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Rubrik: Tagesberichte
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Publiziert: 20.01.2003 06:00

Ex-Botschafter Alfred Defago an der ETH
Belastetes Bündnis

Der ehemalige Schweizer Botschafter in den USA, Alfred Defago, sprach am Donnerstag an der ETH über das zuletzt deutlich abgekühlte Verhältnis zwischen Europa und Amerika.

Von Roberto Stefāno

Winston Churchill hatte die Diplomatie als Kunst definiert, viel zu überlegen, aber eigentlich nichts zu sagen. Dass es auch anders geht, bewies der ehemalige Botschafter Alfred Defago in seinem Referat der Vortragsreihe ,Brückenbau-Brückenschlag' zum Thema "Europa - Amerika: Brechen die Brücken?". Vor vollen Rängen begrüsste Gerhard Girmscheid vom Institut für Bauplanung und Baubetrieb den angesehenen Gast zu diesem hochaktuellen Referat.

Schleichende Entfremdung

Sowohl diesseits wie jenseits des Atlantiks frage man sich, ob die Brücken zwischen Amerika und Europa einstürzen werden. Davon, so Defago, gehe er nicht aus: "Dennoch ist es keine Übertreibung, wenn man von einer deutlichen Abkühlung, ja gewissen Entfremdung im europäisch-amerikanischen Verhältnis spricht." Dass dies paradoxerweise in einer Zeit der Globalisierung geschehe, sei auf die damit verbundene Amerikanisierung der Gesellschaft zurückzuführen.

Neue Radikalkritik

Während europäische Kritik an Amerika nicht neu ist, konnte in letzter Zeit ein zunehmender Ton von offener Ablehnung festgestellt werden. Dies hänge damit zusammen, dass die USA seit zwölf Jahren die einzige Supermacht darstelle, was bei den kleineren Partnern naturgemäss zu Skepsis führe. Dazu kommen, so Defago, zunehmend Differenzen in politischen Fragen, wie beispielsweise in der einseitigen Israelpolitik der Amerikaner. "Kritik an der politischen Rolle der USA hat es in Europa immer gegeben", hielt Defago fest. "Neu hingegen ist die Radikalkritik vieler Europäer, die Amerika als Gesellschaft und kulturelles Leitbild in Frage stellen."

Globalisierung = Amerikanisierung?

Diese Ablehnung ist laut Defago merkwürdig, da die Alltagswelt der Amerikaner beinahe sklavisch von den Europäern übernommen werde. Erklären lasse sich dieses Paradoxon wiederum mit der Globalisierung, welche vielerorts mit Amerikanisierung gleichgesetzt wird. Obwohl dies vielfach zutrifft, ist die Gleichsetzung nicht gerechtfertigt. "Globalisierung ist keine Einbahnstrasse, die von den USA in den Rest der Welt führt."


Journalist, Diplomat, Hochschullehrer
Alfred Defago studierte Geschichte und Germanistik in Bern, Wien und Rom und schloss 1970 mit dem Doktortitel ab. Danach arbeitete er als Mitarbeiter und später als Chefredaktor bei Radio DRS, als Direktor des Bundesamtes für Kultur und als Generalsekretär des EDA in Bern. Nachdem er als Generalkonsul in New York tätig war, wurde er vom Bundesrat 1997 zum Botschafter in Washington ernannt. Damit übernahm er eine wichtige Funktion in der Holocaust-Auseinandersetzung mit Amerika. Heute lebt Defago in den USA und unterrichtet als Professor für Internationale Beziehungen an der University of Wisconsin-Madison. Seine Kolumnen werden regelmässig in der "NZZ am Sonntag" publiziert.



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Die Brücken werden halten, doch das Verhältnis ist abgekühlt: Alfred Defago sprach an der ETH über die Beziehung Europas zu Amerika.

Zutreffend sei jedoch, dass die amerikanische Gesellschaft mit der Globalisierung besser zurecht komme, als die europäische. Im Gegensatz zu den traditionellen Gesellschaftsstrukturen in Europa, ist die amerikanische Gesellschaft in ständiger Bewegung und könne daher flexibler auf die Anforderungen der Globalisierung reagieren.

Die meisten Amerikaner schätzen die europäische Kultur, die Geschichte und den Lebensstil, doch bleibe das Gefühl, dass der alte Kontinent tatsächlich alt und auch kompliziert sei. "Europa steht für die Vergangenheit, das eigene Land, für eine bessere Zukunft." Nun hat sich die Meinung über Europa, mit dem Bewusstsein, dass man immer stärker in der Kritik stehe, in den letzten Monaten zu wandeln begonnen.

Stereotypien bringen keine Klärung

Was die unilaterale Politik der USA betrifft, die ebenfalls auf Ablehnung in Europa stösst, verweist Defago auf eine Studie von Robert Kagen (1). Sie zeigt auf, dass die Politik der Alten Welt, solange sie die Weltmacht inne hatte, dieselben Merkmale aufwies, wie sie in den jüngsten Jahren in Amerika erkennbar sind. "Die Diskussion über das amerikanisch-europäische Verhältnis sollte in einer historischen Perspektive gesehen werden und nicht einfach auf Stereotypen reduziert werden."

Die "Atlantiker" sind abgetreten

Für das Auseinanderdriften der beiden Welten gibt es gemäss Defago verschiedene Gründe. Mit dem Ende des Kalten Krieges sei eine amerikanisch-europäische Partnerschaft zu Ende gegangen, welche durch die gemeinsame Bedrohung von Aussen entstanden war. Ein weiterer Grund sei die alte politische Generation der sogenannten Atlantiker, die auf beiden Seiten abgetreten ist. Bei der neuen Generation spiele die ohnehin nicht mehr starke emotionale Bindung über den Atlantik keine herausragende Rolle. "Die USA schauen vermehrt nach Asien, das sie als geopolitisch wichtiges Gravitationszentrum der Zukunft sehen." Diese Ausrichtung Amerikas, schwächt auch die ökonomische Bindung zwischen den beiden Kontinenten, was Defago als dritte Ursache erkennt. Für den Schweizer Ex-Botschafter in Washington hat die transatlantische Gemeinschaft ihre besten Tage hinter sich. Europa und die USA werden eigenständige Positionen einnehmen, aber die Brücke, welche auf gemeinsamen Werten beruht, werde weiterhin bestehen.


Fussnoten:
(1) Zur Online-Version von Robert Kagen: Power and Weakness (Policy Review No. 113): www.policyreview.org/JUN02/kagan.html



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