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Rubrik: Tagesberichte
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Publiziert: 05.10.2006 06:00

Referat des US-Politologen James Der Derian an der ETH
Terror und globale Medien

"9/11" hat nicht nur die politische Landkarte nachhaltig verändert, sondern auch die globale Informationslandschaft. Im Rahmen einer Gastvorlesung des Center for Comparative and International Studies von Uni und ETH Zürich (CIS) sprach diese Woche der US-Politologe James Der Derian über Sicherheit und Medien. Dies in einer Zeit, in welcher der Terrorismus - und der Kampf dagegen - sich die Durchschlagskraft globaler Medien zunutze gemacht haben.

Norbert Staub

Um 8 Uhr 46 prallte die von Mohammed Atta gesteuerte American-Airlines-Maschine in den Nordturm des World Trade Centers in New York. Um 9 Uhr 03 explodierte United Airlines 175, nachdem sie in den Südturm geflogen war. Die Live-Bilder dieses Ereignisses verfolgten am 11. September 2001 Millionen von fassungslosen Zuschauern auf der ganzen Welt, denn TV-Stationen hatten inzwischen ihre Kameras installiert. „Ich glaube, in diesen siebzehn Minuten hat der Terrorismus das Informationszeitalter entscheidend verändert“, sagte James Der Derian, Professor für Internationale Studien an der Brown University in Providence, in seinem Vortrag an der ETH am Montag. Der Bilderschock habe der optimistischen Sicht auf das Informationszeitalter ein Ende bereitet.

Gleich machender Medienkrieg

Sofort nach der Attacke auf New York und Washington wurde erkannt, dass die Terroristen mit diesem Angriff ganz bewusst die Macht der globalen Medien für ihre Zwecke benutzt haben. Mit den einstürzenden Zwillingstürmen und dem brennenden Pentagon setzen sie ein an Nachdrücklichkeit kaum überbietbares Symbol in die Welt: ein Symbol der Herausforderung gegenüber dem amerikanisch geprägten westlichen Lebensstil. „Hier wurde schockiert, zerstört und getötet, ohne den Umweg der formalisierten Form des Krieges zu beschreiten“, sagte Der Derian. Zeit – besser: fehlende Zeit – sei dabei ein prägendes Element. Präsident Kennedy habe im Oktober 1962 noch 13 Tage Zeit gehabt, um über seine Reaktion auf die Stationierung sowjetischer Raketen auf Kuba zu entscheiden. Heute müssten Politikern zum Teil 13 Minuten ausreichen, um folgenreiche Beschlüsse zu fassen, sagte Der Derian.

Im seit dem 11. September von der US-Regierung lancierten „Krieg gegen den Terror“ sei zu verfolgen, wie sich beide Seiten modernster Informationstechnologie bedienen: Terroristen nutzen Video und Internet für ihre Propaganda, „eingebettete“ Journalisten und Soldaten mit Helm- und Gewehrkameras erstellen Echtzeit-Reportagen vom Irak-Krieg der US-Armee. Die Beispiele machten Schule. Auch Hisbollah-Chef Hassan Nasrallah habe im jüngsten Libanonkrieg die vernetzte Verbreitungstechnik gewieft einzusetzen gewusst. Im globalen Informationskrieg, so Der Derian, habe es ein Osama bin Laden letztlich geschafft, medial über gleich lange Spiesse wie die US-Regierung zu verfügen.

Gefahr der Manipulation

James Der Derian liegt daran zu zeigen, wie eng und problematisch im 21. Jahrhundert die Verknüpfung zwischen Terrorismus und dessen gesellschaftlicher Wahrnehmung einerseits und globalen Medien andererseits geworden ist.


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Legt den Finger auf die problematische Verknüpfung von Medien, Krieg und Terrorismus: James Der Derian, Professor für Internationale Studien an der Brown University. gross

Die mediale Inszenierung von Krieg und Terrorismus öffne der Manipulation Tür und Tor, und dabei bleibe die Wirklichkeit hinter den Ereignissen nur allzu oft auf der Strecke. Die Medien trügen hier eine enorme Verantwortung, der sie jedoch nur ungenügend Rechnung tragen. „Geschichte zerfällt in Bilder, nicht in Geschichten“, zitierte er Walter Benjamin, den von ihm hoch geschätzten deutschen Kulturkritiker der Zwischenkriegszeit. Die Macht der Bilder und Emotionen führe zu einer „Banalisierung des Terrors“. Vernunft, Kritik und Argumente entgegenzusetzen, sei eine schwierige, aufreibende Aufgabe.

Ausbruch aus kleinen Zirkeln

Um sich aus dem Bann der Bilder zu lösen, gelte es die Effekte, welche die globalisierten Medien erzeugen, zu analysieren und zu hinterfragen, meinte der Forscher. Der Derian hat dazu einen Weg gewählt, der aus dem „Think-Tank-Thinking“ kleiner Zirkel hinausweisen soll. Er äussert sich häufig in Publikumsmedien, etwa der New York Times oder im bekannten Web-Magazin „Wired“. Zudem hat er über die Verquickung von Information und Terror nach dem 11. September einen Dokumentarfilm produziert. An der Brown University hat Der Derian das „Information Technology, War, and Peace Project" lanciert, eine interdisziplinäre Plattform zur Erforschung dieses Themenkomplexes. Er leitet zudem das „Global Security Program“ des Watson Institute for International Studies. (1)

Es erstaunt nicht, dass er und seine Mitarbeiter selbst auf der Höhe der aktuellen Informationstechnologie sind. Aber dies garantiert noch lange nicht die Verbreitung des angesammelten Wissens: Er habe bereits vor Jahren auf vieles hingewiesen, das jetzt durch Bob Woodwards kritisches Buch über die Bush-Administration in die Öffentlichkeit gelangte, sagte Der Derian. „Aber offenbar verfügten wir nicht über die geeigneten Multiplikatoren.“


Literaturhinweise:
Website des Center for Comparative and International Studies von Uni und ETH Zürich: www.cis.ethz.ch

Fussnoten:
(1) Siehe dazu die Website der "Security Matrix" vom Team um James Der Derian an der Brown University: www.watsoninstitute.org/gs/Security_Matrix/



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