer-Touristen aufzeigen soll.

„Wir versuchen zu modellieren, wie Menschen ihre Ziele wählen. Die Ziele basieren auf ihren Fähigkeiten, Erwartungen und nicht zuletzt auf ihrer Umgebung“, erklärt Christian Gloor. In ihrem Computerprogramm werden Menschen durch so genannte Agenten verkörpert. Agenten sind intelligente und weitgehend selbständige Software-Objekte, die mit individuellen Fähigkeiten und Erwartungen ausgestattet sind. In den letzten Jahren habe man Agenten in den unterschiedlichsten Bereichen erfolgreich angewendet, so Christian Gloor. Beispielsweise zu Simulationen von Verkehrsstaus, Massenpaniken oder von Händlern an der Börse.

Schlendern oder flüchten?

Allerdings seien Agenten zur Simulation einer Massenpanik darauf programmiert, möglichst schnell ein Gebäude zu verlassen. „Beim Wandern ist hingegen der Weg das Ziel“, erklärt der 28-Jährige weiter. Jeder Agent habe gewisse Erwartungen an eine Wanderung: Eine schöne Aussicht geniessen können, sich sportlich zu betätigen oder durch Wälder zu schlendern. Eine Studie des Forschungsinstituts für Freizeit und Tourismus der Universität Bern zeige, dass die grössten Attraktionen für Sommerferiengäste im Berner Oberland landschaftliche Qualitäten seien (4).

Duncan Cavens konnte bestätigen, dass schöne und vor allem abwechslungsreiche Landschaften am meisten geschätzt werden. Er führte im Sommer 2002 eine Befragung von Wanderern in Schönried durch. „Die grösste Schwierigkeit stellte dabei die Interpretation der Präferenzen der Wanderer dar“, sagt Duncan Cavens. Obwohl für ihr Untersuchungsgebiet die landschaftliche Aussicht als wichtigste Besucherattraktion erkannt worden sei, sei es offensichtlich, dass sich die Wanderer ihren Weg nicht nur aufgrund der Aussicht aussuchen würden.


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Schönried als virtuelles Wandergebiet. gross

Aus diesem Grund haben die beiden Doktoranden eine Software entwickelt, die es ihnen erlaubt, mit verschiedenen Modellen zu experimentieren. Beispielsweise einmal mit Wanderern, denen die Restaurantdichte wichtig ist, ein andermal mit solchen, die Wälder besonders schätzen.

Virtuelle Sesselbahn

Ausserdem, so Christian Gloor, könne man die virtuellen Wanderer nicht einfach zufällig in der Landschaftssimulation umhergehen lassen. Für realistische Anwendungen sei es notwendig, ihnen plausible Routen zuzuteilen. „Dabei zählt nicht nur der kürzeste Weg von A nach B. Es gehören auch Aufenthalte in Restaurants oder auf Bergspitzen dazu“, erklärt der Doktorand. Und natürlich könnten sowohl Strassen und Wanderwege als auch Sessel- und Seilbahnen benutzt werden.

Am Ende jeden Tages würden die ausgeführten Aktivitäten mit den Erwartungen der Agenten verglichen. Dabei zähle für die einen eine schöne Aussicht mehr als ruhige Wälder. Und bei Nebel habe der Aussichtspunkt weniger Wert als das warme Restaurant. „Bei der Auswertung zählt weniger das Verhalten eines einzelnen Wanderers als die beobachtete Verteilung aller Wanderer auf die gesamte Region“, sagt Christian Gloor.

Keine teuren Experimente

Das Programm bietet viele Vorteile, die nicht zuletzt auch finanzieller Art sind. Landschaftsplaner haben nun ein Instrument, das ihnen hilft, die Auswirkungen von Entscheidungen besser abschätzen zu können. Würde beispielsweise eine Seilbahn ihren Betrieb einstellen, hätte das einen Einfluss auf die gesamte Region. Bergwanderer müssten zu Fuss auf den Gipfel gelangen und würden künftig vielleicht diese Destination meiden. Sie würden möglicherweise auf die andere Talseite ausweichen oder der Region ganz fernbleiben. „Auf teure Experimente in der realen Welt kann dank dem Programm nun verzichtet werden“, meint Christian Gloor. „Das Geld kann nun gezielter eingesetzt werden.“

Trotzdem soll das Projekt voraussichtlich nicht in anderen Regionen weitergeführt werden. Ziel sei gewesen ein funktionierender Prototyp herzustellen, also den Proof-of-Principle zu erbringen, sagt Gloor. Hauptproblem seien die Daten. „Es braucht detaillierte digitale Karten der Region und vor allem numerische Angaben darüber, wer wann wie oft wandert“, führt er aus. Falls eine Region an dem Programm interessiert wäre, würde sich natürlich auch die Frage der Finanzierung stellen.

Das Projekt im Berner Oberland wird vom Schweizerischen Nationalfonds finanziert. 2001 haben Willy Schmid, Eckart Lange und Kai Nagel die virtuelle Wanderung als interdisziplinäres Projekt zwischen Landschaftsplanung und Informatik zum Thema „Landschaften und Lebensräume der Alpen“ eingereicht. Dank der anschliessenden finanziellen Unterstützung des Nationalen Forschungsprogramms konnten die beiden Doktoranden Christian Gloor und Duncan Cavens finanziert werden (5).


Fussnoten:
(1) Das Institut für Computational Science: www.inf.ethz.ch
(2) Das Netzwerk Stadt und Lanschaft: www.nsl.ethz.ch
(3) Mehr Informationen zum Computerprogramm: www.sim.inf.ethz.ch/projects/alpsim
(4) Das Institut für Freizeit und Tourismus der Universität Bern: www.fif.unibe.ch
(5) Mehr Informationen zum Nationalen Forschungsprogramm: www.nfp48.ch



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