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Rubrik: Tagesberichte
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Publiziert: 28.04.2005 06:01

Sex und Kalkül: Der „Vater der Pille“, Carl Djerassi, kommt an die ETH
Zwischen Wissenschaft und Macht

Moderner Sex und ein Streit unter Wissenschaftern: Der Romancier, Bühnenautor und emeritierte Chemie-Professor der Stanford University, Carl Djerassi, kommt an die ETH. Auf dem Hönggerberg referiert er über „Sex im Zeitalter der modernen Reproduktionsbiologie“, und auf der Studiobühne des Opernhauses wird sein Stück „Kalkül“ uraufgeführt.

Von Michael Breu

Jede Wissenschaft ist sozial. Davon ist Carl Djerassi (1) felsenfest überzeugt. Diese soziale Komponente kann romantisch sein, sie kann aber auch im Würgegriff von Macht und Intrige stehen. Carl Djerassi hat beide Seiten erforscht und erfahren.

Der 1923 geborene Wiener emigrierte 1938 in die USA und studierte Chemie am Kenyon College und an der University of Wisconsin. Nach vier Jahren Forschungsarbeit bei Ciba Pharmaceutical in Summit, New Jersey, der US-Niederlassung des Schweizer Pharmakonzerns, wechselte er zu Syntex nach Mexico City. Dort startete er seine steile Karriere; für die Entwicklung neuer Methoden auf dem Gebiet der Schädlingsbekämpfung erhielt er die National Medal of Technology und für die erste Synthese eines oralen Verhütungsmittels die National Medal of Science. Auch mit zahlreichen Ehrendoktoraten wurde er ausgezeichnet – unter anderem 1995 von der ETH Zürich.

Chemiker und Buchautor

Wenn heute von Djerassi die Rede ist, dann wird er meist als „Vater der Pille“ bezeichnet. Leicht geht dabei vergessen, dass der Gründer eines der ersten Biotech-Unternehmen (das heute zu Novartis gehörende Zoecon) neben der Verhütungspille (Norethindrone) auch ein Anti-Histamin (Pyribenzamine) und ein Kortikosteroid (Synalar) entdeckte und auf den Markt brachte.

Der 82-Jährige ist inzwischen emeritierter Chemie-Professor der Stanford University und erfolgreicher Romancier und Bühnenautor. Dabei hat er den Begriff Science-in-fiction geprägt, eine Form von Literatur, welch die Wissenschaft in den Mittelpunkt stellt und an ihr künftige Entwicklungen diskutiert (2). Dazu gehören „Cantors Dilemma“, „Bourbaki Gambit“, „Marx, verschieden“, „Menachems Same“ und „NO“. Seit sieben Jahren ist Djerassi vorrangig mit Bühnenwerken des Genres Science-in-Theater befasst. Das erste Bühnenstück, „Unbefleckt“, wurde 1998 beim Edinburgh Fringe Festival uraufgeführt und beleuchtet den „Sex im Zeitalter der technischen Reproduzierbarkeit“. Danach folgten „Oxygene“ über die Entdeckung des Sauerstoffs und „Kalkül“ über den Streit zwischen Sir Isaac Newton und Gottfried Wilhelm Freiherr von Leibniz über die Erfindung der Differenzialrechnung.

Carl Djerassi, Chemiker und Autor von Science-in-Fiction-Bücher, will nicht als „Vater der Pille“ bezeichnet werden; er sei die „Mutter der Pille“: „Ich bin Chemiker, und jeder Chemiker ist eine Mutter“. Bild: Jason Grow/Stanford University


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Colley Cibber und Sir John Vanbrugh im Streitgespräch: „Seit wann ist Wahrhaftigkeit aud der Bühne eine Tugend?“ Bild: R. Day/Nature gross

Mit dem Theaterstück „Kalkül“ kommt Djerassi nun in die Schweiz (3). Im Rahmen des ETH-Jubiläums wird das Stück auf der Studiobühne des Opernhauses aufgeführt. „Newton wurde am Weihnachtstag in Galileos Todesjahr geboren. Er war so davon überzeugt, dass er übernatürliche Kräfte besitzt, dass er eines Tages ein Anagramm seines Namens erstellte, das ihn als den 'Auserwählten Gottes’ auswies“, sagt Djerassi. „Als Mensch war Newton nicht nur äusserst schwierig, sondern hatte auch viele moralische Schwächen. Wollte man seine Persönlichkeit beschreiben, könnte man Worte finden wie unnahbar, einsam, verschwiegen, in sich gekehrt, melancholisch, humorlos, puritanisch, grausam, nachtragend und – vermutlich das schlimmste Prädikat von allen – unversöhnlich.“

Newtons Charakter

Diese Charakterzüge arbeitet Djerassi in „Kalkül“ heraus. Denn der Streit mit Leibniz artete in einen Rosenkrieg aus, der schliesslich 1712 mit einem geheimen Urteil der Londoner Royal Society zugunsten von Newton entschieden wurde. „Kalkül wirft einen Blick auf einige interessante Details dieses Skandals in der Welt der Wissenschaft, aus der Sicht von John Arbuthnot, Louis Frederick Bonet und Abraham de Moivre, wobei die meisten der biographischen Angaben streng historisch belegt sind“, sagt Djerassi. „Und wenn auch das Treffen zwischen den beiden Dramatikern Colley Cibber und Sir John Vanbrugh erfunden ist, so sind sie selbst doch historische Figuren, deren Theaterstücke 'Love’s Last Shift’ und 'Tugend in Gefahr’ sowie ihre letzte Zusammenarbeit 'The Provok’d Husband’ zum stolzen Kanon des britischen Restaurations-Dramas gehören.“

Djerassi auf dem Hönggerberg, im Radio und im TV

Der „Vater der Pille“ berichtet in Zürich aber nicht nur von Macht und Intrigen. Im Rahmen der Hönggerberg Lectures Series wird Djerassi einen Vortrag zum Thema „Sex im Zeitalter der modernen Reproduktionsbiologie“ halten (29. April, 11 Uhr, HCI G 3, in Englisch). Dazu eingeladen wurde er von den Arbeitsgruppen um Prof. Wilhelm Krek vom Institut für Zellbiologie und Prof. Yves Barral vom Institut für Biochemie.

Am Mittwoch, 4. Mai, diskutiert Djerassi zusammen mit Prof. Peter H. Seeberger vom Laboratorium für Organische Chemie im „Treffpunkt“ von Radio DRS 1 (10 Uhr) über „Leben und Gesundheit“, am 5. Mai ist er Gast im Talk von Kurt Aeschbacher auf SF 1 (22:20 Uhr), und am 23. Mai steht er im Interview mit dem Gesundheitsmagazin „Puls“ von SF 1 (21:05 Uhr). Schliesslich wird der Kunstliebhaber vom 26. bis 27. Juni die Einweihung des Zentrums Paul Klee in Bern begleiten.


Fussnoten:
(1) Homepage Carl Djerassi: www.djerassi.com/
(2) Ethical discourse by science-in-fiction, Nature, 1998, 393: 511
(3) Kalkül – Konzerttheater in drei Akten. Studiobühne des Opernhauses. 6. bis 8. Mai, jeweils 20 Uhr. Eintritt sFr. 40.-, ermässigt sFr. 20.-. Billetkasse des Opernhauses: 044 268 66 66: www.opernhaus.ch/d/spielplan/spielplan_detail.php?vorstellID=10314410. Rezensionen: „Playing dirty“, Nature, 2004, 430: 729 oder „Newton’s War“, C&EN, 2004, 82(26): 46-47. „Kalkül“ und „Unbefleckt“ sind im Innsbrucker Haymon-Verlag in Buchform erschienen (138 Seiten, sFr. 25.-): www.haymonverlag.at/



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